Von Martin Machowecz
Zum besten Orchester der Welt fehlen Markneukirchen eigentlich nur Musiker, ein Dirigent und die große Bühne. Die Geigen und die Tuben, die Celli und die Klarinetten, Tausende der wertvollsten Instrumente – die sind schon hier. Die F-Tuba von der Firma „Ja-Musik“ zum Beispiel. Modell 3100WG-L hat gerade den Deutschen Musikinstrumentenpreis gewonnen, verliehen vom Bundeswirtschaftsministerium auf der Frankfurter Musikmesse.
Ein Meisterwerk, golden und groß und schwer, in die Öffnung würde ein Kopf passen. Wie sie gestaunt haben: Der Körper ist neu geformt, das Mundrohr nach neuesten Erkenntnissen umgebaut, das sei ja genial, sagten die Frankfurter. Wer’s braucht, zahlt für dieses Instrument 12950 Euro. Sogar der berühmte Hannoveraner Tubaprofessor Jens Bjørn-Larsen half bei der Entwicklung. Zur Preisverleihung sind Bürgermeister Jacob und Altbürgermeister Hoyer nach Frankfurt gereist. Eine Stadt ist stolz.
Vom Musikwinkel in die Welt
„Instrumentenbauer, die so was herstellen können, finden wir nur hier“, sagt Marcus Borchert, der Sprecher von „Ja-Musik“. Nur im Musikwinkel. Nur in Markneukirchen. Man muss sie dort nicht lange suchen. Allein die „Ja-Musik GmbH“ beschäftigt 200 von ihnen.
Denn Pauken und Trompeten aus dieser Stadt gehen noch immer in die ganze Welt. Gleich am Ortseingang stehen die Gitarren von Framus, die Elvis liebte. Um die Ecke baut Warwick weiterhin donnernde Bassgitarren, die Paul Gray von Slipknot spielt und Sam Rivers von Limp Bizkit.
Alle drei Musiker waren wohl nie hier. Wer Markneukirchen und seine 7000 Bewohner besuchen will, muss ins Vogtland, mit dem Zug bis zum vorletzten Bahnhof, noch zwei Kilometer laufen. Er steht dann in einem winzigen Ort, wo an jeder Ecke die besten Geigen, Gitarren und Klaviere entstehen, die man auf der ganzen Welt bekommen kann. In Markneukirchen spielt nicht die Musik. Aber hier wird alles getan, damit das anderswo passiert.
Wenn zum Beispiel Ekkard Seidl, ein Mann mit Vollbart und wildem Haupthaar, kurzen Nägeln und schnellen Fingern, seine Schnecke berührt, sanft mit der Hand über den Hals streichelt, erst den Wirbel, schließlich den ganzen Körper abtastet; dann ist das Liebe. Ekkard Seidl baut Geigen, den ganzen Tag, das ganze Jahr. Und dass Geigenteile wie Menschenteile heißen, ist vielleicht ganz passend. „Geigen sind alles für mich“, sagt Seidl.
Der Mann gehört zu den Markneukirchnern, deren Leben vier Saiten hat. Sein Lieblingswitz ist der vom alten Mann, dem der Schneider einen schiefen Anzug näht. Die Leute sagen dann auf der Straße: „Mei, is‘ der Alte bucklig, aber einen tollen Schneider hat er!“ Eine Geige muss passen. „Die Kunden vertrauen drauf, dass ich ein guter Schneider bin“, sagt er. Die Wiener Symphoniker, das Berliner Rundfunkorchester. Wenn im Leipziger Gewandhaus eine Violine fiedelt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Seidl sie in der Hand hatte, ziemlich groß.
Ein Bild vom Meister
Seidls Werkstatt dagegen ist ziemlich klein. Vorbesitzer Jochen Voigt war einer der besten Geigenbauer der Stadt. Der große Schrank ist 180 Jahre alt. Noch älter soll das Apothekerregal sein, das mitten im Raum steht. „58 Schubfächer“, sagt Seidl. „Vom Feinsten.“ Kurz vor der Wende rettete er das Regal vor der Entsorgung und ließ es mit einem Kran durchs Werkstattfenster heben, weil das Treppenhaus zu schmal war. Die Häuser im Vogtland sind kleine, gemütliche Märchenhütten.
Von der Werkbank vorm Fenster aus hat Ekkard Seidl täglich Straßenblick. Die Geige, an der er feilt, sieht ziemlich fertig aus. Er wird die nächsten zwei Stunden an ihr feilen, und die Geige wird danach immer noch ziemlich fertig aussehen, mit schönen runden Ecken und perfekt verleimtem Boden, sie wird nach Fichten- und Ahornholz duften und nach gammeligem Tier, das ist der Naturleim, der Geruch verfliegt noch. Seidl muss sich „auf das Holz einlassen“.
Das dauert. 120 Arbeitsstunden stecken schon in der Geige. 80 fehlen noch. Seidl macht alles selbst, vom Aussuchen des Holzes bis zum Stimmen des Instruments. So schafft er sechs bis acht Geigen im Jahr. Eine kostet 10000 Euro, mindestens. Wer sie kauft, kriegt eine Foto-Dokumentation dazu, die jeden Arbeitsschritt zeigt, und den Meister, wenn er die Geige im Arm hält wie ein Menschenkind.
