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Warum Sie Testberichten im Netz nicht trauen sollten

Der Chef von Testwatch über das Geschäft mit Siegeln, Labeln und die Tricks, gutes Geld für schlechte Produkte zu bekommen.

Von Katrin Saft
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Wirklich alles positiv?
Wirklich alles positiv? © 123rf

Wer heute ein Produkt kaufen will, sucht im Internet meist erst mal nach Bewertungen. Denn oft gibt es mehrere Hersteller, die alle nur das Beste versprechen. Unzählige Webseiten bieten Hilfe in Form von Tests und Vergleichen an. Doch die allermeisten sind nicht nur unseriös, sondern leiten Verbraucher bewusst in die Irre, sagt Jürgen Stellpflug. Der ehemalige Chefredakteur der Zeitschrift Öko-Test hat deshalb den gemeinnützigen Verein Testwatch gegründet. Er macht selbst keine Tests, sondern will aufdecken, was hinter vielen Tests wirklich steckt.

Herr Stellpflug, Testwatch wirbt mit dem Slogan: „Wir testen die Tester!“ Warum ist das nötig?

In unserer komplexen Welt sind Verbraucher mehr denn je auf verlässliche Informationen von neutralen Dritten angewiesen. Doch heute untersuchen nicht mehr nur die Stiftung Warentest und Öko-Test Produkte und Dienstleistungen vom Babybrei bis zur Sterbegeldversicherung. Es gibt in Deutschland inzwischen mehr als 750 „Testveranstalter“. Zwar klingen Namen wie Deutsches Institut für Servicequalität, Testberichte.de oder 10toptest.de vielversprechend und seriös. Doch die allermeisten dieser Anbieter sind unseriös.

Wieso unseriös?

Weil viele dieser Anbieter mit ihren angeblichen Tests nicht der Information von Verbrauchern dienen und auch keine Probleme aufdecken wollen, um eine Verbesserung der Produkte zu befördern, sondern finanzielle Eigeninteressen verfolgen.

Können Sie das belegen?

In den vergangenen Jahren ist in Deutschland der Verkauf von Testsiegeln zu einem großen und verschwiegenen Geschäft geworden. Auf fast jedem Produkt befindet sich heute mindestens ein Label, mit dem es von irgend jemandem zum „Testsieger“ gekürt wurde. Fast jedes Finanzprodukt, fast jede Krankenkasse wirbt heute mit mehreren Siegeln. Dahinter steckt eine Label-Industrie, die hochprofitabel ist. Denn Hersteller beziehungsweise Unternehmen zahlen oft Tausende Euro dafür, dass sie mit positiven Urteilen werben dürfen. Anbietern von angeblichen Tests geht es darum, möglichst viele Label zu verkaufen. Insofern können sie keine „ausreichenden“, „mangelhaften“ oder gar „ungenügenden“ Produkte gebrauchen, sondern möglichst viele „gute“ und „sehr gute“ – egal, ob das Produkt oder die Dienstleistung die Bewertung verdient.

Haben Sie ein konkretes Beispiel dafür?

Da gibt es viele. Das Geschäftsmodell lässt sich gut am Beispiel eines Tests von Goldhändlern beschreiben, den das Deutsche Finanz-Service Institut im Auftrag der Zeitschrift Focus Money durchgeführt hat. Wobei man eigentlich nicht von Test sprechen kann, denn Grundlage war ein von den Händlern selbst ausgefüllter achtseitiger Fragebogen, der nur stichprobenartig verifiziert wurde. Der Test war in 18 Kategorien unterteilt. Das ist lukrativ, denn in jeder Kategorie können dann Testsieger gekürt werden, an die sich Label verkaufen lassen. Insgesamt wurden bei diesem Test 139 Mal „sehr gut“ und „gut“, aber nur neun Mal „befriedigend“ vergeben. Ich weiß, dass für ein Label von Focus Money bis zu 10.000 Euro gezahlt werden.

Jürgen Stellpflug (64) ist Diplompolitologe, hat bei der TAZ Journalismus gelernt und war fast 30 Jahre lang Chefredakteur der Zeitschrift Öko-Test. Seit 2018 ist er Chefredakteur von www.testwatch.de
Jürgen Stellpflug (64) ist Diplompolitologe, hat bei der TAZ Journalismus gelernt und war fast 30 Jahre lang Chefredakteur der Zeitschrift Öko-Test. Seit 2018 ist er Chefredakteur von www.testwatch.de © PR

Es wird also meist gar nicht getestet?

