SZ + Dresden 13. Februar
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Die Wunde Dresden

Dresdens Gedenk-Tradition ist so einzigartig wie umstritten. Diese Besonderheit hat eine Geschichte. Sie ist deutsch-deutsch und systemübergreifend.

Von Oliver Reinhard
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In der DDR galt der 13. Februar bald als „Kampftag für den Frieden“. Hausgemeinschaften wie diese im Jahr 1952 verpflichteten sich zu Arbeitseinsätzen, Arbeiter zur Norm-Übererfüllung. Die SED „gedachte“ der Toten auch , indem sie den Jahrestag als „Natio
In der DDR galt der 13. Februar bald als „Kampftag für den Frieden“. Hausgemeinschaften wie diese im Jahr 1952 verpflichteten sich zu Arbeitseinsätzen, Arbeiter zur Norm-Übererfüllung. Die SED „gedachte“ der Toten auch , indem sie den Jahrestag als „Natio © SLUB Dresden / Deutsche Fotothek / Erich Höhne & E

Auf Dresdens Glanz fällt immer wieder der Schatten längst vergangener Stunden. Es ist der Schatten jener Nacht, in der britische Bomber das Zentrum des alten „Elbflorenz“ in eine Trümmerwüste verwandelten. Bis zu 25.000 Menschen starben – erschlagen, erstickt, verbrannt. Ob beim Wiederaufbau der Frauenkirche, bei der Teilrekonstruktion des Neumarkts, selbst bei der Füllung freier Zentrums-Areale durch Investorenarchitektur: Immer wieder spielen die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges eine Rolle in den Kontroversen um Dresdens städtebauliche und politische Identität. Doch zu keiner Zeit werden die langen Schatten der Bombennacht sichtbarer als jedes Jahr rund um den 13. Februar.

Warum kochen, wenn es um die Erinnerung an den Bombekrieg geht, in Dresden die Emotionen derart hoch, höher als in jeder anderen damals zerstörten Stadt? Das lässt sich nicht verstehen, indem man allein historische Fakten aneinanderreiht. Denn der 13. Februar, das ist vor allem ein Dresdner Gefühl. Eine Wunde, die noch immer nicht verheilt ist, nicht verheilen konnte. Weil die größte Katastrophe der Stadtgeschichte früh und nachhaltig missbraucht wurde – und immer noch wird.

Noch während die Dresdner 1945 durch die Trümmer taumelten, schlachtete die NS-Propaganda das Grauen für ihre Zwecke aus. Sie gebar den Mythos vom „einzigartigen“ Schicksal der „sinnlos“ zerstörten und „unschuldigen“ Kunst- und Kulturstadt. Dass die britischen Flächenbombardements auf Zivilisten in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar auch im damals noch feindlichen Ausland auf herbe Kritik stießen – gerade in England selbst –, bestärkte diesen Mythos noch.

Schon kurz nach Kriegsende wurde Dresden zu einem internationalen Bezugspunkt für Debatten um Sinn und Moral des Bombenkrieges, ja der modernen Kriegsführung schlechthin. Nicht Hamburg, Berlin oder Köln, sondern Dresden stand bald exemplarisch für die im Weltkrieg vernichteten deutschen Städte. Viele Bürger nahmen diese einzigartige Rolle der „unschuldigen Opfer“ gerne an – verständlicherweise. Der Trost machte den Schmerz ein wenig erträglicher, der Mythos wirkte wie ein lindernder Trauerflor. Der wurde noch dichter durch Legenden von Phosphorbomben, massenhaften Tieffliegerangriffen, Hunderttausenden Toten.

All dies ließ Auseinandersetzungen mit Dresdens eigener Verantwortung für Nationalsozialismus und Krieg, über Mitschuld und Mittäterschaft überflüssig erscheinen. Jenes „Alte Dresden“, das bereits 1933 als „braune Musterstadt“ galt, in dem es ebenfalls massenhaft Verfolgung und Unterdrückung gab und das während des Krieges zum strategisch bedeutenden Verkehrsknoten und Rüstungsstandort wurde: Es lag lange, zu lange im historischen Bewusstseinsschatten der Stadt.

Deutsche Schuld war Schuld der anderen Deutschen

Um das Trauma zu verarbeiten und die Wunde heilen zu lassen, hätte es auch darüber öffentliche Diskussionen gebraucht. Doch in der sowjetisch besetzten Zone ebenso wie später in der DDR war bis auf wenige Ausnahmen kein Platz für individuelle Auseinandersetzungen mit persönlich empfundenem Schmerz. Wohl war unbestritten, dass der Krieg 1939 von Deutschland ausgegangen und 1945 auch nach Dresden zurückgekommen war. Aber ein rückblickendes Bekenntnis zur historischen Mitschuld der ehemaligen NS- und nunmehrigen DDR-Gesellschaft gab es nicht. Deutsche Schuld war immer nur die Schuld der anderen Deutschen „drüben“, wohin angeblich sämtliche Nazis geflohen waren, die man leider nicht mehr in der DDR habe anklagen können.

