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Die große Angst der Ukrainer

Die Lage nach der Krim-Abspaltung ist angespannter denn je. Nicht nur Politiker reden offen über Krieg.

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© Reuters

Von Nina Jeglinski, Kiew

Vor einem „Durchsickern russischer Kräfte“ warnte der Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrates der Ukraine, Andrej Parubij, schon am Wochenende. Angeblich habe die Behörde Informationen, dass in acht ukrainischen Regionen, vor allem im Süden und im Osten des Landes, russische Staatsbürger eingeschleust worden sind, um „Provokationen zu beginnen“ und „Proteste zu organisieren“.

Tatsächlich wurden in Donezk und in Odessa in den letzten Tagen regelmäßig pro-russische Protestaktionen abgehalten. „Größtenteils seien die Demonstrationen bei niemandem angemeldet worden“, so Parubij. Außerdem sei beobachtet worden, dass an den Protesten Menschen teilnehmen, die nicht zu den Einwohnern der Städte gehören. In Odessa versuchte ein Reporter des ukrainischen Fernsehens, mit Pro-Putin-Demonstranten ins Gespräch zu kommen. Er wollte wissen, woher sie stammen und was sie von den Protesten erwarten. Die meisten drehten sich einfach weg. Lediglich eine ältere Frau schrie, sie wünsche sich „einen Führer wie Stalin“.

Der ukrainische Außenminister schlägt Alarm. „Wir sind sehr besorgt, weil an den Ostgrenzen der Ukraine immer mehr russische Truppen zusammengezogen werden“, sagte der Minister dem US-Sender ABC. Zwar werde die ukrainische Regierung alles tun, um die Krise diplomatisch zu lösen, aber die Leute seien bereit, ihr Vaterland zu verteidigen. Die Lage stellte sich noch brisanter dar als unmittelbar nach dem Krim-Referendum. Die Wahrscheinlichkeit, dass es Krieg gäbe, sei „sehr hoch“. Das Problem sei der russische Präsident Putin und seine Administration, dort sei man offenbar zu keinem Dialog bereit, sondern wolle „unverrückbare Fakten schaffen“, warnte der Außenminister.

Eine Ende der Woche vom ukrainischen Fernsehen in Auftrag gegebene Umfrage ergab, dass der größte Teil der Ukrainer für einen Nato-Beitritt ist. Im Osten des Landes wollen 65 Prozent dem Militärbündnis angehören, im Westen sind es sogar 91 Prozent. Die frühere ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko sagte, dass Putin diese Aggression gegenüber der Ukraine nicht entwickelt hätte, wäre das Land Nato-Mitglied. „Dann hätte er uns niemals angegriffen, weil er sich damit selber umgebracht hätte“, so Timoschenko.

Interims-Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk hatte am Wochenende unter anderem mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier gesprochen, der eine diplomatische Lösung des Konflikts anstrebt. Die USA vertreten eine andere Auffassung. Vor allem die Republikaner wollen Waffen an die Ukraine liefern.

Mike Rogers, Vorsitzender des Geheimdienstausschusses des US-Abgeordnetenhauses, sagte, man sollte Putin härter gegenübertreten. Die Rhetorik von Präsident Barack Obama entspreche nicht den Realitäten in der Ukraine. So müsse der Westen die völlig veraltete ukrainische Armee modernisieren, dazu wollen die USA das Land mit Material versorgen, damit sich die Ukraine „schützen und verteidigen kann“.

Sowohl die Ukrainer als auch US-Geheimdienstler glaubten, „dass Putin mit der Ukraine noch nicht fertig ist“. Der Westen müsse deshalb aufpassen und nicht den Fehler von 1939 wiederholen, als Hitler wiederholt bekräftigt hatte, weder Polen noch die Tschechoslowakei anzugreifen. „Die Welt ist damals auf diese Lügen reingefallen und damit in eine Riesenkatastrophe gerannt“, warnte Rogers.

Senator Kelly Ayotte forderte Präsident Obama auf, den US-Zerstörer „USS Truxtun“ ins Schwarze Meer zu verlegen, um mit den Truppen Bulgariens, Rumäniens und der Türkei zu kooperieren. Ayotte warnte vor Parallelen zum Georgien-Krieg von 2008. Damals hatten russische Truppen Gebiete Georgiens besetzt und für unabhängig erklärt. Eine solche Gefahr bestehe im Fall der Ukraine derzeit auch.