Die Saubermänner der Autobahn

Sauber erlegt ist der Keiler. Kein Blut, keine Schramme. Friedfertig glänzen seine spitzen Hauer in der Sonne. Drei Zentner dürfte das Tier haben, schätzt Lothar Berszick. Erfreut ist er trotzdem nicht. Berszick ist kein Jäger, sondern Straßenwärter. Und das hier ist nicht der Wald, sondern die Bundesautobahn 17. Das Wildschwein, von irgendeinem Auto niedergestreckt, ist eine Verkehrsgefahr. Es könnte Aasfresser anlocken. Aufladen kann Lothar Berszick das Tier nicht. Viel zu schwer. Ein Sicherungsfahrzeug mit Kran muss her – die Zentrale hat schon den Marschbefehl erteilt.
Im Schnitt benutzen 25 000 bis 30 000 Fahrzeugen täglich die A 17, bis zu 100 000 die A 4. Wo Autos sind und Menschen, da ist auch Abfall. Die Verkehrwege würden zu Müllkippen mutieren, gäbe es nicht Leute wie Lothar Berszick und Lothar Drechsler. Bei der Autobahnmeisterei Nickern in Goppeln fahren sie die Mosa, die mobile Sammelrunde. Mosa-Tag ist jeden Tag, 365-mal im Jahr, auch am Heiligen Abend und zu Silvester. Aussetzen unmöglich. Dann, so sagen die beiden, wäre die Müllflut nicht mehr zu beherrschen.
Die Lothars lassen den Keiler hinter sich und schwimmen mit ihrem Pritschenwagen im Verkehrsfluss weiter, Richtung Grenze. Tote Tiere auf der Piste sind für sie Alltag: Wildschweine, Rehe, Hasen, Füchse, Waschbären, Marderhunde, auch Greifvögel, die im Sog der Laster abstürzen. Sogar ein Fischotter war mal dabei. Solange die Kadaver handlich sind, nehmen die beiden sie mit. Ekel ist da fehl am Platz. „Du musst schon ein bisschen hart gesotten sein“, sagt Lothar Berszick. Wer einmal die Nase in den Kadavercontainer der Meisterei gesteckt hat, weiß, was das heißt.
Das Revier der Mosa-Fahrer ist eigentlich nicht die offene Strecke. Es sind die Raststätten und die Parkplätze mit Toilette, um die sich das Duo kümmert. Heute Morgen haben Berszick und Drechsler schon am Dresdner Tor und am Nöthnitzgrund aufgeräumt. Jetzt ist das Heidenholz dran, der Rastplatz unmittelbar an der Nahtstelle zu Tschechien. Damit der Unrat von dort noch auf die Ladefläche passt, mussten die beiden einen Zwischenstopp an der Müllpresse des Goppelner Betriebshofs einlegen. Fast 200 Tonnen, allein an Restmüll, wandern in der Meisterei jedes Jahr in den Schlund solcher Apparate.
Heidenholz, Einreise. Für gewöhnlich geht es hier leidlich gesittet zu, vielleicht, weil die Bundespolizei der Nachbar ist. Auf die Zustände im WC hat das keinen Einfluss. Neben nahezu jeder Kloschüssel liegt haufenweise Papier, benutzt. Lothar Berszick, ausgerüstet mit dicken Gummihandschuhen, fasst beherzt zu. Warum die Leute ihr Klopapier nicht im Toilettenbecken entsorgen? Er weiß es nicht. Hat mit mangelndem Anstand zu tun, sagt er, und mit Ignoranz. Mag sein, dass anderswo das Klopapier nicht mit weggespült wird. Aber wer hierher kommt, sollte sich informieren, was Sitte ist. „Wenn ich irgendwo hinfahre, mach’ ich das doch auch“, sagt der Straßenwärter. „Manche wollen es einfach nicht lernen.“
Dass es noch weit schlimmer geht, zeigt Lothar Drechsler mit einem Handy-Foto: Eine Kackwurst liegt direkt neben dem Klo. Obwohl der Lokus funktioniert. Ist er verstopft, wird gleich mehrmals daneben gemacht. Solche Sauereien finden die Männer jede Woche. Manchmal läuft der Dünnpfiff noch die Fliesen runter, sagt Drechsler. „Es ist einfach nicht zu glauben.“
Heute bleiben den Männern solche Bescherungen erspart. Auch draußen an den Müllkübeln, immerhin 35 bis 40 Stück pro Platz, sind die Säcke bald eingesammelt. Doch das dicke Ende kommt gegenüber, auf der Ausreiseseite. Hier muss jeder halten, der eine Vignette braucht. Außerdem haben in Berlin und Brandenburg die Ferien eingesetzt. Sobald die Reiserei anfängt, wird es am schlimmsten mit dem Abfall, sagt Lothar Drechsler. „Wenn die Autotüren aufgehen, fällt schon der Müll raus.“
Und wirklich, das Gelände sieht wüst aus. Die Tonnen haben Maulsperre, so vollgestopft sind sie. Bevor Lothar Drechsler einen Kübel leeren kann, füllt er schon einen Sack mit dem, was obendrauf oder drumherum liegt. Er greift in Wurstbrote, in Aschenbecherladungen und Scherben, angelt nach Dosen und Flaschen. Eine Pulle, die Mineralwasser enthalten hat, ist mit gelber Flüssigkeit gefüllt. Truckerschweiß, sagen Eingeweihte dazu, und meinen Urin, während der Fahrt „zwischengelagert“. Drechsler findet auch immer wieder Kackebeutel. Man kennt so was von Hunden. Hier ist der Inhalt menschlich.
Dann endlich Feierabend. Lothar Berszick überschlägt die Ausbeute: Hundertfünfzig Säcke werden es heute wohl gewesen sein, sagt er. Seit über zwanzig Jahren sammelt er schon anderer Leute Müll ein. Zweifel am Sinn muss man beiseitelegen, sagt er. „Sonst machst du dich nervlich kaputt.“ Lothar Drechsler reibt sich die Hände mit Desinfektionslösung ab, beißt dann in eine Stulle. Wenn sie morgen raus fahren, sagt er, werden sie in Klos und Kübeln genau so viel Unrat vorfinden wie heute. Oder auch mehr. „Der Nachschub klappt.“