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Die letzte große Wahlfälschung in Dresden

98,85 Prozent: Bürgerrechtler haben vor 30 Jahren bei der Kommunalwahl in der Stadt Manipulationen an den Ergebnissen nachgewiesen. 

Von Ralf Hübner
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Wahlwerbung im Sozialismus: Die Kandidaten aus den Verkehrsbetrieben für die Kommunalwahl am 7. Mai 1989 auf einem Plakat am Platz der Einheit, dem jetzigen Albertplatz.
Wahlwerbung im Sozialismus: Die Kandidaten aus den Verkehrsbetrieben für die Kommunalwahl am 7. Mai 1989 auf einem Plakat am Platz der Einheit, dem jetzigen Albertplatz. © Klaus Thiere

Einmütige Entscheidung für unsere erfolgreiche Politik des Friedens und des Sozialismus.“ So kommentierte die Presse vor 30 Jahren das Ergebnis der letzte Kommunalwahlen in der DDR. Als der Vorsitzende der DDR-Wahlkommission, Egon Krenz, am Abend des 7. Mai 1989 das vorläufige Ergebnis mit 98,85 Prozent Zustimmung bekannt gibt, ist kaum jemand überrascht. Und dennoch ist es diesmal nicht wie immer. Mitglieder von Bürgerrechtsgruppen haben an jenem Abend in mehr als 1.000 Wahllokalen in der DDR das Auszählen der Stimmen beobachtet, sich Notizen gemacht und können schließlich nachweisen, was ohnehin viele vermutet haben: Die Wahlergebnisse sind gefälscht. Die Wahlfälschung von 1989 gilt als Beginn vom Ende der DDR.

Dresdens damaliger Oberbürgermeister, Wolfgang Berghofer (SED), erinnert sich später an ein Treffen mit dem Dresdner Superintendenten Christoph Ziemer im Juni im Gästehaus des Rates der Stadt. Der Kirchenmann gratuliert zur Wiederwahl und kommt rasch zum Punkt: „Herr Oberbürgermeister, das Wahlergebnis ist gefälscht. Was sagen Sie dazu?“ Berghofer wiegelt ab. „Ich will und kann nichts dazu sagen.“ Es gehe um Glaubwürdigkeit, macht Ziemer klar. Die Fakten ließen sich nicht widerlegen und er, Berghofer, werde sich dafür verantworten müssen. 1992 wird Berghofer wegen Wahlfälschung und Anstiftung zur Wahlfälschung zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung sowie einer Geldstrafe von 36.000 D-Mark verurteilt. Das entspricht etwa 18 000 Euro. Der Wind hatte sich gedreht. Seit Anfang 1989 hatte etwa der Ökologische Arbeitskreis der Dresdner Kirchenbezirke immer mehr Zulauf. An den offenen Abenden hätten Hunderte, an der Umweltwoche mehr als Tausend Interessierte teilgenommen, berichtet die damalige Vorsitzende des Arbeitskreises, Maria Jacobi. Die Unzufriedenheit habe damals zugenommen, viele Menschen hätten die DDR verlassen. Für weiteren Unmut sorgten Planungen für ein Reinstsiliziumwerk im Süden von Dresden.

Die Idee für die flächendeckende Wahlbeobachtung in Dresden hatten die Friedenskreise in Johannstadt, Leubnitz-Neuostra und die Gruppe „Wolfspelz“. Je näher der Wahltag kam, umso mehr Interessierte meldeten sich, die mitmachen wollten. Nach der Wahl wurden die Ergebnisse zusammengetragen und an eine Koordinierungsgruppe nach Berlin weitergeleitet.

Stimmauszählung: Bürgerrechtler haben mitgezählt. 
Stimmauszählung: Bürgerrechtler haben mitgezählt.  © Hans-Dieter Opitz

Den SED-Funktionären war die schlechte Stimmung nicht verborgen geblieben. „Wir hätten blind und taub sein müssen, wenn wir nicht geahnt hätten, was da auf die Stadt zukommt“, schreibt Berghofer in seinem Buch „Meine Dresdner Jahre“. Nach eigener Darstellung will er mit einigen Mitstreitern zunächst versucht haben, die Wahlfälschungen 1989 in Dresden zu verhindern. Doch die Genossen im Politbüro machten den Dresdnern rasch klar, dass diese im 40. Jahr der DDR ein „machtvolles Vertrauensvotum“ der Bevölkerung zu garantieren hätten. Allein vom 27. April bis zu den Wahlen am 7. Mai hätten in Dresden 13 Beratungen dazu stattgefunden, schreibt Berghofer. Anfangs sei mit einer Wahlbeteiligung von 91 Prozent mit zwölf Prozent Gegenstimmen gerechnet worden, was aber kaum akzeptiert worden wäre. Immer wieder wurde die Zahl korrigiert und schließlich für Dresden bei 97,81 Prozent Beteiligung und 2,51 Prozent Gegenstimmen festgelegt. Die Bürgerrechtler, die in 237 von mehr als 400 Wahllokalen die Stimmenauszählung beobachteten, kamen auf rund 11,5 Prozent Gegenstimmen.

Als sich Dresdens ehemaliger Oberbürgermeister 1992 wegen Wahlfälschung verantworten mussten, berichteten Vertreter von Bürgergruppen vor dem Bezirksgericht Dresden von Behinderungen in einzelnen Wahllokalen. „Der Abstand zu den Wahltischen war mehrere Meter groß, unsere Anfragen und Einwände wurden ignoriert“, sagte Jürgen Bönninger, einer von ihnen. Deshalb sei es nicht möglich gewesen, die Zahl der Wahlberechtigten zu erfahren und die Wahlbeteiligung festzustellen. Schon vor der Wahl seien die Bürgerrechtler am Besuch öffentlicher Veranstaltungen zur Kandidatenvorstellung gehindert worden.

Berghofers Untergebene, wie der Stadtbezirksbürgermeister von Dresden-Nord, Gerd Müller, bestätigten zwar, dass dieser in ihrer Gegenwart mit dem Büro von Egon Krenz in Berlin telefoniert und verlangt hatte, „mit allen Mitteln ein realistisches Wahlergebnis zuzulassen“. Er ist es aber auch, der dann letztendlich die falschen Wahlergebnisse konkret festlegt.

Die Wahlfälschungen vor 30 Jahren: Fünf Bürgerrechtler, die an den Ereignissen vor 30 Jahren in Dresden aktiv beteiligt waren, werden bei einer Veranstaltung der Grünen am 15. Mai im Parkhotel auf dem Weißen Hirsch über die Wahl vor 30 Jahren unter dem Thema Mut, Motivation, Visionen und Lösungsansätze für die Krise in der heutigen Gesellschaft sprechen.