"Die Kinder leiden am meisten"

Auch seine Mutter ist geflohen. Statt in ihrer Heimat Idlib, harrt die 72-Jährige nun nahe der türkischen Grenze aus, weil es dort sicherer ist. Seit einigen Tagen herrscht Waffenruhe. Zeit zum Durchatmen. Fast täglich steht Wael Khedr übers Internet in Kontakt mit seiner Mutter. Er sorgt sich um sie. Und um Millionen andere.
In den vergangenen Monaten hat sich die Lage in Syrien noch einmal zugespitzt. In dem Land, das sowieso schon zerbombt ist und am Boden liegt, kämpfen noch immer Regimetruppen erbittert gegen Rebellen. Diktator Assad wird von Russland unterstützt, die Rebellen von der Türkei. Doch mit Politik will Wael Khedr gar nichts zu tun haben, wenngleich er weiß, dass es irgendwann eine friedliche Lösung geben muss.
Wael will helfen. Er will seinen Landsleuten das Leben ein Stück lebenswerter machen. Das ist seine Mission und die Mission seinen Arbeitgebers in Dresden, der Hilfsorganisation Arche Nova.
Wael wurde 1982 in Saudi-Arabien geboren, ist aber syrischer Staatsbürger. Während sein Vater derzeit in Saudi-Arabien festsitzt, lebt seine Mutter im äußersten Nordwesten Syriens. Idlib ist momentan der Brennpunkt des Syrienkonfliktes. Millionen Einwohner sind in den vergangenen Jahren aus dem ganzen Land hierhin geflüchtet. Auch Wael. Bis 2013 lebte der 37-Jährige in Aleppo und arbeitete dort als Wasserbauingenieur.
Dann kam er bei seiner Mutter in Idlib unter und wenig später in Kontakt mit Arche Nova, die ihn als Experten für Trinkwasser gut gebrauchen konnte. Die Hilfsorganisation kümmert sich vor Ort vor allem um die Wasserversorgung, verteilt aber auch Kleidung für Kinder und Essen. Eine Zeit lang pendelte er für Arche Nova zwischen der Türkei und Syrien. Später leitete er von der Türkei aus das Helferteam in Syrien an.

"Die Menschen sind verzweifelt, viele sind seit Monaten auf der Flucht", sagt Wael. "Schon bei der letzten großen Offensive im Spätsommer gab es nicht mehr genügend Wohnraum für alle. Selbst jetzt im Winter leben Familien unter Bäumen am Straßenrand und es kommen immer mehr neue Geflüchtete dazu."
Im Januar kam Wael nach Dresden, suchte sich eine Wohnung in der Neustadt und arbeitet seitdem in der Arche-Nova-Zentrale, die ihren Sitz in der Yenidze hat. Vor hier aus kann er die Hilfseinsätze in Syrien mindestens genauso gut planen wie von der Türkei aus. Außerdem ist die interne Kommunikation jetzt einfacher. Waels Frau und seine beiden Töchter leben noch in Istanbul. Wenn alles gut geht, dürfen sie in einigen Monaten nachkommen.
Wael weiß, dass er damit in vielerlei Hinsicht privilegiert ist, doch seine Gedanken sind bei den Menschen in Idlib. Allein seit dem Jahreswechsel sind mehr als 900.000 vor den Regierungstruppen geflohen, Zehntausende leben auf der Straße. Es fehlt an allem. Dazu kommt die ständige Gefahr, beschossen zu werden. "Von unserem Team aus 25 Mitarbeitern mussten 15 in den letzten Wochen selbst fliehen", sagt er. "Nicht alle von ihnen konnte eine Wohnung mieten, manche mussten notdürftig bei Verwandten oder Bekannten unterkommen."
Bis vor kurzem seien die Hilfsgüter noch systematisch und monatsweise ausgegeben worden, "aber im Moment verteilen wir so viel wie möglich, überwiegend kurzfristig an Neuankömmlinge und an die Bedürftigsten", sagt Wael.

Insgesamt versorgt Arche Nova im Moment 11.500 Familien in Syrien mit Lebensmitteln und Wasser. 2.700 Kinder bekommen warme Unterwäsche, Mützen, Schals und dicke Jacken. "Die Kinder leiden am meisten. Sie verstehen oft gar nicht, was geschieht, haben alles verloren. Immer wieder sehen wir auch Familien, die von minderjährigen Familienoberhäuptern geführt werden, die schon so jung die Verantwortung für die ganze Familie tragen müssen. Hier versuchen wir, direkt zu unterstützen."
Ein Schwerpunkt der Arbeit von Arche Nova in den Fluchtgebieten ist die notdürftige Renovierung halbfertiger oder teilweise zerstörter Wohngebäude. Bisher konnte man 150 Wohnungen notdürftig instand setzen. 60 weitere sollen folgen. Ursprünglich sei je eine Wohnung für eine Familie vorgesehen gewesen. Im Moment zögen aber in jede fertige Wohnung mindestens drei Familien ein. "Wir können nur hoffen, dass die Menschen dann auch hier bleiben können und nicht erneut fliehen müssen", sagt Wael. Die Sorge ist berechtigt, denn die Gefechte rücken näher. Immer wieder werden Wohngebäude, Schulen und Krankenhäuser zerstört.
"So lange es irgendwie geht, werden wir Hilfe leisten. Das ist alles, was wir tun können", sagt Wael. Wann dieser Alptraum beendet sein könnte? Was aus seinem Heimatland einmal werden soll? Wie es eines Tages wieder aufgebaut werden kann? Über all diese Fragen ist ihm nur schwer ein hoffnungsvolles Wort zu entlocken. Im Moment wäre er schon über eine einzige Sache froh: keine Bomben mehr auf Syrien.
Für die humanitäre Hilfe in Syrien ist Arche Nova auf Spenden angewiesen.
Spendenkonto
arche noVa
Bank für Sozialwirtschaft
Stichwort: Syrien
IBAN: DE78850205000003573500
BIC: BFSWDE33DRE