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Die letzten Tage der Sophienkirche

Mit einer Handbewegung entfernte 1960 Walter Ulbricht, damals Vorsitzender des Staatsrates der DDR, die Sophienkirche aus dem Bild der Stadt. Die Ruine der ältesten Dresdner Kirche passte nicht in die Vorstellungen von einem sozialistisch geprägten Stadtzentrum.

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Mit einer Handbewegung entfernte 1960 Walter Ulbricht, damals Vorsitzender des Staatsrates der DDR, die Sophienkirche aus dem Bild der Stadt. Die Ruine der ältesten Dresdner Kirche passte nicht in die Vorstellungen von einem sozialistisch geprägten Stadtzentrum. Den Abriss des gotischen Bauwerkes dokumentierte Gudrun Groß in ihren Fotografien.

Wie viele andere Dresdner war die damals 20-Jährige entsetzt über diese Entscheidung. Die gelernte Fotografin, die nach ihrer Lehre bei Heckmann in Meißen im Amt für Denkmalpflege in Dresden Arbeit fand, wollte vielmehr dokumentieren, was wieder aufgebaut werden sollte: die Katholische Hofkirche Dresden, die Thomaskirche Leipzig, das Kloster St. Mariental in Ostritz.

Auf ihrem Weg als Fotografin ist der Auftrag, den Abriss der Sophienkirche zu fotografieren, wie ein Stolperstein – man weiß, dass es ihn gibt und verletzt sich doch immer wieder daran. „Bevor es richtig los ging, habe ich noch einmal ein Foto mit Blick vom Schauspielhaus gemacht“, erzählt Gudrun Groß. Ein unwiederbringliches Zeitzeugnis entstand.

Von da an war Gudrun Groß, wie sie damals noch hieß, wöchentlich beim Abriss, hielt die Arbeiten mit ihrer Kamera bei Wind und Wetter fest. „Alles war irgendwie geheim, man durfte nicht mehr darüber reden, ein Zaun schirmte die Arbeiten vor den Augen der Dresdner ab. Ich erhielt extra einen Ausweis, um hineinzukommen“, erinnert sich Gudrun Groß-Hensling. „Auch die Zeitungen brachten nichts.“

Zwar gab es Demonstrationen gegen den Abriss und Flugblätter, verfasst und verteilt von Jürgen Schieferdecker, Gerhard Glaser, Hermann Krüger und Claudia Schrader. Die vier jungen Architekten wollten noch Anfang Juli 1962 die Sophienkirche vor dem Abriss bewahren. Doch gegen alle Widerstände begann im Oktober 1962 der Abbruch der Kirche. Am Vorabend des 1.Mai 1963 war auch der letzte Stein verschwunden.

Zurück zum Ursprung

Etwa 250 ihrer Aufnahmen vom Abriss der ältesten Dresdner Kirche werden heute im Landesamt für Denkmalpflege verwahrt. Zu DDR-Zeiten sollte die Dokumentation totgeschwiegen werden, sagt die Fotografin. Keines der Bilder sei je öffentlich gezeigt worden. Einige Fotos hat sie ganz für sich selbst gemacht, lange verwahrt und nun wieder hervorgeholt.

Den Anstoß gab eine Meldung in der Mitteldeutschen Zeitung Halle. Hier las sie im Februar, dass der Grundstein für das Mahnmal der Sophienkirche, die Busmannkapelle, gelegt wurde. Daraufhin hat sie einen Bekannten angerufen, ihm ihr Wissen mitgeteilt und schließlich wanderte die ganze Geschichte dorthin, wo sie ihren Ursprung hat – nach Dresden. Der Liebe wegen zog Gudrun Groß 1965 nach Halle, heiratete Frank Hensling und fotografierte fortan mit Erfolg Häuser, Menschen, Tiere und Pflanzen unter anderem ganz wissenschaftlich für die Martin-Luther-Universität. Von 1994 bis 2002 war sie die Stadtfotografin in der über 1200-jährigen Händel-Stadt Halle. Besondere Erinnerungen verbindet sie mit den Jahreszahlen 1975 bis 1990. Damals war sie auch als Filmfotografin tätig und so gelegentlich wieder in „ihrem“ Dresden.

Erinnerungen kommen auf

Da ihre Schwestern noch in Weixdorf leben, zieht es sie bis heute immer wieder hierher zurück. Dann kommen Erinnerungen auf. „Eine so bewegende Geschichte wie die Dokumentation zur Sophienkirche hatte ich nie mehr vor der Kamera“, erzählt die 67-Jährige. „Mir blutete das Herz, als anstelle der Kirche der sogenannte Fresswürfel gebaut wurde. Das tut auch heute noch weh. Dann denke ich, die Kirche würde auch in das heutige Bild hineinpassen. Mehr als der heutige Postplatz.“

Gern erinnert sie sich an die Anfänge ihrer Laufbahn. Kurz bevor sie nach Halle zog, kroch sie mit Hans Nadler in der Ruine der Semperoper herum. Die ersten Aufnahmen vom zerstörten Dresdner Schloss hat sie gemacht, hat dort später für Gerhard Glasers Diplomarbeit fotografiert. Und: „Ich durfte Otto Dix bei seiner Arbeit in Dresden und für meine Meisterprüfung als Modell fotografieren.“