Die neun Görlitzer Lehren aus Corona

Für viele Menschen im Landkreis Görlitz haben sich die Lebensbedingungen noch nie zuvor so sehr verändert wie in den vergangenen Wochen. Seitdem die Corona-Pandemie sich nicht mehr ungebremst ausbreiten darf, gelten Regeln für alle und jeden. Niemand ist ausgenommen - Abstand halten, Händewaschen, Zuhause bleiben.
Kurzarbeit, Homeschooling, Homeoffice, Alleinsein, Einsamkeit, Besuchsverbote, Reiseverbote, heruntergefahrene Produktion in vielen Firmen, geschlossene Geschäfte, Gaststätten, Museen, Kinos, Parks, Spielplätze, Sportplätze, Turnhallen, Fitnessklubs, Schwimmhallen: Wer hätte noch zu Jahresbeginn mit solchen Bedingungen und Einschränkungen gerechnet? Je besser sich alle daran halten, desto besser gelingt es, die Pandemie einzudämmen. Und bei all den Einschränkungen, Problemen, Sorgen, Anforderungen: Die Zeit der Pandemie eröffnet auch neue Sichtweisen und Einsichten. Einige davon haben die Redakteure aus Görlitz und Niesky zusammengetragen.
1: Offene Grenzen, das war gut

Man merkt ja immer erst, was einem fehlt, wenn es plötzlich nicht mehr da ist. Im Fall der Reisefreiheit zu den Nachbarn nach Polen und Tschechien ist das besonders spürbar. Berufspendler, die plötzlich nicht mehr selbstverständlich über die Neiße zur Arbeit kommen können, oder nur unter erschwerten Bedingungen, Einkaufen bei den Nachbarn, Tanken, Freunde, Verwandte besuchen – derzeit kaum möglich. Welch hohes Gut, offene Grenzen sind, das können gerade in der DDR Aufgewachsene nachvollziehen. Es wird Zeit, die Zäune wieder abzubauen. (SZ/mk)
2: Auch in der Heimat ist es schön

Mit der Reisefreiheit ist es erst einmal vorbei. Also bleibt in Zeiten von Ausgangssperre und Kontaktbeschränkung nur die eigene Wohnung? Nein! Sportliche Betätigung an frischer Luft war zum Glück zu jedem Zeitpunkt erlaubt. Und sehr viele Leute in Görlitz, Niesky und Umgebung haben das rege genutzt und sich zu Fuß oder per Fahrrad aufgemacht, um das eigene Umfeld zu erkunden. Oft mit der Erkenntnis: Auch in der Heimat ist es schön, gerade jetzt im Frühling. Jede Wette: Spazieren gehen und Radeln bleibt angesagt, auch wenn Corona irgendwann vorbei ist. (SZ/ik)
3: Glücklich, wer Omas hat

Je länger die Pandemie anhält, umso belastender für die Großeltern. Aus guter Absicht sollten alle zu ihnen Abstand halten, weil sie besonders gefährdet sind. Doch was ist Omas Bolognese wert, wenn kein Enkelsohn sie glückselig in sich hineinschaufelt? Und auch die Familien müssen ohne sie zurechtkommen. Und das gerade jetzt, wo Schulen und Kindergärten geschlossen haben. Wie wichtig die Großeltern sind, sollte niemand vergessen, wenn der Corona-Spuk (hoffentlich) bald vorbei ist. Dann wird es Zeit, etwas zurückzugeben. (SZ/mxh)
4: Der Handel muss sich anpassen

Der Einzelhandel in Görlitz und dem Kreis hat unter Corona gelitten. Wochenlang geschlossene kleine Läden – das geht für viele an die Existenz. Was tun? Aufgeben? Auf Hilfe vom Staat warten? Nein. Viele haben sich angepasst. Online ist das Stichwort, verkaufen über das Internet. Was große Unternehmen wie Amazon und Co. können, kann der stationäre Einzelhandel auch. Neue Lektüre beim hiesigen Buchhändler des Vertrauens am Computer bestellen beispielsweise? Geht! Essen außer Haus von der Lieblingskneipe? Möglich! Lokalen Geschäften helfen, einigermaßen glimpflich durch die Krise zu kommen, das Internet macht es möglich. (SZ/mk)
5: Wir kochen besser