Nein. Wer zum Beispiel „Test Rasenmäher“, „Test Kreditkarten“ oder „Test Mineralwasser“ googelt, bekommt als Treffer auch Seiten wie vergleich.org, 1a-test.de oder elektrorasenmaehertest.de angezeigt. Im Gegensatz zu klassischen Testmagazinen werden Produkte dort oft nicht selbst in die Hand genommen, sondern nur verglichen. Meist lässt sich aber gar nicht erkennen, auf welcher Grundlage diese Vergleiche erfolgen. Manchmal werden einfach nur die bei Amazon verfügbaren Beschreibungen kopiert und in Tabellen als Vergleichstests ausgegeben. Die Ergebnisse erscheinen oft willkürlich. Und die Kriterien sind meist wenig relevant für die Qualität des Produktes. Beispiel dafür sind die Siegel, mit denen Möbelhäuser werben.

Höffner wirbt unter anderem mit dem Siegel „Beliebtestes Möbelhaus“ und „Höchste Kundentreue“, Roller mit „Preissieger“ und „Beliebteste Marke“ Was ist dagegen zu sagen?

Wir haben uns die Auszeichnungen der zehn größten Möbelhäuser in Deutschland angesehen. Für keine spielt die Qualität der Möbel eine Rolle – also, ob sie billiger Plastikmüll oder aus hochwertigen, natürlichen Materialien hergestellt sind, wie haltbar sie sind und ob sie mit Schadstoffen belastet sind. Um das herauszufinden, müsste man teure Laboruntersuchungen machen und nicht lediglich – wie für fast alle dieser Label – Meinungen von Kunden einholen. Die wissen im Übrigen auch nichts über die möglicherweise menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen und die unfaire Bezahlung in den Möbelfabriken irgendwo auf der Welt, wenn sie beispielsweise XXXLutz zu „Deutschlands bestem Händler“ wählen. Solche Auszeichnungen sind jedenfalls keine Hilfe für jemanden, der gute Möbel sucht. Nur bei Ikea, dem Dänischen Bettenlager und Möbel Martin haben wir keine derartigen Label gefunden.

Testberichte.de, das sich selbst als Verbraucherportal bezeichnet, hat jetzt gerade die Felsenburg Neurathen zur beliebtesten Burg Sachsens gekürt. Sie soll nach Auswertung von einer Million Online-Bewertungen sogar beliebter als Neuschwanstein sein. Also auch alles nur Irreführung?

Schon allein der Name Testberichte.de ist irreführend, genauso wie ähnlich lautende Webseiten wie Testbericht.de oder Testsieger.de. Denn das Portal erstellt gar keine Testberichte. Stattdessen werden aus Testergebnissen unterschiedlicher Quellen eigene Durchschnittsnoten, Bestenlisten und Rankings erstellt – darunter seriöse wie unseriösen Seiten. Oder es werden wie bei den Burgen Bewertungen von Besuchern ausgewertet. Zwar verlassen sich heute etwa drei Viertel aller User auf Bewertung anderer Kunden. Doch das sollte man lieber nicht tun.

Weil sich gute Bewertungen auch kaufen lassen?

Viele positive Bewertungen sind heute tatsächlich gekauft – von Hotels, Ärzten oder Anwälten. Wer „Bewertungen kaufen“ bei Google eingibt, dem wird unter den ersten Treffern die Seite Fivestar-Marketing angezeigt. Sie bezeichnet sich als „Marktführer im Bewertungsmanagement“ und bietet ganz offen „von echten Menschen geschriebene Google-Bewertungen“ an. Eine 5-Sterne-Bewertung kostet 12,95 Euro. Im Sinne des eigenen Umsatzes empfiehlt Fivestar, es nicht bei einer gekauften Bewertung zu belassen. Denn die Statistik zeige, dass „Produkte mit 50 oder mehr Bewertungen deutlich häufiger im Warenkorb landen“ würden. Für 50 Best-Bewertungen gibt Fivestar sogar 161,55 Euro Rabatt im Vergleich zum Einzelpreis. Damit lässt sich gut Geld verdienen – genauso wie mit sogenannten Affiliate-Programmen.