Eine Geige muss wachsen
Wer eine Geige will, braucht Geduld, denn sie muss wachsen. Markneukirchen ist gemütlich, Ekkard Seidl ist gemütlich, und wer nicht warten kann, der braucht hier nicht aufzukreuzen. Es gibt eine Mauer in Markneukirchen, auf der steht: „Stell dir vor, es wär Krieg.“ Jemand hat „Na und?“ danebengeschrieben.
Es hat sich nicht so viel verändert, seit 1648 die ersten Instrumentenmacher aus Böhmen nach Markneukirchen flüchteten. Freilich, zwischendurch lebte hier Johann Georg Schönfelder II., der „Stradivari des Vogtlands“. Außerdem hat „Boutique Mandy“ auf dem Markt eröffnet, „Dessous und Textil“. 1677 gründeten die Geigenbauer ihre eigene Innung. Seit 1710 baut man Holzblasinstrumente, 1750 kamen die Bogenmacher. 1863 bis 1916 hatte Markneukirchen ein eigenes US-Konsulat, das sich mit nichts als dem Export von Instrumenten befasste. Selbst die DDR hat man irgendwie geschafft. Ohne Plattenbauten.
Stattdessen mit Zuckerbäckerhäuschen und Ziegelbüdchen. Prachtvollen Villen, reich verzierten Giebeln, zauberhaften roten Dächern. Die Vogtländer sind zufrieden mit sich. Man hört das an ihrem Dialekt. Der letzte Buchstaben wird verschluckt, es heißt dann, „Trepp“ statt „Treppe“. Und zur Stadt, in der man wohnt, sagt man „Markneikirch“.
Die Chinesen, aber ja doch
„Dass wir hier alle auf einem Haufen sitzen, das macht scho was aus“, sagt Ekkard Seidl. Nicht nur, weil man zusammen einen trinken gehen kann. „Wenn mal jemand Probleme mit dem Leim hat. Oder wenn Holz gekauft werden muss. Dann hilft man sich. Mein Holz hat 15 Jahre zu lagern. Versuchen Sie mal, das anderswo zu kaufen.“ In Markneukirchen brauchen das Holz der Hillerbernd, der Veitjacob, der Kretzschmannudo und der Fockemarco, der Richtereckart und, in der Erlbacher Straße, der Wunderlichjörg. Es sind noch viel mehr. Nur für die Geigen.
Es gibt dann noch elf oder zwölf Metallblasinstrumentenbauer. Insgesamt 120 Betriebe, die Instrumente machen, die ganze Klaviatur, vom Piano bis zum Schifferklavier. Wenn sich in Markneukirchen zwei nicht grüßen, dann selten, weil sie sich nicht kennen.
„Das Handwerk des Instrumentenbaus war nie was für die Masse“, sagt Seidl. Die Chinesen, aber ja, doch, ja, es gebe ja noch diese Chinesen. „Die Chinesen brauchen Masse. Die sind Milliarden. Aber wer ein gutes Instrument will, kauft keins von der Stange.“ Manchmal kommen die Leute mit einer Discountergeige und fragen, ob man da nicht etwas tun könne, die klinge doch so schlecht, und er kenne sich doch aus mit Geigen. Seidl lacht dann immer, zeigt eine seiner Selbstgebauten und empfiehlt, Kleinholz aus der anderen zu machen. Geigen sind Präzisionsarbeit. Ist sie dicker, dünner, breiter, kürzer, schmaler, nur um Millimeter, klingt gleich alles anders. „Geigen sind die vollkommene Veredelung von Naturmaterialien“, sagt Seidl. Deshalb verkauft er nie über Händler. „Die meisten Kunden rufen einfach bei mir an.“ Woher die bloß immer seine Nummer haben.
Die schönste Villa im Ort
Die Musikinstrumentenbauer in Markneukirchen haben kein Konjunkturproblem. Mittlerweile kommen Touristen. Man nennt sich „Musikstadt“. Das Gymnasium bildet in der Musikinstrumentenherstellung aus. Eine Musikhalle musste Ende der 90er auch her, ziemlich überdimensioniert. Dort ist bald „Rock in the Hall“ mit der „AC/DC-Revival-Band“, die sich gar keine Markneukirchner Instrumente leisten kann. Die Jungen Original Oberkrainer sind angekündigt.
Markneukirchen ist jetzt auch Hochschulstadt. Auf die 7000 Einwohner kommen noch 50 Studenten des – Musikinstrumentenbaus. Deren Villa ist die schönste im ganzen Ort. Die Dielen knarren, es riecht nach Holz und Leim, überall Stuck, dunkle Wände, hohe Decken. Riesige Fenster, halbfertige Gitarren, großes Chaos. Die alten Meister aus dem Ort unterrichten selbst. Manche Studenten wissen nicht recht, ob sie das schön finden und sehen vor lauter Bäumen nur noch Wald. Weil Markneukirchen wahrlich nicht den Takt vorgibt. Aber das ist auch schon wieder liebenswert. Im wahrscheinlich größten Freiluft-Kunsthandwerksmuseum der Welt.