SZ +
Merken

„Die Wut ist groß“

Die GEW-Vorsitzende Ursula-Malen Kruse über das Lehrerpaket und Streiks.

Teilen
Folgen
© dpa

Frau Kruse, die Regierung hat ein Paket über 213 Millionen Euro beschlossen. Ist das eine gute Nachricht?

Natürlich. Jeder Cent, der jetzt in den Bildungsbereich gesteckt wird, ist per se eine gute Nachricht. Zu hinterfragen ist, ob das Geld ausreicht und ob die richtigen Anreize gesetzt werden. An vielen Stellen wird jetzt das Falsche getan.

Zum Beispiel?

Richtig ist, dass ein Großteil des Geldes dafür ausgegeben wird, dass es 722 Lehrerstellen mehr gibt. Mehr Stellen werden in dieser Situation dringend gebraucht. Ansonsten sind die Anreize deswegen falsch, weil sämtliche Zulagen individuell sind. Ich habe in den Verhandlungen, die wir geführt haben, immer gesagt, wenn man an dem einen Schräubchen dreht, muss man darauf achten, was an anderer Stelle passiert. Es ist völlig richtig, die Oberschule zur E 13-Schulart zu machen, aber es bedeutet eben auch: Die Grundschule wird zur einzigen Schulart, die in der Entgeltgruppe 11 bleibt und damit abgehängt wird. Man versucht jetzt, dass Problem an der Oberschule kleiner zu machen, löst es aber nicht. Gleichzeitig macht man das Problem an der Grundschule größer.

Die Regierung sagt, dass tarifrechtlich für die Grundschulen keine höhere Entgeltgruppe möglich ist. Deswegen wurden die Unterrichtsstunden reduziert.

Die Idee, an das Regelstundenmaß heranzugehen, ist gar nicht so dumm, aber warum bleibt es dann bei 27 Stunden und damit immer noch eine Stunde höher als bei den anderen Schularten? Auf 26 Stunden zu reduzieren, hätte die Regierung nicht so viel gekostet. Und am Tarifvertrag, auf den sich die Regierung beruft und der sie angeblich so einmauert, war sie 2015 selbst interessiert. Wir wollten den aus guten Gründen nie abschließen. Sachsen ist nun das einzige Land, das bei der Vergütung der Lehrkräfte nicht mehr beweglich ist. Und gleichzeitig ist Sachsen das einzige Land, das keinen Lehrer verbeamtet. Im Übrigen: Wenn die beiden zuständigen Ministerien gewollt hätten, wäre eine Lösung auch für diese Schulart möglich gewesen.

Die Gespräche mit Ihnen sind gescheitert. Sind Sie zufrieden mit dem, was die Regierung nun beschlossen hat?

Nein, das bin ich nicht. Wenn ich resümiere, wozu das Finanz- und das Kultusministerium bereit waren, als wir den Tisch verlassen haben, sehe ich allerdings schon, was die SPD am Verhandlungstisch erreicht hat. Trotzdem bleibt es bei dem grundsätzlichen Problem.

Inwiefern?

Ein Problem besteht darin, dass bestimmte bildungspolitische Antworten nicht gegeben worden sind. Das betrifft insbesondere die Förderschulen, die Grundschulen und die Oberschulen. An diesen Schularten wird der Lehrermangel bleiben, und der politische Wille, hier tatsächlich zu unterstützen, ist nicht erkennbar. Außerdem glaube ich, dass das Signal an die Lehrkräfte, die jetzt im System sind, ziemlich verheerend ist. Bei aller Wertschätzung dafür, dass die Kultusministerin jetzt junge Leute mit mehr Geld etwa in bestimmte Gegenden locken kann, stellt sich doch sofort die Frage: Was ist mit denen, die dort schon die ganze Zeit arbeiten? Auch unter den jungen Leuten werden neue Ungerechtigkeiten geschaffen. Es gibt junge Leute, die in den großen Städten bleiben müssen, weil die Kinder dort in den Kindergarten gehen und Partner oder die Partnerin hier Arbeit gefunden hat. Sie sollen weniger verdienen als jemand an der Peripherie – obwohl die Klassen in Leipzig oder Dresden oft größer sind? Mit Leistung hat das nichts zu tun.

Die Maßnahmen sollen ja vorwiegend das Problem Lehrermangel lösen. Sie glauben nicht, dass sie helfen?

Natürlich ist das ein Notprogramm, weil die Personalsituation völlig verfahren ist. Vielleicht gelingt es besser, Gymnasiallehrer an Oberschulen zu kriegen; vielleicht regt man bei manchen an, in den ländlichen Raum zu gehen. Die 722 Vollzeitäquivalente werden helfen, wenn man sie besetzt bekommt. Aber das Thema Lehrerversorgung ist damit lange nicht durch. Das bewegt mich auch persönlich so sehr, dass ich nachts wach werde, weil ich denke: Oh Mann, die Probleme werden die nächsten Jahre bleiben. Für die Kinder, die Eltern, meine Kolleginnen und auch für mich persönlich. Meine Befürchtung ist auch, dass die Landesregierung nun erst recht versuchen wird, auf dem Rücken der Lehrkräfte Erfolge vorzuweisen, mit dem Hinweis darauf, dass man jetzt schließlich viel Geld in die Hand genommen habe.

