Die Wiederkehr der Steine

Sächsische Schweiz. Er ist Landschaftsbetrachter schon von Berufs wegen – der Kartograph Rolf Böhm aus Bad Schandau. Der Thorwald in der hinteren Sächsischen Schweiz zählt zu seinen Lieblingsplätzen. Er sei gewissermaßen der Prototyp dessen, was der naturnahe Wanderer auf einem Streifzug durch die Bergeinsamkeit erwarte. Doch der „Hänsel- und-Gretel-Wald“ sei tot, sagt der Kartenzeichner. „Da stirbt ein Stück Seele mit.“
Das Angesicht des Nationalparks ändert sich rasant. Der Klimawandel drückt mit Sturm, Trockenheit und Käferplage auf das Gaspedal. Speziell der Borkenkäfer erweist sich als ein gnadenloser Architekt des Wandels. Allein 2018 brachte er 2,7 Quadratkilometer Fichtenforst zum Absterben. 2017 war es noch nicht mal ein halber gewesen.

Der großflächige Ausfall der Altfichten betrifft den Thorwald, aber auch andere prominente Ecken im Nationalpark. Wo die Bäume verschwunden sind – gefällt durch Stürme oder, nach Käferbefall, durch Kettensägen –, sind neue Einblicke und Ausblicke entstanden. Felsen, jahrzehntelang von Baumkronen fest umhüllt, zeigen nun aus mancher Perspektive ihre ganze majestätische Größe. Das betrifft vor allem Massive im Bereich des Kleinen und des Großen Zschand, aber auch Landmarken wie den Kleinen Winterberg, der aus Richtung der Lorenzsteine nun den Blick beherrscht, und selbst das Prebischtor, das über eine frische Kahlfläche hinweg die Autofahrer Richtung Rainwiese grüßt.

Der Felsen taucht aber auch unmittelbar am Wegesrand auf, etwa an der Zeughausstraße im Dietrichsgrund. Hier hat die Nationalparkverwaltung Käferfichten zum Schutz der Wanderer fällen lassen. Hinter dem einst dichten Baumspalier traten die moosgrünen Sandsteinwände zutage. Freilich, nicht jeder möchte sich diesen Veränderungen gern aussetzen, sagt Parksprecher Hanspeter Mayr, und denkt dabei an die Stammgäste, die das Walderlebnis vergangener Jahre suchen. Er selbst findet die neue Optik schöner. „Aber das erlebt jeder auf seine Weise.“
Die neuen Ausblicke haben ihre Reize. Das weiß auch Rolf Böhm. So richtig daran erfreuen kann er sich aber nicht. „Die Natur lässt die Bäume ja nicht umkippen, damit wir eine gute Sicht haben“, sagt er. Nein, ihn befällt eher ein Grausen, wenn er die verdorrten Kronen und die kahlen Weiten sieht. „Die Natur zeigt uns, wo der Hammer hängt.“ Die Kletterszene indes begrüßt es, wenn es luftig wird um die Steine. Licht, Wärme, Blick übers Land – „genau so ist es uns recht“, sagt der Pirnaer Kletterprofi und Bergführer André Zimmermann. Leider werde dieser Zustand nicht von Dauer sein. „Früher oder später verschwindet wieder alles im Dickicht.“ Dann werde man sich vielleicht zurücksehnen nach dem lichten, erhabenen Hochwald.

Der Stolpener Landschaftsfotograf Thomas Pöschmann zieht allwöchentlich mit etlichen Kilos Ausrüstung los, um im Elbsandstein die perfekte Komposition aus Motiv und Licht zu suchen. Auch ihn bewegt zuallererst das Sterben der Bäume. Doch er drückt trotzdem auf den Auslöser, nimmt die Natur so, wie sie kommt. Solche Fotos hängt man sich nachher vielleicht nicht an die Wand. Als Zeitdokumente sind sie trotzdem wertvoll, denkt er. „Man weiß nie, wozu man sie mal braucht.“