Von Heike Sabel
Manchmal kann sie den Stoff und die Kreuzchen nicht mehr sehen. Wenn riesige Flächen mit einer Farbe auszusticken sind, „kriegste ’ne Macke“, sagt Gritt Thomas. Dann fragt sie sich: „Warum mache ich das eigentlich?“ Derweil stickt sie immer weiter. Kreuz für Kreuz. Reihe für Reihe. Bis zur nächsten Werbung. Jetzt nur noch diesen Faden. Naja, die Reihe noch. Sie sitzt in ihrer kleinen Dachwohnung im Schlaf- und Arbeitszimmer. „Wegen des Schreibtischs, der ist eine gute Unterlage.“ Hier oben träumt sie stickend von Australien. Da will sie hin. Irgendwann. Mit 21 ist Australien noch zum Greifen nah.
Dann kommt der Moment, da Gritt den Stoff erstmal in die Ecke knallt und etwas Neues beginnt. Irgendwann wird trotzdem alles fertig. So hat auch der Gestiefelte Kater Stich für Stich seine Form bekommen. Bald hüpft er komplett vom Stoff. Er wird als Fahne das wehende Maskottchen des Ulbersdorfer Märchenturms.
Das Talent liegt in der Familie
Das größte Werk steht derzeit bei ihrer Mutti. Steht? Es ist eine zwei mal 1,40 Meter große Tagesdecke, die erst einmal auf einen – selbst gebauten – Rahmen gespannt werden musste, bevor sie gesteppt und von Oma mit einer Häkelkante verziert wird. „Die ganze Familie ist eingespannt“, sagt Gritt. Das ist eben das Handarbeitsgen.
Schon als Kind entdeckte Gritt, dass das ihr Talent ist. Nachdem sie sich mit der Nähmaschine versuchte, nahm sie Nadel und Stickgarn in die Hand. Das war vor zwei Jahren. „Ich brauch’ das nicht, jeden Abend zur Disko.“ In Sebnitz fühlt sie sich wohl. Große Städte mag sie nicht. „Hier hab’sch meine Ruhe“, sagt die gebürtige Bautznerin. Dabei macht sie keineswegs den Eindruck eines Hausmütterchens. Sie hat den Mund auf dem rechten Fleck und lässt sich nicht so schnell die Butter vom Brot nehmen. Die Mutter lebt mit den zwei jüngeren Geschwistern allein, da muss sich die Große durchbeißen. „Schön wäre, wenn ich mit dem Sticken was verdienen könnte“, gibt Gritt zu.
In der Kiste mit den halbfertigen Sachen liegen einige Kissen sowie Bilder. Auch neue Muster und Vorlagen. Deren Entstehen ist das eigentlich Kreative am Sticken. Vergrößern, dann erst auf Millimeterpapier und schließlich auf den Stoff übertragen. „Exakt muss es schon sein“, sagt Gritt.
Ab 1. September wird die Zeit für ihr Hobby knapp. Dann beginnt Gritt Thomas in Leipzig eine Tischlerlehre. Büro wollte sie nicht. Aber Kfz-Mechatroniker. „Als Frau wird man in der Werkstatt oft über’n Tisch gezogen.“ Sie wollte es den Männern beweisen. „Doch dafür ist Sachsen wohl zu konservativ“, war ihre Erfahrung. „Dabei habe ich die Garage voll Werkzeug und mache alles selbst.“ Aber das nützte nichts. Zunächst. Denn für eine Leipziger Familien-Tischlerei ist sie genau die Richtige.
Freund staunt über Ausdauer
Es wird nicht einfach, sagt Gritt. Sie wird jeden Tag nach Hause fahren. Zwei Wohnungen kann sie nicht finanzieren. Dazu kommt das Werkzeug, das sie sich Schritt für Schritt kaufen muss. Aber sie will es schaffen. Nach Australien geht man schließlich besser mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung.
Sie legt die ausgebreiteten Arbeiten zusammen. Den „Kater“ steckt sie in einen Beutel. Gritt will noch zu ihrem Freund fahren. Er ist zwar nicht begeistert, hat aber auch nichts dagegen. „Vor allem aber ist ihm ein Rätsel, wie man so viel Ausdauer haben kann“, sagt Gritt und zuckt selbst mit den Schultern.