Von Heike Sabel
Die Mütze ist in erstaunlich gutem Zustand. Das Grün und das Violett sind noch kräftig, die Stickerei vollständig erhalten. Sie stammt von Hilde. Sie war damals Gottfried Fiedlers Balldame. Diese bestickten die Mützen ihrer Tänzer. So war es Tradition vor über 80 Jahren. Als Zwölfjähriger hat er sie 1928 das erste Mal getragen, das letzte Mal 1935. Nun ist sie wieder aufgetaucht. Morgen kommen und sie ihr Träger zurück ins heutige Schiller-Gymnasium, die damalige Höhere Schule.

Zwischen damals und heute liegen acht Jahrzehnte. „Die Mütze hat es besser gehabt als ich“, sagt Gottfried Fiedler. „Sie ist in der Heimat geblieben, den Mützenträger hat es herumgeschleudert in der Welt.“ Der gebürtige Schandauer ist heute 98, seit 22 Jahren lebt er im Seniorenheim auf der Einsteinstraße. Er sitzt im Rollstuhl, ist blind und hört schlecht, doch sein Geist ist hellwach.
Ich muss die Mütze hergeben, so der so, sagt Gottfried Fiedler. „Doch lieber jetzt und wissend.“ Dass er sie wiederfand, war ein Zufall. In einem Koffer lag sie, gemeinsam mit seinem Talar. Manchmal hatte er wohl an die Mütze gedacht in all den Jahren, doch als er sie wieder in den Händen hielt, war es für ihn merkwürdig und eine Überraschung. Zunächst hatten seine Eltern die Mütze aufbewahrt. Vielleicht dachten sie, wenn die Mütze noch da ist, ist er auch noch da. Denn im Krieg wussten sie viele Jahre nicht, wo ihr Sohn ist. Acht Jahre war er in Frankreich, Russland, Polen, wurde verschüttet und war in amerikanischer Kriegsgefangenschaft in Italien. 1947 kam er zurück nach Bad Schandau, wurde Vikar und Pfarrer in Chemnitz, obwohl sein Wunsch Pirna war.
Einlösung eines Versprechens
An die Mütze dachte er da kaum. Doch eine Helferin aus der Schandauer Kirchgemeinde bewahrte sie auf. Er hatte sie als Schüler zwar nicht besonders pfleglich behandelt, „manchmal ganz schön zerknietscht“, doch verloren hat er sie nie. „Das wäre schlimm gewesen.“
Der Zweite Weltkrieg hat seine Pläne zerstört. Gottfried Fiedler wollte wissenschaftlich in der Theologie arbeiten. Er war bester Schüler, bester Student und gab noch vor 20 Jahren jungen Leuten Nachhilfe in Latein, Griechisch, Französisch.
Die Mütze geriet darüber in Vergessenheit. Dann half der Zufall. Gert Steinert, der engagierte Geschichtslehrer am Schiller-Gymnasium, war vor 14 Jahren auf einen Artikel im Heimecho des Pflegeheimes gestoßen. Fiedler hat in über 500 Beiträgen unter anderem über seine Schulzeit geschrieben. Steinert nahm Kontakt mit Fiedler auf. Der wünschte sich, einmal noch seine alte Schule zu besuchen. Und Steinert lud ihn ein. „Etwas vollmundig bot ich ihm an, ihn notfalls im Rollstuhl in die Schule zu fahren. Dabei war sie ja noch nicht barrierefrei.“ Als sie dies nach dem Umbau war, lag Gottfried Fiedler im Krankenhaus. Es verging einige Zeit. In diesem Februar, zum Tag der offenen Tür, kam schließlich Fiedlers Betreuer ins Gymnasium. Er brachte weitere Beiträge aus dem Heimecho und noch einmal den Kontaktwunsch von Fiedler. Zum 98. Geburtstag im Februar besuchte Steinert mit seiner AG Geschichte Gottfried Fiedler. Man kam auf Fotos und eben die Schülermütze zu sprechen. Da erinnerte sich Fiedler wieder an sie, und sein Betreuer fand sie schließlich. „Nun kann ich mein Versprechen einlösen“, sagt Gert Steinert und hat für morgen ein feierliches Programm erstellt. Für Gottfried Fiedler wird es ein anstrengender Tag. Und ein aufregender. „Wie alt ist die Mütze jetzt?“, fragt er. Er könnte es selbst ausrechnen, aber er glaubt es wohl selbst nicht. Auch nicht, dass er schon 98 Jahre alt ist. Als er Kind war, gab es in Bad Schandau eine 91-jährige Frau, für damalige Verhältnisse uralt.
Als Gottfried Fiedler geboren wurde, war Krieg. Der Erste Weltkrieg. Die Hebamme sagte damals zu seiner Mutter: Den Jungen bringen wir nicht durch. „Doch das Herz hat durchgehalten, bis heute.“