Die Verlierer bei Dynamos Geisterspielen

Bratwurst im Brötchen, Eintöpfe aus der Gulaschkanone und natürlich Bier. Wer zu einem Spiel ins Rudolf-Harbig-Stadion geht, muss dort weder hungrig noch durstig ankommen. Seit einigen Jahren versorgt auch die Dresdner Fleischerei Otto bereits weit vor dem Einlass die Fans – an zwei Standorten in der Lingnerallee am Hygienemuseum sowie vorm Blauen Haus in der Nähe des Zooeinganges.
Das letzte Mal standen die Dynamo-Anhänger am 8. März dort Schlange. Seitdem pausiert der beliebte Kurzzeit-Imbiss. Und auch wenn die Bundes- und Landespolitiker die Fortsetzung der Saison in der Fußball-Bundesliga am Mittwoch genehmigt haben, wird es keinen Erbseneintopf geben. Bei Geisterspielen mangelt es schlicht an Kundschaft.
Dass er dies bedauert, muss Steffen Otto, der Inhaber des in vierter Generation betriebenen Familienbetriebes, nicht erst betonen. „Der Imbiss bei den Heimspielen ist für uns zu einem wichtigen Standbein geworden und zu einer Größenordnung, die jetzt, wo es wegfällt, wirklich wehtut“, erklärt Otto, der sieben Mitarbeiter beschäftigt. Wie viele Würste und Suppen er verkauft, sei stark wetterabhängig, sagt er. Konkrete Zahlen verrät er nicht.
Null Arbeit für Ordner und Caterer
Der Fleischermeister ist einer von vielen Verlierern der Geisterspiele. Dirk Zingler, Präsident beim Erstligisten Union Berlin, hatte von 1.000 Menschen gesprochen, die plötzlich nicht mehr gebraucht werden, wenn die Ränge leer bleiben. Ähnlich dürfte die Zahl auch bei Dynamo-Heimspielen sein. Ronald Tscherning, Manager im Rudolf-Harbig-Stadion, nennt keine Größe, erinnert aber daran, dass alle Unternehmen, die an den Wochenenden im Einsatz sind, „Steuern oder Abgaben zahlen und Arbeitnehmer beschäftigen. Diese wiederum bekommen einen Lohn.“
Betroffen sind vor allem die Caterer und die Security-Firma. Bei Sicherheitsspielen sind in Dresden bis zu 350 Ordner im Einsatz. Die müssen nun ebenso zuhause bleiben wie die Hostessen, die die Vip-Gäste umsorgen. „Es fallen auch die Arbeitsplätze derjenigen weg, die normalerweise die Wein- und Cocktailbar sowie einen Kaffee- und Eisstand betreuen“, nennt Michael Born, Dynamos kaufmännischer Geschäftsführer, weitere Beispiele. Rettungsdienst, Feuerwehr und Reinigungsfirma verdienen ebenfalls an den Einsätzen an der Lennéstraße. Sie werden zwar auch bei Geisterspielen gebraucht, aber nicht in der gewohnten Stärke.
Maximal 300 Leute dürfen laut Konzept der Deutschen Fußball-Liga (DFL) im und am Stadion sein, allein 100 entfallen dabei auf die beiden Mannschaften samt Betreuerstäbe. Bei ausverkauften Spielen sind eigentlich mehr als 32.000 auf den Tribünen. Und voll wäre es bei den vier noch ausstehenden Heimpartien gegen Greuther Fürth, Stuttgart, dem Hamburger SV und Osnabrück sicher geworden – wegen der attraktiven Gegner und auch angesichts der sportlichen Brisanz. Als Tabellenletzter kämpfen die Schwarz-Gelben gegen den Abstieg – wenn es weitergeht.
Ein Brief an die DFL
Der Hauptleidtragende des Zuschauerausschlusses ist Dynamo selbst. Born beziffert die Einnahmeverluste „pro Partie auf bis zu 700.000 Euro“. Das würde sich bis Saisonende also auf 2,8 Millionen Euro summieren – vorausgesetzt, der Verein müsste alle bereits verkauften Tickets tatsächlich zurückerstatten. Bei der traditionellen Spendierfreudigkeit seiner Anhänger gilt das als unwahrscheinlich. Sobald die Politik die Geisterspiele durchgewunken hat, will Dynamo den Kartenbesitzern ein Angebot unterbreiten.
Vereine mit großem Zuschauerspruch sind besonders betroffen, Dynamo liegt in dieser Statistik unter den Zweitligisten auf Platz sechs. Auch deshalb soll der Verein einen Brief an die DFL geschickt haben, in dem er nach Ausgleichszahlungen für jene Vereine mit hohen Besucherzahlen fragt. Born bestätigt, dass „wir Fragen gestellt haben, aber auf Inhalte möchten wir nicht eingehen“.
Wichtig wären Antworten auch im Hinblick auf die neue Saison. Dann drohen, zumindest zu Beginn, weitere Geisterspiele und damit weitere Ausfälle. „Unser Umsatz ist der Spieltag“, betont Born. Es sind nicht nur die Ticketverkäufe, die wegbrechen. Die Sponsoren können sich nicht wie gewohnt präsentieren, selbst wenn die LED-Werbebanden für die TV-Kameras aufgebaut werden. Welche finanziellen Folgen das hat, möchte Born nicht beziffern. „Wir sind froh, dass eine Vielzahl unserer Sponsoren keine Regressforderungen stellen will“, erklärt er.
Um die fehlenden Auftritte bei den Heimspielen zu kompensieren, hat Dynamo mit Sponsoren Aktionen in den sozialen Netzwerken gestartet. Dort kann man zum Beispiel sehen, wie einige Profis Bierkästen zu Fans nach Hause bringen.
Auch die Stadt Dresden büßt ein
Neben dem Verein hat auch der Stadionbetreiber mit erheblichen Einbußen zu kämpfen. „Da die Projektgesellschaft an den Ticketeinnahmen, am Catering und an den Werbeeinnahmen partizipiert, ist das natürlich ein schwerer wirtschaftlicher Einschnitt und wirkt sich sehr negativ für uns aus“, erklärt Tscherning.
Er betont, dass Heimspiele mit Zuschauern „zahlreiche ökonomische Effekte auslösen“ würden und nennt als Beispiele Hotels, Restaurants, Bars, Tankstellen, Einzelhandel, Taxis und Busunternehmen. „Letztlich trifft es aber auch die Kommunen und den Bund – durch die Gewerbe-, Umsatz- und Einkommensteuer.“
Dass die Effekte außerhalb des Stadions „wahnsinnig groß“ sind, weiß auch Born. Eine spezielle Studie, die das mit Zahlen untermauern würde, gibt es allerdings noch nicht. Der Geschäftsführer nennt nur ein Beispiel: „Wir haben 5.000 Mitglieder außerhalb Sachsens, die pro Saison zwei bis drei Heimspiele besuchen. Die übernachten in Dresden, gehen essen.“
Und manche von ihnen stellen sich auch bei Otto an der Gulaschkanone an – aber nicht bei Geisterspielen.