Stattdessen übernahm die SED-Propaganda die nationalsozialistische Deutung des 13. Februar nahezu bruchlos. Das „Alte Dresden“ blieb „unschuldige“ Kunst- und Kulturstadt, die Zerstörung „verbrecherisch“ und „einzigartig“: Der Kalte Krieg war da, der Gegner der Gleiche geblieben – der ideologische Missbrauch des 13. Februar setzte sich fort.

1950 wurde das Datum zum „Nationalen Kampftag gegen US-Kriegshetzer“ erklärt, später zum „Friedenstag“ gegen den „BRD-Militarismus“. Auch dort, in der alten Bundesrepublik, beklagte man ausschließlich das Dresdner Leid. Das Magazin Der Spiegel hob die Stadt 1963 in den Rang eines „Sodom von Sachsen“. Die Zeit schrieb vom „wahrscheinlich größten Massenmord der gesamten Menschheitsgeschichte“, freilich nicht ohne einzuschränken: „... in der Spanne eines einzigen Tages“. Der Mythos war systemübergreifend, ein gesamtdeutsches Produkt, sogar ein internationales: Durch den immensen Bekanntheitsgrad ihres Schicksals gehörte Dresden bald neben Gernika und Hiroshima zu den weltweit bedeutsamsten Symbol-Orten für die Schrecken des Bombenkrieges.

Erst nach der Großkundgebung 1970 zum 25. Jahrestag der Katastrophe flaute das staatsideologische Propaganda-Theater um den 13. Februar allmählich ab. Die deutsch-deutschen Zeichen standen inzwischen auf Entspannung. Zudem empfanden viele Bürger den sozialistischen Wiederaufbau ihrer Stadt als zweite und endgültige Zerstörung des „Alten Dresden“, als Vollendung des Bomben-Werks von 1945. Die Wunde Dresden schwärte weiter.

Der Opfermythos blieb ungebrochen

1982 entstand die Tradition des „Stillen Gedenkens“ aus dem Ritual einiger junger Dresdner. Sie stellten sich mit brennenden Kerzen vor die Ruine der Frauenkirche, um ihrem „Wunsch nach Frieden“ ohne staatsideologische Vereinnahmung des 13. Februar eine Geste des Innehaltens entgegenzusetzen. Seither stand die öffentliche Erinnerung immer stärker im Zeichen von Frieden und Versöhnung – und von Opposition gegen das SED-Regime. Endlich schufen sich die Dresdner rund um den 13. Februar nun auch Raum für das Bekunden von Trauer und Schmerz, gemeinsam mit internationalen Gästen. Doch der Opfermythos blieb ungebrochen.

Daran konnten gegen Ende der Neunziger Rechtsextremisten mühelos anknüpfen. Zunächst kamen Dutzende, schließlich Tausende. Ihre „Trauermärsche für die „unschuldigen deutschen Opfer des alliierten Bombenterrors“ rissen die Wunde Dresdens wieder auf. Lange verharrte die Stadt in Rat- und Hilflosigkeit, wo es lauten Widerspruch gebraucht hätte. Zu lange stellten sich den Extremisten nur wenige überwiegend linke Aktivisten entgegen, die das Ereignis von 1945 allerdings ihrerseits ideologisch missbrauchten, indem sie forderten: „No Tears For Krauts“ – Keine Tränen für Deutsche! Bis sich nach dem Schock durch den Großauflauf von 6.000 Rechtsextremisten zum 60. Jahrestag der Katastrophe allmählich und unter vielen politischen Grabenkämpfen in der Stadt auf breiter Basis Widerstand formierte.

Seit 2010 legt sich an jedem 13. Februar eine Kette aus Menschen um die Altstadt, als Zeichen gegen den Missbrauch der Erinnerung. Seither wurde die Front der Rechtsextremen dünner, zermürbt durch massive Gegendemonstrationen und Blockaden. Seither erinnert man in Dresden an diesem Tag auch daran: Nicht allein Opfer, auch Täter, auch Antisemiten, Mörder und Unterdrücker waren hier zu Hause.

Trotz des vorübergehenden Abflauens der „Trauermärsche“ halten die Dresdner ihre Tradition der Menschenkette aufrecht. Nun, zum 75. Jahrestag, scheint sie als Zeichen gegen den Missbrauch der Erinnerung noch einmal wichtiger zu werden: Erstmals wollen wieder Rechtsextremisten durch die Stadt marschieren. Dass der Rechtsruck der Gesellschaft auch das Gedenken an den 13. Februar erfasst, ist allerdings keine Überraschung. Denn die für nationalistisches und revanchistisches Denken in hohem Maße anschlussfähige Erzählung der „unschuldigen Kunst- und Kulturstadt“, sie lebt bis heute fort. Solange sie das tut, wird sich die „Wunde Dresden“ auch weiterhin nicht schließen können.