Und die funktionieren wie?

Da werden die „getesteten“ oder „verglichenen“ Produkte auf einen oder mehrere Online-Shops verlinkt. Dafür gibt es dann eine – meist umsatzabhängige – Vergütung. Auch das funktioniert nur, wenn es möglichst viele „sehr gute“ und „gute“ Bewertungen und Testergebnisse gibt. Denn wer kauft schon ein schlechtes Produkt.

Auf welche Tester kann man sich denn aus Ihrer Sicht überhaupt noch verlassen?

Auf diejenigen, die die Regeln der guten fachlichen Praxis des Testens einhalten. Diese wurden bereits 2014 unter Federführung des Bundesverbraucherministeriums erarbeitet, um der Täuschung einen Riegel vorzuschieben. Demnach dürfen Testergebnisse und deren Veröffentlichungen nicht durch wirtschaftliche Interessen beeinflusst sein. Wird die Werbung mit Testergebnissen gestattet, müssen die Bedingungen dafür einschließlich der Entgelte offengelegt werden. Bis heute haben sich aber nur die vier Erstunterzeichner verpflichtet, diese Regeln zu beachten: Die Stiftung Warentest, Öko-Test, der ADAC und die Zeitschrift c‘t aus dem Heise Verlag.

Höffner wirbt mit dem Siegel „Beliebtestes Möbelhaus“ - über die Qualität der Möbel sagt es allerdings nichts aus.
Höffner wirbt mit dem Siegel „Beliebtestes Möbelhaus“ - über die Qualität der Möbel sagt es allerdings nichts aus. © PR

Auch die Stiftung Warentest und Öko-Test verlangen Geld für ihre Test-Siegel.

Sie legen das aber offen. Allerdings habe ich schon immer kritisiert, dass man sich angreifbar macht, wenn man Geld verlangt. Öko-Test nimmt inzwischen schon 5.000 Euro für zwei Jahre Werbung mit ihrem Siegel. Eine solche Erhöhung wollte ich nicht mitgehen. Deshalb bin ich als Chefredakteur nicht mehr tragbar gewesen.

Und wie finanzieren Sie sich mit Testwatch?

Ich muss kein Geld mehr verdienen. Wir sind ein kleines ehrenamtliches Team und die Fixkosten gering. Man kann bei uns gegen einen geringen Betrag Mitglied werden oder uns mit Spenden unterstützen. Wir sind finanziell unabhängig.

Wie testen Sie denn, wenn Sie die Tester testen?

Ich schaue mir an, ob es nachvollziehbare Kriterien dafür gibt, dass ein Produkt zum Test-, Vergleichs- oder Preis-Leistungs-Sieger gekürt wird. Die Kriterien müssen relevant sein, und es muss ein Zusammenhang mit der Bewertung der Produkte erkennbar sein. Da ich das fast 30 Jahr bei Öko-Test praktiziert habe, habe ich einen geübten Blick dafür. Das Ergebnis veröffentlichen wir dann auf unserer Webseite.

Dann haben Sie bestimmt einen guten Anwalt?

Ich weiß aus Erfahrung, wie man sich absichert und wie man mit Klagen umgeht. Bis jetzt gab es aber noch keine Probleme.

Was könnte denn die Politik tun, um Verbraucher besser vor irreführenden Tests zu schützen?

Die Verbraucherkommission des Landes Baden-Württemberg hat schon vor anderthalb Jahren ein Vertrauenslabel-Gesetz für Tests und Testsiegel gefordert. Wenn Testveranstalter nicht freiwillig bereits sind, ihre finanziellen Interessen offenzulegen, müssen sie dazu verpflichtet werden. Das zeigt zum Beispiel auch das Urteil des Oberlandesgerichts München. Es hat das Vergleichsportal Check24 verpflichtet, Nutzer über Provisionen für abgeschlossene Verträge aufzuklären. Ein Grundsatzurteil, ob Geldverdienen mit Labeln erlaubt ist, gibt es leider noch nicht. Hilfreich wäre deshalb eine Musterklage, zum Beispiel durch den Bundesverband der Verbraucherzentralen. Der Bund könnte das Prozesskostenrisiko übernehmen, damit Verbraucher ihr gutes Geld nicht länger für Mist ausgeben.