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Die Verteidigung des Populismus

Wer ist „das Volk“ und kann mit diesem Wort im Mund zu Recht Politik machen? Kolja Möller such nach Antworten und beginnt damit im Mittelalter.

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US-Präsident Trump gilt als weltberühmtester Populist. Aber er ist nicht allein.
US-Präsident Trump gilt als weltberühmtester Populist. Aber er ist nicht allein. © Evan Vucci/AP/dpa

Von Uwe Salzbrenner

In Rom herrschen Mitte des 14. Jahrhunderts die Adelsfamilien der Colonna und der Orsini, die wie Tyrannen die Stadt ausplündern und sich einander noch bekämpfen, während der Papst fern im französischen Avignon sitzt. Ein typischer Fall von Elitenverrat, würden Populisten heute sagen. Nötig sei ein Appell an das Volk, die Verhältnisse zu ändern.  Genau das hat der Notar Cola di Rienzo getan, in öffentlichen Reden und Wandgemälden. 

Am 20. Mai 1347 schart er eine Miliz von hundert Mann um sich und besetzt das Kapitol. Die ersten Dekrete seiner Regierung als Volkstribun sollen vor allem Rechtssicherheit herstellen. Die Miliz setzt sich nun aus Abgeordneten der Stadtteile zusammen; Waisenkinder, Witwen und Angehörige gefallener Soldaten erhalten Hilfe. Sieben Monate später ist Rienzo gescheitert.

Ein typisches Beispiel für die Fehler des Populismus, sagt der Rechtswissenschaftler Kolja Möller in seinem Buch „Volksaufstand & Katzenjammer“. Hat Rienzo doch gemeint, Volkswille allein genüge schon, die Verhältnisse zu ändern. Volk, „popolo“ – das heißt im Rom des 14. Jahrhunderts allerdings: Es gibt das „fette Volk“ der Bürger und Kaufleute und das „kleine Volk“ der Handwerker und Arbeiter. 

Als er die Lage der einen wie der anderen nicht bessern kann, flüchtet sich Rienzo in Symbolpolitik. Er inszeniert sich als Kaiser, vergleicht sich mit Jesus. Das ist ein Symbol zuviel: Papst Clemens VI. exkommuniziert ihn. Mit einem Blick auf Richard Wagners Oper und in die Schriften von Karl Marx arbeitet Kolja Möller gut heraus, mit wie viel Realitätsfremdheit und Überhebung Aufstände begonnen und durchgeführt werden.

Dennoch, so schreibt er, ist die Umkehrung von Hierarchien in der Menschheitsgeschichte probates Mittel gewesen, die Willkür der Stammesoberhäupter zu beschränken. Der Aufstand sei „konstanter Begleiter sozialer Ordnungsbildung“. Macht und Gegenmacht, Übermut und Widerstand gehören zusammen. Der – wie Möller es nennt – „kleine Aufstand“ des Populismus wird insbesondere von der demokratischen Verfassung zugelassen, die von Volkssouveränität spricht. Es wird Populisten geradezu nahegelegt, in den Bahnen des bestehenden Systems zu agieren.

Hier setzt Möllers Analyse an, wer in der jüngeren Geschichte in verschiedenen Kontexten sich wie als „Volk“ bezeichnet und versteht. In den USA sind es die Arbeiter oder die Christen, in Lateinamerika eine Vielzahl indigener Völker, in Europa zuletzt Kritiker der europäischen Institutionen. Den Rechtspopulismus prägen laut Möller vor allem Ansichten, die zur Wettbewerbs- und Konkurrenzgesellschaft passen: Man fühlt sich durch andere gefährdet und reagiert darauf. Wer die Ursachen von Aufständen untersucht, dem entgeht nicht: Sie brechen auch aufgrund gesteigerter Erwartungen los. Prominentes Beispiel ist die Französische Revolution 1789.

Kolja Möller selbst offenbart sich als Anhänger der Linken, deren „kleinen Aufstand“ gegen die Wirtschaftsmacht von Eliten manche ihrer Theoretiker als Lebenselixier für die Demokratie ansehen. Sein dringender Rat: Um nicht zu scheitern, müssten Populisten darauf achten, wie die Gesellschaft insgesamt sich bewegt und verändert. Das hat auf lange Sicht einschließlich der russischen Kommunisten kein Aufständischer geschafft. Rechtssicherheit erwähnt Möller nur bei Cola di Rienzo. Entweder setzt er sie voraus, oder sie ist ihm von Herzen egal.

Kolja Möller, Volksaufstand & Katzenjammer. Zur Geschichte des Populismus, Verlag Klaus Wagenbach, 160 Seiten, 18 Euro