Von Carolin Barth
Freie Betreuungsplätze sind Luxus. Für Tagesmutter Carmen Böhme nicht. Obwohl Betreuungsplätze für Kleinkinder knapp sind, waren bei ihr welche frei. Das machte ihr zunehmend Sorgen, denn es gefährdete die Existenz. Die Schönbrunnerin wirbelte, warb für sich und ihr Konzept und sprach in vollen Kitas vor – oft vergeblich. Die Probleme bei der Belegung und damit das finanzielle Risiko als Freiberuflerin sind aber nur ein Grund, warum sie ihre Tagespflegestelle in Schönbrunn aufgab und so für Bischofswerda fünf Betreuungsplätze wegfallen. Traurig ist Carmen Böhme darüber nicht. Sie ist überglücklich.
Seit April arbeitet sie bei der Arbeiterwohlfahrt Bautzen (Awo). Sie ist die neue Tagesmutter für die Gemeinde Demitz-Thumitz. Und die erste im Landkreis Bautzen überhaupt in freier Trägerschaft. Während ihre 76 Kolleginnen im Kreis freiberuflich tätig sind, ist Carmen Böhme bei der Awo angestellt – dennoch kann sie Kinder individuell betreuen. Und es gibt noch mehr Vorteile: Wenn sie krank wird, springen Erzieherinnen der Demitzer Kita „Brückenmännchen“ ein. Die Kinder bleiben so in ihrer vertrauten Umgebung. Carmen Böhme ist nicht mehr nur auf sich selbst gestellt. Sie ist eine Alternative zur Kita-Betreuung in Demitz. Sie ist keine Konkurrenz. Kita-Leiterin Kerstin Pein und Tagesmutter Carmen Böhme sind ein Team. „Bisher habe ich das so sehr vermisst, die Kooperation zwischen Tagesmutter und Kita“, sagt sie 42-Jährige.
Seit 2007 arbeitet die ausgebildete Wirtschafts- und Bankkauffrau als Tagesmutter. Sie war die Erste in Bischofswerda und im Bedarfsplan, um den damals rasch steigenden Bedarf an Betreuungsplätzen für Kleinkinder abzufedern. Sie machte die Arbeit nach der entsprechende Ausbildung gern, hatte dafür das Souterrain im Zuhause ihrer Familie zum bunten Kinderparadies umgebaut. Betreuen konnte sie bis zu fünf Kinder bis drei Jahre. Carmen Böhme aber war von Beginn an eigenständig dafür verantwortlich, ihre Kinderschar zusammenzutrommeln, um alle Plätze zu füllen. Nach guten Anfangsjahren wurde es immer schwerer. „Man ist auf sich selbst gestellt. Unterstützung gibt es da kaum“, sagt sie. Gleichzeitig durfte sie sich nicht erlauben, krank zu sein. Die Tagesmütter im Landkreis Bautzen müssen sich um ihre Vertretung selbst kümmern – ist keine zu finden oder nicht zu finanzieren, müssen Kinder und ein Elternteil zwangsläufig zu Hause bleiben. „Ich hatte das Glück, dass ich eine feste Vertretung hatte, wenn ich überhaupt mal krank war“, sagt Carmen Böhme. Letztlich kostete sie jeder Tag, den sie nicht arbeitete, bares Geld. Auch deshalb der Wunsch nach Veränderung. „Mein Ziel war es, bei einem Träger zu arbeiten“, sagt die zweifache Mutter. Als Voraussetzung dafür startete sie 2010 eine Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin am BSZ Bautzen. Vier Jahre lang paukt sie zweimal in der Woche und absolviert Praktika. „Den Abschluss hätte ich in meiner Tagespflegestelle aber nicht machen können. Ich muss dazu in einer Einrichtung mit Praxisanleitern tätig sein“, sagt Carmen Böhme. Also die Bewerbung bei der Awo.
Hier suchte man nach einer Tagesmutter fürs Pilotprojekt in Demitz. Denn die Gemeinde musste aufstocken: „Es war absehbar, dass wir den Bedarf an Krippenplätzen in der Kita Brückenmännchen nicht decken können“, sagt Kita-Leiterin Kerstin Pein. „Unser Anspruch war aber es nicht, nur weitere Plätze, sondern eine Alternative für Eltern zu schaffen. Mit der Tagesmutter können wir gewährleisten, dass wir allen Eltern in Arbeit einen Platz anbieten können“, so Kerstin Pein. Für Carmen Böhme ist die Stelle ein Volltreffer: Sie kann den Job machen, den sie liebt und ihre Ausbildung 2014 beenden. Die Awo fordert den Abschluss ohnehin. Ihre Chefin vor Ort ist Kerstin Pein. Sie sorgt dafür, dass die Plätze belegt sind. Sie kümmert sich um Dienst- und Urlaubspläne und darum, Carmen Böhme in Weiterbildungen der Erzieherinnen zu integrieren. Die wiederum kann ihre Schützlinge ins Kita-Leben integrieren. Sie können im großen Garten mittoben und Feste mitfeiern. „Dennoch bleibt der Charakter der individuellen Betreuung im kleineren Rahmen bei der Tagesmutter erhalten“, so Kerstin Pein. Sie redet Carmen Böhme nicht ins Konzept. Die Tagesmutter entscheidet, wie sie den Tag mit ihren Kindern gestaltet. All das ist einmalig im Kreis. Und es könnte Schule machen.
Tränen gehören zur Eingewöhnung
Eine Wohnung in der August-Bebel-Straße in Demitz wurde zum farbenfrohen und funktionalen zweiten Zuhause für Kinder. Hier wird gespielt, geschlafen, gekocht, gegessen, gewickelt und gepullert. Puppen und Pferde, Holzklötze und Plüschtiere sind in offene Regale eingezogen. Die Schäfchen auf der Bettwäsche in den fünf Gitterbettchen warten auf schlummernde Kinder. Die ersten drei Knirpse stecken in der Eingewöhnung und verdrücken noch manches Tränchen. Sie gehören dazu, sagt Carmen Böhme. Auch sie sei noch in der Eingewöhnung, sagt sie und lächelt. Wie so oft.
Ihre Stelle in Schönbrunn fällt ersatzlos weg. Die fünf Plätze werden in Bischofswerda derzeit nicht dringend benötigt. Die Stadt kann mit insgesamt 146 Betreuungsplätzen für Kleinkinder in Kitas und bei vier Tagesmüttern den Bedarf decken, sagt Kerstin Mehnert aus dem Amt für Bildung, Jugend und Sport. Einige Kitas – unter anderem die in Schönbrunn – haben freie Kapazitäten. Carmen Böhmes bisherige Kinder sind bei anderen Tagesmüttern untergekommen. Eines aus Demitz hat sie mitgenommen. Carmen Böhme hat nun wieder volles Haus. Alle Plätze sind schon vergeben. Die Tagesmutter ist überglücklich.