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„Die Guten“ werden bestraft

Thomas R. sah sich dieser Tage zum Dementi veranlasst. „Völliger Blödsinn“ sei es, dass er schon wieder im Untergrund in Brandenburg aktiv sei, verkündete der 24-Jährige aus Struppen auf der Internetseite des so genannten „nationalen Widerstandes“ in der Sächsischen Schweiz.

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Von Thomas Schade

Thomas R. sah sich dieser Tage zum Dementi veranlasst. „Völliger Blödsinn“ sei es, dass er schon wieder im Untergrund in Brandenburg aktiv sei, verkündete der 24-Jährige aus Struppen auf der Internetseite des so genannten „nationalen Widerstandes“ in der Sächsischen Schweiz. Die „Märkische Allgemeine“ hatte berichtet, dass der Sachse jetzt häufiger im Elbe-Elster-Kreis bei diversen Musikveranstaltungen gesehen wurde. Das Blatt vermutete, Thomas R. treibe sich nicht zufällig in Südbrandenburg rum, sondern baue Strukturen auf und wolle die brandenburgische und die sächsische Neonazi-Szene verflechten.

Der Job ist vermutlich schon erledigt. Doch Thomas R. tut gut daran, gegenzusteuern. Denn nun haben Polizei und Justiz ein besonderes Auge auf ihn. Seit gestern gilt er als einer der Rädelsführer der rechtsextremistischen Skinheads Sächsische Schweiz (SSS), verurteilt vom Dresdner Landgericht. Dessen Staatsschutzkammer sieht es als erwiesen an, das Thomas R. und vier seiner Kameraden mit der SSS eine kriminelle Vereinigung gegründet hatten beziehungsweise ihr angehörten. Alle fünf wurden zu Haftstrafen unter zwei Jahren verurteilt, die teilweise bis zu vier Jahren zur Bewährung ausgesetzt sind.

Noch rechtzeitig das Handtuch geworfen

Bereits am 8. Mai hatten alle Prozessbeteiligten den Richterspruch in einem so genannten Rechtsgespräch, auch Deal genannt, vereinbart. Voraussetzung dafür waren die Geständnisse aller fünf Angeklagten. Die waren gestern sichtlich froh, dass der Prozess nach 51 Verhandlungstagen vorbei ist. Vier der Verurteilten leben derzeit von Sozialhilfe. Die lange Verhandlung habe es faktisch unmöglich gemacht, eine Arbeit aufzunehmen, so einer der Verteidiger. Auch das Gericht sah darin eine Belastung.

So hätten sie schließlich „das Handtuch geworfen und etwas eingeräumt, was sie nie sein wollten“, sagte Verteidigerin Marina Meissner. Der Vorsitzende Richter Tom Maciejewski entgegnete dem unmissverständlich: „Nur wer merkt, dass er verliert, wirft das Handtuch.“ Das Gericht ließ gestern keinen Zweifel aufkommen, dass es die Angeklagten auch ohne Geständnis wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung und anderer Straftaten wie Landfriedensbruch, Körperverletzung und Voksverhetzung verurteilt hätte.

Auf den Ausgang der noch folgenden Prozesse kann nach diesem Urteil nur bedingt geschlossen werden. Er behalte sich andere Ergebnisse vor, so der Richter. Er schloss auch höhere Strafen nicht aus.

Das hatte sich im Verlauf der vergangenen zehn Monate bei der Beweisaufnahme immer mehr abgezeichnet. Teilweise amüsiert verfolgten einige Angeklagte in den mehr als 45 Verhandlungstagen die Aussagen von über einhundert Zeugen. Sie merkten wohl nicht, wie sich dabei tatsächlich das Bild eines Vereins abzeichnete, dessen Mitglieder wie eine Pyramide von oben nach unten gegliedert waren und die ein klar formuliertes Ziel hatten: die Sächsische Schweiz von „Zecken“ und „Kiffern“ zu befreien, wie Linke und Drogenkonsumenten in der rechten Szene genannt werden. Die Perle der Natur rund um den Königstein sollte zur „national befreiten Zone“ werden, wie es in der rechtsextremistische Propaganda heißt. Dafür trafen Angeklagte Absprachen zu Straftaten, die sie schließlich auch begingen. Wie ein Mosaik, so Oberstaatsanwalt Jürgen Schär, habe sich die Wahrheit auf dem mühsamen Weg der Beweisaufnahme zusammengesetzt.