Die Stellen zu besetzen, wird schwierig. Ist das Seiteneinsteigerprogramm kein Fortschritt? Sie hatten gefordert, dass sie ausgebildet werden, bevor sie vor der Klasse stehen.

Richtig. Das ist auf jeden Fall ein Fortschritt. Damit ist auch verbunden, dass sich die Landesregierung mal ehrlich machen muss. In dem Moment, in dem man so ein Programm macht, sagt man nämlich auch: Wir rechnen nicht damit, genügend ausgebildete Lehrkräfte für Sachsen zu kriegen. Wir werden Seiteneinsteiger brauchen – mehrere Hundert pro Jahr. Die große Zahl der Seiteneinsteiger, die eingestellt werden, ist an den Schulen aus guten Gründen sehr umstritten. Auch deshalb, weil sich die Frage stellt, wie bei der Größenordnung die Qualität gehalten werden kann. Und eben nicht nur in den sogenannten Mint-Fächern. Die größte Gruppe, die das Kultusministerium im vergangenen Jahr eingestellt hat, waren Sportlehrer. Also von Physikern, Mathematikern und Chemikern war das weit entfernt. Seiteneinsteiger unterrichten auch Deutsch.

Sie hatten auch Schulverwaltungsassistenten auf Ihrer Liste. Das soll jetzt erprobt werden.

Unsere Überlegung war, dass in der verfahrenen Situation dafür gesorgt werden muss, dass Lehrkräfte mehr für den Unterricht zur Verfügung stehen können, indem sie von anderen Sachen befreit werden. Deswegen hatten wir den Schulverwaltungsassistenten vorgeschlagen. Allerdings in ganz anderer Größenordnung. Dass die Landesregierung nun so zögerlich handelt – mit 39 Stellen auf zwei Jahre befristet – , wird die Situation nicht ändern. In einer Notlage muss man ernsthaft versuchen, neue Wege zu gehen. Der nun gefundene Kompromiss erweckt den Eindruck, als solle die „nörgelige“ GEW in diesem Punkt ruhiggestellt werden. In Wirklichkeit ist das ein Placebo und nichts anderes.

Wenn Sie gewusst hätten, was am Ende möglich ist, wären die Gespräche mit der Regierung anders ausgegangen?

Nein. Wir hätten sicher weiterverhandelt, wenn die Chance bestanden hätte, den Lehrerberuf in Sachsen tatsächlich attraktiver zu machen. Möglicherweise auch, wenn die Ministerien signalisiert hätten, dass sie für den Grundschulbereich mit uns eine Lösung anstreben, dass die Klassenleitertätigkeit oder die Aufgaben zum Beispiel von Betreuungslehrern vergütet werden. All das wären positive Zeichen an die Lehrkräfte gewesen. Wir hätten auch weiter mit den Ministerien verhandelt, wenn die Bereitschaft bestanden hätte, reale Entlastungen zu fixieren. Aber das Konzept, einige wenige Lehrkräfte besser zu bezahlen, den Druck auf die Lehrerschaft zu erhöhen und bestehende bildungspolitische Herausforderungen zu ignorieren, konnten wir nicht unterstützen.

Wie reagieren die Lehrkräfte auf das Paket?

Vor allem die älteren Lehrkräfte haben ganz stark das Gefühl, dass sie immer wieder zur Kasse gebeten werden, immer wieder die Leidtragenden sind. Dass man das schulterzuckend und schulterklopfend von ihnen erwartet. Die Kritik kommt von überall. Die Förderschul- und Grundschullehrer sind berechtigterweise einfach nur sauer. Die Förderschulen, weil man in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, es würde Höhergruppierungen geben, obwohl in Wirklichkeit kein einziger Förderschullehrer besser bezahlt wird. Die älteren Grundschullehrerinnen fühlen sich vielfach um ihre Lebensleistung betrogen, und die jüngeren haben den Eindruck, ihre Ausbildung wird nicht gewürdigt.

Die GEW hatte im Vorfeld auch mit einem möglichen Arbeitskampf gedroht - je nachdem, was die Regierung auf den Tisch legt. Beraten Sie noch darüber?

Die Frage der Vergütung der sächsischen Lehrkräfte im Vergleich zu ihren Kollegen in anderen Bundesländern ist nach wie vor offen, und die Forderung nach einem eigenständigen Tarifvertrag für Lehrkräfte in Sachsen ist so aktuell wie nie. Außerdem ist die Wut in den Lehrerzimmern groß. Welche Maßnahmen wir ergreifen und ob wir Zeit brauchen, auch die Öffentlichkeit aufzuklären, werden wir in dieser Woche beraten. Ob wir in diesem Monat oder Kalenderjahr zu Arbeitskämpfen aufrufen, weiß ich nicht. Aber die GEW wird das Paket nicht klaglos hinnehmen.

Das Gespräch führte Andrea Schawe.