Die Synagogen-Retterin von Breslau

Niemand strahlt so schön wie Bente Kahan bei einem Rundgang durch die prachtvoll restaurierte neoklassizistische Synagoge in Breslau. Sie verweist auf stimmige Farbkombinationen und zeigt kunstvolle Schmuckbänder, freut sich an Balkonen und Fußbodenarbeiten, Kronleuchtern und aufwendigen Fensterrosetten.
An jedem Detail hat sie mitgearbeitet und ist heute glücklich, dass dies alles durch ihre Initiative wiedererstanden ist aus einer Ruine, die das Gebäude noch in den 90er-Jahren war. Mindestens genauso froh ist sie über die Ausstellungen zur jüdischen Geschichte in Breslau, über die vielen Veranstaltungen, über die gerade erst sanierte Mikwe, das Ritualbad, das die jüdische Gemeinde wieder nutzen kann und das gleichzeitig Raum für Ausstellungen bietet.
Denn das ist ihr besonders wichtig: Die Synagoge mit dem sonderbaren Namen „Zum weißen Storch“ – wahrscheinlich stand hier vorher ein Gasthaus dieses Namens – soll ein Haus für die Erinnerung an die Juden in Breslau und ihr Schicksal sein und gleichzeitig Heimat für die jüdische Gemeinde in Wroclaw mit einer ganz anderen Geschichte und eigenen Interessen. Ein Haus für alle, für die ganze Stadt also. Das ist leichter gesagt als getan.
Wie hat es die norwegische Künstlerin Bente Kahan überhaupt nach Breslau verschlagen? Sie stammt aus einer jüdischen Familie, die 1942 nach Auschwitz deportiert wurde. Wenigstens ihr Vater überlebte das Grauen. Später gründete er eine Familie, fünf Kinder wurden geboren.
Während ihre vier Geschwister nach Israel auswanderten, blieb sie in Norwegen, wurde Schauspielerin und startete eine Weltkarriere als Sängerin jüdischer Lieder. Großartig ihr Gesang in jiddischer Sprache. Sie heiratete einen Polen, der ein Aktivist der Opposition war, für „Radio Solidarnosc“ arbeitete und mehrfach im Gefängnis saß. Später floh er nach Oslo.

2001 wollte ihr Mann gern in die Heimat, nach Breslau, ein Jahr war ausgemacht. „Und jetzt sind wir immer noch da“, Ihre Kinder sind hier aufgewachsen, nach Norwegisch, Englisch, Deutsch, Hebräisch, Jiddisch lernte sie auch noch Polnisch und setzte ihre Karriere von hier aus fort.
Bis 2005 eine Frau von der jüdischen Gemeinde zu ihr kam und sie bat, Kulturveranstaltungen in der Synagoge zu organisieren, in der damals gerade einmal das Dach neu gedeckt worden war. Die Synagoge war in der Kristallnacht verschont worden, weil sie in ein Wohngebiet eingebaut ist. Sie verfiel aber in den Jahrzehnten der Volksrepublik immer mehr.
2005 entstand die Idee einer Stiftung, die sich um die Sanierung des Hauses und den Aufbau eines Zentrums für jüdische und Kultur und Bildung kümmern sollte. Sie setzte sich an die Spitze, die Stiftung trug fortan ihren Namen. Zunächst glaubte sie, sie könne ab und zu mal vorbeischauen und sich sonst ihrer Kunst widmen. Ein Trugschluss, die Stiftung wurde zu einem Vollzeitjob.
Sie schmiedete gemeinsam mit dem Unternehmer Maciej Sygit und ihrem Mitstreiter Marek Mielcarek Pläne, verhandelte mit der Stadt und der jüdischen Gemeinde, organisierte, bat um finanzielle Unterstützung. Geld gab es dann wirklich, zunächst von der Stadt, später vor allem vom „Europäischen Wirtschaftsraum“, dem Norwegen, Liechtenstein und Island angehören.
Aber leicht war das nicht, sie musste sogar ihre eigene Wohnung als Garantie zur Verfügung stellen. Immerhin kamen so 2,5 Millionen Euro zusammen, um die Synagoge „Zum weißen Storch“ zu sanieren, zudem wurde eine kleine Synagoge wieder hergerichtet, das Kultur- und Bildungszentrum belebt, in dem neben Ausstellungen Konzerte, Filmvorführungen, Vorträge und Workshops stattfinden.
Bente Kahan schrieb und inszenierte Bildungstheaterstücke, die bereits 25 000 Schüler besuchten. Vieles, was in und um die Synagoge passiert, geschieht ehrenamtlich. Bente Kahan schwärmt dann auch von ihrem tollen Team, das es fertigbrachte, das ganze Werk im Herbst 2018 zu vollenden. Ein Werk, das heute ganz Breslau schmückt.

