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Die mutigen Eltern

Susann Rau und Falk Steinborn erlebten, wie gegen ihren Willen über ihre Kita in Bischofswerda entschieden wurde. Seitdem kämpfen sie.

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© Steffen Unger

Von Gabriele Naß

Bischofswerda. Am 23. August erlebte der Stadtrat Bischofswerda einen der emotionalsten Momente dieses Jahres. Es ging um die Schließung der Kindervilla Sonnenschein am traditionsreichen Standort Clara-Zetkin-Straße und deren Umzug in die Südstadt. Mit einer drei A4-Seiten langen Erklärung versuchte Mutti Susann Rau aus Hauswalde, die Stadträte umzustimmen. Auch Vati Falk Steinborn aus Bischofswerda sprach. Andere Eltern und Erzieherinnen saßen in den Gästereihen. Tränen flossen schon, während die Debatte lief.

Erst kurz vor der Sitzung durften die Eltern erfahren, was aus ihrem Kinderhaus werden soll. Nun warben sie eindringlich für die Sanierung der Villa anstelle des geplanten Neubaus. „Entscheiden Sie nicht zu leichtfertig“, sagte Susann Rau. Die Abgeordneten folgten dem Vorschlag der Verwaltung für Umzug und Neubau. Argumente aus deren Sicht: Neu gebaut wird für die beiden dringend sanierungsbedürftigen Kinderhäuser Sonnenschein und Regenbogenvilla. Das mache die Kindereinrichtungen zukunftsfähig. Attraktiver werden solle dadurch der Stadtteil Süd.

Gefühl der Ohnmacht bleibt

Die Erlebnisse vom Sommer sind bei den Eltern präsent. Das Gefühl der Ohnmacht habe sich nicht abstreifen lassen, erzählten sie jetzt auf Bitten der SZ in einem Gespräch. „Ich habe mir Gedanken gemacht, weil ich mir nicht sicher war, ob alle in der Sitzung genau wissen, was es zu diskutieren gibt, bevor entschieden wird. Doch dann habe ich mitbekommen, dass im Grunde alles entschieden ist“, sagt Susann Rau. Viele Reaktionen seien ihr vorgekommen „wie die eines trotzigen Kindes, nach dem Motto: Egal, was die anderen sagen“. Die Eltern warben für den Erhalt des Standortes wegen der „zentralen Lage, weil es Parkplätze und einen wundervollen Spielplatz in der Nähe gibt, Eisdielen, Sporthalle, Stadion, Läden, Tierpark – Stadtleben. Das Montessori-Konzept lebt von dem, was Kinder umgibt“, sagt Susann Rau. Dass die Villa nicht zu einem vernünftigen Preis sanierungsfähig sein soll, leuchte ihr nicht ein, sagt die Mutti, die ihrem Mann im Schornsteinfegergeschäft hilft und außerdem in der Immobilienbranche sowie als Energieberaterin arbeitet. Sie meint, die Stadt könne sogar sparen. Öffentlich mit Worten zu kämpfen, lag für Falk Steinborn und Susann Rau nicht nahe. Sie sagt sogar, sie sei sensibel und eher zurückhaltend. Sie hätte sich trotzdem hingestellt, weil sie das ihrem Kind schuldig sei, um Vorbild zu sein. Falk Steinborn sieht das genauso. Man müsse handeln und nicht stillschweigend hinnehmen, was nach eigener Überzeugung falsch ist. Nach wie vor müsse sie in Kauf nehmen, immer mal wieder zurechtgewiesen zu werden, sagt Susann Rau, die inzwischen in der Arbeitsgruppe Kita-Neubau mitarbeitet.

Ausgeprägtes Gerechtigkeitsdenken

Was montags in Dresden passiert, verfolgen beide Eltern aufmerksam. „Ja, ich habe ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsdenken. Und ja, ich fühle mich ungerecht behandelt“, sagt Falk Steinborn. Schon unter Ex-OB Andreas Erler sei es um die Kita Sonnenschein gegangen, damals stand eine Zusammenlegung mit der Einrichtung Kunterbunt im Raum. „Wir waren aufgewühlt. Noch keiner hatte sich richtig damit befasst, aber entschieden werden sollte. Es wurde nicht ehrlich agiert. Wir hatten die Hoffnung, das ändert sich.“ Als es jetzt wieder um ihr dringend sanierungsbedürftiges Kinderhaus ging, habe man ihnen gesagt, sie würden einbezogen. Falk Steinborn ist enttäuscht, dass er am Ende wieder „vor vollendete Tatsachen gestellt wurde“. In Dresden dabei sein wolle er aber trotzdem nicht, um seinem Ärger Luft zu machen. Beiden Eltern geht es nicht um einen Protest, der ihre Probleme vor Ort nicht löst. „Ich kämpfe, aber ich brauche dafür Fakten und Argumente“, sagt Susann Rau. Genügend Kraft, sich auseinanderzusetzen, haben die zwei, weil sie wissen, „dass andere Eltern hinter uns stehen“. Sie hätten es aber auch für die Erzieherinnen im Kinderhaus getan, die sich wegen ihrer Loyalität zurückhalten mit öffentlichen Äußerungen. „Wir sind in eine Lücke gesprungen, die entstanden ist“, sagen die Eltern.

Susann Rau und Falk Steinborn vertrauen auf Montessori. Er, der Lokführer-Ausbilder, und seine Frau, die Erzieherin ist, habe die Kita zunächst aber gar nicht wegen des Konzeptes in Erwägung gezogen, sondern vor allem wegen der Nähe zum Zuhause. „Einmal Innenstädter, immer Innenstädter“, sagt Falk Steinborn. Aber sie waren vom Sonnenschein in dem Moment überzeugt, als sie das Haus kennenlernten, sagt er. Mehr als andere biete sie Raum für „eigenen Willen, freie Entscheidungen, selbstständiges Denken und Handeln, beim Überwinden von Schwierigkeiten“.

Susann Rau ist überzeugt, dass die Lehre „viel mehr einbezogen werden müsste in Umgang mit Kindern und Erwachsenen“. Ob alle Eltern, die das schätzen, die Montessori-Kita am neuen Standort Süd wählen werden, ist ungewiss. Er habe sich mit dem Umzug „an den Rand einer Plattenbausiedlung“ immer noch nicht abgefunden, sagt Falk Steinborn. Sie auch nicht, sagt Susann Rau. Denn abgesehen vom so ganz anderen Umfeld, an das es sich zu gewöhnen gilt, bringe es die für Familien gewohnte Abläufe durcheinander. Das Bringen oder Abholen der Kinder zu verbinden mit Einkäufen oder Eisessen werde erschwert. Die Eltern sind sich sicher, dass das dem Leben in der Innenstadt nicht guttun wird. Raus und Steinborns werden Montessori aber treubleiben. „Schon weil die Erzieherinnen mit umziehen, mit denen das Konzept hier lebt“, sagt Falk Steinborn. Die Montessori-Kita in Bischofswerda ist eine der wenigen in der Region. Dass das Konzept noch viel bekannter wird, hätte Susann Rau gern. Deswegen und um das Maximale rauszuholen für die traditionsreiche Kita am neuen Standort hat sie sich bereiterklärt mitzuarbeiten in der Arbeitsgruppe für den Kita-Neubau.