Der Wahlabend ging für Paul Löser in die Verlängerung. Um Mitternacht war in Sebnitz gerade mal die Europawahl ausgezählt. Die Grünen lagen bei 5,3 Prozent. Halbwegs beruhigt angesichts der Zahlen, legte er sich schlafen.
Bis zum nächsten Morgen konnte er aber doch nicht warten. Er stellte den Wecker auf halb drei in der Nacht. Jetzt waren die Ergebnisse der Kommunalwahl online. Beim Blick aufs Display war klar: Es hat gereicht.
Insgesamt 827 Sebnitzerinnen und Sebnitzer haben dem Abiturienten ihre Stimme gegeben und ihn damit in den Stadtrat gewählt. Mit seinen 18 Jahren ist Paul Löser das jüngste jemals gewählte Ratsmitglied in Sebnitz. Zugleich hat er dafür gesorgt, dass zum ersten Mal seit 25 Jahren die Grünen einen Sitz im Sebnitzer Kommunalparlament haben. Er habe fest dran geglaubt, sagt Paul Löser. Bis er es wirklich realisieren könne, werde es aber noch dauern.
Es waren die weltweiten Klimaproteste der Fridays-for-Future-Bewegung, die ihn bewogen haben, sich politisch zu engagieren. „Das hat mich ermutigt. Ich dachte, jetzt muss ich Partei ergreifen“, sagt er. Gemeinsam mit einer Klassenkameradin hat er im März eine Schülerdemo für den Klimaschutz auf dem Sebnitzer Markt organisiert – und damit die erste und einzige Veranstaltung dieser Art im gesamten Landkreis Sächsischen Schweiz-Osterzgebirge.
Die Kandidatur hat aber auch viel mit seinem Alter zu tun. Gerade volljährig geworden, stellte er sich die Frage, wen er denn bei seiner ersten Wahl wählen sollte. Im bisherigen Sebnitzer Stadtrat ist die Mehrheit der Mitglieder jenseits der 50. „So richtig die Jugend vertritt da keiner“, dachte sich Paul Löser. Aus dieser Erkenntnis wuchs die Motivation, es selbst anzupacken. „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ Anfang Februar wurde er Mitglied der Grünen. Auf seiner ersten Kreisversammlung fiel dann recht spontan der Entschluss, selbst als Kandidat anzutreten – sehr zur Freunde der neuen Parteikollegen, die bis dato in Sebnitz niemanden hatten.
Für Umwelt- und Naturschutz interessiert er sich nicht erst, seit Greta Thunberg zum Gesicht einer globalen Bewegung geworden ist. „Ich stehe den Grünen schon lange nahe“, sagt Paul Löser. Sein Vater ist schon seit DDR-Zeiten als Naturschützer aktiv und kümmert sich um die Fledermäuse in der Region. Schon als Kind ist Paul Löser mit ihm die Quartiere der geschützten Tiere in der Sächsischen Schweiz abgelaufen, um die Bestände zu erfassen. Umweltschutz als familiäre Prägung.
Sobald er in wenigen Tagen sein Abizeugnis in der Hand hält – bei dem eine Eins vor dem Komma stehen wird – will sich der junge Sebnitzer um ein Studium in Dresden bewerben. Lehrer für Mathe und Gemeinschaftskunde lautet sein Berufswunsch. „Als Lehrer habe ich eine Perspektive in Sebnitz eine Anstellung zu finden“, sagt er. Denn: Er will hierbleiben – beziehungsweise nach dem Studium dauerhaft in seine Heimatstadt zurückkehren. Noch vor ein paar Jahren sah das anders aus, da zog es auch ihn wie die Mehrheit seiner Altersgenossen möglichst weit weg. Doch zuletzt ist die Verbundenheit mit der Heimat immer mehr gewachsen. Freunde, Familie, die Gemeinschaft im Jugendblasorchester, dem Posaunenchor und der Jungen Gemeinde sind es, die ihn in Sebnitz halten.
Und das schlägt die Brücke zu den politischen Zielen des frisch gewählten Ratsmitglieds. „Ich möchte die Stimme der Jugend im Stadtrat sein“, sagt Löser. Zuerst möchte er einen monatlichen Jugendstammtisch ins Leben rufen und von dort die Anliegen junger Leute in den Ratssaal tragen. Langfristig ist es sein Ziel, mehr jungen Menschen eine Perspektive zum Bleiben zu bieten. „Dazu muss auch nach 18 Uhr noch Leben in der Stadt sein“, sagt Paul Löser. Es fehle an Busse, die am Abend auf die Dörfer fahren. Eine individuelle Unterstützung für Ehrenamtler soll den Vereinen bei der Nachwuchssuche helfen.
Auch wenn er der einzige Grüne im Sebnitzer Stadtrat ist – sich Gehör zu verschaffen, dürfte dem 18-Jährigen nicht schwerfallen. Paul Löser ist aufgeschlossen und eloquent, er kann seine Anliegen präzise formulieren und zugleich die eigene Haltung reflektierten. Zwei Jahre lang war er Schülersprecher des Goethe-Gymnasiums. Dabei hat er vor allem gelernt, dass es darum geht, einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen zu finden, etwa wenn Schüler, Lehrer und Eltern gemeinsam über Angelegenheiten entscheiden.
Für die Dauer seines Studiums wird er unter der Woche in Dresden wohnen. Am Wochenende und zu den monatlichen Ratssitzungen pendelt er nach Sebnitz – bevorzugt mit dem Zug, wie er sagt. Ein Auto besitzt er nicht.