Vermutlich schon 1996 hatten zwei der Angeklagten, Thomas S. und Daniel B., die Gründung der SSS auf den Weg gebracht. In einem „dynamischen Prozess“, so die Anklage, habe sich die Gruppe in den folgenden Jahren zur mitgliederstärksten rechtsextremistischen Skinhead-Truppe Sachsens entwickelt, in der etwa ein Dutzend Männer, die so genannten Members, das Sagen hatten. In dieser Zeit verübten die Angeklagten auch jene Straftaten, die ihnen in der Anklage zur Last gelegt wurden. Dazu gehört auch ein Überfall am 10. Juli 1998 an den Elbwiesen, bei dem mehrere Personen zum Teil mehrmals zusammengeschlagen wurden. Bis zu zweihundert Jugendliche der Region, so einer der Angeklagten, hätten mit den Neonazis der SSS sympathisiert. Bei Bedarf konnten erhebliche Teile der Organisation innerhalb kürzester Zeit mobilisiert werden. Zeugen: Die SSS prägte zeitweise in Pirna abends das Stadtbild.

Polizei und Kommune standen dem Phänomen lange Zeit ratlos gegenüber und hätten so die Eskalation zugelassen, kritisierte die Verteidigung in einem der Plädoyers. Nach ihrer Ansicht liegt bis heute im Dunkeln, wie es zu dem umfangreichen Ermittlungsverfahren „Elbsandstein“ gekommen ist, dessen Ergebnisse gestern zu den ersten Verurteilungen führten. Monatelange verdeckte Ermittlungen, Telefonüberwachungen, zwei groß angelegte Polizeiaktionen und schließlich das Organisationsverbot des sächsischen Innenministers führten zum Ende der SSS, die unter anderem mit dem Slogan „Wir sind die Guten“ für sich warb.

Freistaat selbst hat mit für die Milde gesorgt

Die ersten fünf ehemaligen SSS-Mitglieder kamen gestern mit einem blauen Auge davon. Mindestens drei von ihnen wären ohne Geständnis selbst nach Ansicht einiger Verteidiger kaum als freie Männer aus dem Gericht gegangen. Doch der Freistaat selbst, der die Organisation erst verfolgte, hat während des Prozesses die mild erscheinenden Strafen provoziert.

Ursache ist jener Sperrvermerk von Innenminister Horst Rasch, mit dem all jene Akten als geheim eingestuft wurden, die Rückschlüsse auf die Quellen des sächsischen Verfassungsschutzes zugelassen hätten. So habe das Gericht bei der Beweisaufnahme in der „ständigen Unsicherheit“ gelebt, ob V-Leute des Verfassungsschutzes bei der Gründung der SSS mitmischten oder andere Straftaten mitplanten. Auch sei unklar geblieben, ob unter den Zeugen V-Leute des Verfassungsschutzes gewesen seien.

Legitime Behinderung des Gerichts

Das Gericht hatte sich deswegen offen mit dem Innenministerium angelegt. Einige Verteidiger hatten vor dem Dresdner Verwaltungsgericht versucht, den Innenminister zur Herausgabe der Akten zu zwingen. Doch die Verwaltungsrichter sprachen von einer „legitimen Behinderung“ des Gerichtes und gaben dem Minister Recht. Tom Maciejewski und das Quartett aus zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen an seiner Seite befanden daraufhin, dass dieser „Eingriff in den Gang der Rechtspflege“ zwangsläufig Auswirkungen auf das Strafmaß´haben müsse. Die Aufklärung des Sachverhaltes sei dadurch erheblich behindert gewesen. „In dubio pro reo“, so der Richter, im Zweifel für den Angeklagten.