Wir kochen gut. Das Rezeptbuch kennt wohl jeder. Zumindest den Umschlag. Denn tatsächlich kochen wir gar nicht gut, die Kochkompetenz der Deutschen sinke drastisch, sagt die Deutsche Ernährungsindustrie. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch ältere Umfragen. In der Krise habe darauf auch die hohe Nachfrage nach Lebensmitteln, die sich leicht zubereiten lassen, hingedeutet. Aber womöglich kochen wir jetzt etwas besser. All die Zeit daheim, Angst vor den Kilos oder weil Pizza auf Dauer doch langweilig wird – einen Grund muss es ja haben, dass plötzlich viele Beiträge wie "Kochen in Zeiten von Corona" in Medien und Netz so beliebt waren. (SZ/sdn)
6: Wir helfen Nachbarn gern

Was Isolation und Kontaktsperre bedeuten, haben Görlitzer am eigenen Leib erfahren. Da stellte sich heraus, dass sonst Alltägliches kompliziert sein kann oder gar nicht geht. Doch plötzlich war sie wieder da: die Solidarität unter den Menschen. Man hilft sich gegenseitig und lernt Bewohner des Hauses kennen, die man sonst kaum wahrgenommen hat. Es klingt paradox: Der soziale Abstand unter den Menschen ist geschrumpft. Nachbarn leben wieder Nachbarschaft. Das sollte so bleiben. Der räumliche Abstand aber wird wohl noch lange nötig sein. (SZ/gla)
7: Führung in der Krise

Spahn, Söder, Merkel, Laschet – auf Bundesebene kennt jeder die Gesichter in der Krise. Aber im Landkreis? Landrat und Amtsärztin haben lange benötigt, um persönlich die Lage zu erklären. Ein bisschen zu lange. Am kommenden Montag ist ihr dritter Pressetermin in sieben Wochen, das schafft das Robert-Koch-Institut in einer Woche, aber auch andere Kreisbehörden. Gerade in einer Krise wollen die Menschen Führung. Im Kreis, der für die Gesundheitsvorsorge zuständig ist, fiel sie aus. (SZ/sb)
8: Schneller Kontakt ist nötig

Was macht denn eigentlich die Oma? Geht es ihr gut? Ok, wir rufen mal an. Heute muss man sich nicht mehr mit dem Hörer am Ohr zufriedengeben. Videotelefonie hat in Corona-Zeiten einen Aufschwung erlebt. Wir können der Oma quasi beim Mittagkochen zuschauen. Private Anrufe sind das eine. Das andere: In Zeiten von Homeoffice können wir so auch mit den Kollegen plauschen, ohne ihnen nahe zu kommen, egal, wo sie gerade arbeiten. Notwendig ist dafür die digitale Infrastruktur, der Ausbau des Glasfasernetzes, der Mobilfunknetze – gerade auf dem Land. (SZ/mk)
9: Mehr Respekt für Klofrauen

Diese Krise hat ihre vielen Helden: Klofrauen, Pfleger, Köche, Boten bei Post und Zeitung, Verkäufer. Es sind auffällig viele Berufe, die vor der Corona-Zeit nicht allzu hoch im Ansehen standen. Eher verschämt sah man die Klofrau im City-Center, schlecht bezahlt sind die Altenpfleger. Doch in der Krise zeigte sich, ohne sie ist kein Staat zu machen. Ob das neue Renommee anhält – und vielleicht auch dazu führt, dass diese Berufsgruppen besser entlohnt werden? Es wäre der verdiente Dank für ihr Durchhalten in schweren Wochen. (SZ/sb)