Ist damit alles geschafft? „Ja, alles fertig“, meint sie, und in ihrer Antwort schwingen mehr Zweifel mit, als angesichts des Erfolges zu erwarten war.
„Meine Zeit hier hat auch etwas Masochistisches“, meint Bente Kahan und versucht zu erklären, was dieser schwierige Satz bedeutet. Es hat einerseits damit zu tun, dass sie in ihrer Kunst und in der Stiftung von früh bis abends mit dem Thema Holocaust beschäftigt ist, mit den schlimmsten Verbrechen aller Zeiten. „So wichtig dieses Thema für mich ist, ich habe ein bisschen viel davon an mich herangelassen.“ Sie schluckt und meint: „Ich war naiv, ich habe geglaubt, dass man Menschen ändern kann, wenn man sie informiert. Heute glaube ich das nicht mehr. Man erreicht jedenfalls nicht alle.“
Sie erschüttert, dass in Polen immer wieder antisemitische Vorfälle bekannt werden. „Es gibt Menschen, die glauben, jetzt in der Demokratie alles sagen zu dürfen, auch Antisemitisches. Aber es gibt keine Demokratie ohne Grenzen!“ Während unseres Gesprächs stand sie noch ganz unter dem Eindruck einer BBC-Sendung am Vorabend, in der eine Labour-Politikerin über Judenfeindlichkeit in England sprach. „Jetzt habe ich schon Angst, wenn sogar Engländer und Amerikaner sagen, dass es nicht nur in Osteuropa, sondern auch bei ihnen ein großes Problem ist.“
Bente Kahans Zweifel an ihrem eigenen so selbstbewusst und endgültig klingendem Satz „Ja, alles fertig“ hat noch einen anderen Grund. Sie weiß noch nicht recht, wie es weitergeht, was aus ihrem Werk wird, wer es wie pflegt und erhält. Und das hat viel damit zu tun, dass die jüdische Gemeinde, die ja Hausherr ist in „ihrer“ Synagoge, eigene Interessen besitzt und erst ein Verhältnis definieren muss, wie sie mit dem Werk der Stiftung umgeht.
Die jüdische Gemeinde ist natürlich dankbar für das Geleistete, aber immer wieder wird in Gesprächen deutlich, dass es einen großen Unterschied macht, ob es um die Geschichte der Juden in Breslau geht, die nicht die ihre ist, oder um die Belange der Juden in Wroclaw, für die Religionsausübung im Vordergrund steht.
Als Beispiel kann die Diskussion um ein hochsensibles Grundstück mitten in Breslau dienen, das der jüdischen Gemeinde gehört. Hier stand einst die „Neue Synagoge“, damals die zweitgrößte in Deutschland, die in der Reichskristallnacht von den Nazis vollständig zerstört wurde. Kürzlich sind die Grundmauern untersucht worden, sie sind weitgehend erhalten.
Was soll also mit dieser Fläche geschehen? Die jüdische Gemeinde mit ihren in Niederschlesien verstreuten 300 meist älteren Mitgliedern möchte das Grundstück verkaufen und mit dem Geld ein Altenheim errichten. Viele von ihnen sind allein und auf Hilfe angewiesen. Aus Wirtschaftskreisen ist zu hören, dass eine große Hotelkette Interesse am Grundstück besitzt.
Bente Kahan hat Verständnis für die Altenheim-Pläne, aber den Verkauf der Fläche hält sie für keine gute Idee. Sie würde gern auf dem historischen Boden ein Holocaust- und Genozid-Zentrum errichten, dass die Erinnerung an den Massenmord an den Juden wach hält. „Wir brauchen das sehr in Schlesien.“ Frau Kahan wünscht sich dafür Beistand und finanzielle Unterstützung aus Europa.
Noch ist offen, wie der Konflikt gelöst wird. Bente Kahan hofft darauf, dass sowohl das Altenheim gebaut werden kann als auch das Holocaust-Zentrum. Viele Gespräche werden deshalb gerade geführt, mit dem Breslauer Rathaus, mit jüdischen Organisationen, mit möglichen Investoren. Alle Seiten wünschen sich einen guten Kompromiss, der zum großen Werk passt, dass die Bente-Kahan-Stiftung und die jüdische Gemeinde gemeinsam in Breslau verwirklicht haben.
So wird es Bente Kahan sicher auch darstellen, wenn sie im Herbst in Görlitz den Brückepreis verliehen bekommt. Als großes Gemeinschaftswerk.
Es hat allerdings eine tolle Frau an der Spitze, die jede Ehrung verdient und jede Unterstützung.
Die Osteuropatour der SZ wird vom Radebeuler Autohaus Gommlich unterstützt.
Weitere Beiträge aus der Serie
Matthias Schumann, Fotograf für die SZ und in vielen Krisenländern mit der Kamera unterwegs, und Autor Olaf Kittel wollten wissen, wie es heute, 30 Jahre nach dem Umbruch, in den einstigen „Bruderländern“ aussieht. Alle Beiträge aus der Serie "Wie geht's, Brüder?" finden Sie unter folgendem Link:
WIE GEHT'S, BRÜDER?
Ost-Tour-Reporter laden Leser ein: Zum Abschluss der großen Serie „Wie geht`s, Brüder?“ lädt die Sächsische Zeitung am 20. August um 19 Uhr zu einem Leserforum in den Kongresssaal im Dresdner Haus der Presse ein. Reporter Olaf Kittel und Fotograf Matthias Schumann berichten über ihre Erlebnisse, zeigen viele noch unveröffentlichte Fotos und beantworten Leserfragen. Die Veranstaltung wird gemeinsam mit dem Forum für zeitgenössische Fotografie Dresden veranstaltet. Der Eintritt ist frei.