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Dieses Coronavirus ist tödlicher als Grippe

Was kommt da auf uns zu? Ein Gespräch mit dem Leipziger Virologen Uwe Liebert zu Risiken, Schutz und Vorsorge in Zeiten einer nicht fassbaren Bedrohung.

Von Stephan Schön
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© Getty Images

Seit Dezember greift ein neues Virus an. Tausende Menschen in China sind bereits daran gestorben, Dutzende im Iran, jetzt ist der Notstand in Italien angekommen. Die Schweiz verbietet Großveranstaltungen. Das Virus verbreitet sich inzwischen auch in Deutschland rasant. Eintausend Menschen befinden sich in Nordrhein-Westfalen in Quarantäne.

Herr Liebert, erschreckt Sie das eigentlich, was derzeit passiert?

Nein, gar nicht. Aber es lässt mich selbstverständlich auch nicht kalt.

Aber es ist ja schon ziemlich beängstigend, die Geschwindigkeit, mit der sich das Coronavirus derzeit in Europa und damit auch Deutschland ausbreitet?

Es musste so kommen. Ich hatte schon vor einigen Wochen gesagt: Dies ist nur eine Frage von Tagen, maximal einigen Wochen, bis dieses Virus bei uns angekommen ist. Viren kommen immer durch. Alle Versuche, dieses Virus einzuschränken, waren offenbar vergeblich.

Seit wann wissen Sie als Wissenschaftler von diesem neuen Virus?

Seit dem 7. Dezember, da gab es den ersten Hinweis auf eine unbekannte, ungeklärte Infektion in Wuhan.

Ahnten Sie damals schon, was in den kommenden Wochen passieren wird?

Eigentlich nicht. Ich dachte, na ja, wieder mal ein Fall von unbekannt, wie viele andere auch. Ab Ende Dezember war dann aber klar, dass es sich um ein neues Virus handelt. Und ab Januar haben wir gelernt, dass es ein neues Coronavirus ist, ein Verwandter von einem älteren Bekannten.

Verhalten Sie sich jetzt eigentlich anders als noch vor einem Vierteljahr?

Auch das nicht. Aber vor einem Vierteljahr habe ich getan, was man machen konnte: Ich habe mich gegen die ganz normale Grippe impfen lassen. Das sollte man, wenn nicht geschehen, jetzt immer noch tun. Im Verhalten hat sich aber sonst wenig geändert. Ich laufe nicht mit Mundschutz herum. Ich gehe auch ins Gewandhaus. Aber auf die Handhygiene achte ich sehr genau. Richtig und ausgiebig Hände waschen, damit kann man sehr viel erreichen.

Eine Grippeimpfung in Zeiten von Corona, das wäre ja aber riskant: Dann habe ich die Impfung, mit der das Immunsystem fertigwerden muss, und eventuell das neue Virus noch dazu?

Die Impfung verstärkt das neue Coronavirus nicht. Eher im Gegenteil, sie bringt das Immunsystem ganz generell auf stärkere Aktivität.

Fast täglich gibt es neue Erkenntnisse zum Virus. Bisher ist eine Nachricht schlechter als die andere. Was wissen Sie inzwischen über die Übertragbarkeit dieses neuen Virus?

Es kann sowohl eine Tröpfcheninfektion, als auch eine Schmierinfektion sein. Sars-Cov-2 überträgt sich sehr viel leichter und schneller, als wir erwartet hatten. Dies geschieht also ähnlich einer Grippe. Durch den direkten Kontakt von Mensch zu Mensch ist das möglich, durch Anhusten und Anniesen. Das Virus verbreitet sich möglicherweise zudem über Türklinken, Griffe in Bus und Bahn, Geländer und Dinge, die eine infizierte Person benutzt hat. Eine Ansteckung über Aerosole, also über die Luft in einem Raum zum Beispiel, ist möglich, wenn man sich in unmittelbarer Nähe befindet. Das wissen wir bereits. Wenn jemand meterweit entfernt sitzt, ist das unwahrscheinlich. Aber ganz sicher sind wir uns auch da nicht.

Würden Sie derzeit nach Norditalien in Urlaub fahren?

Momentan hätte ich Bedenken, in einige Regionen der Lombardei oder Venetiens zu fahren. Wenn es nicht sein müsste, dann sicher nicht.

Wie schätzen Sie die Situation dort ein?

Es ist eine Notsituation. Aber eine, die die Italiener bisher sehr gut meistern. Wir würden all das in Deutschland wahrscheinlich ähnlich machen, mit einer Ausnahme.

Und die wäre?

Eine solche Abschottung ganzer Orte wird es bei uns ziemlich sicher nicht geben. Das ist im Übrigen eigentlich auch gar nicht zuverlässig möglich. Die Menschen kommen da immer irgendwie heraus, selbst wenn dies mit Strafe belegt ist. Wir haben das mal an meinem Wohnort, einer kleinen Stadt bei Leipzig, ganz real durchgespielt und sind dafür die Ortsgrenze abgelaufen: Da gibt es so viele Zufahrten, Wege und unüberschaubare Gegenden, die von der Polizei gesichert werden müssten – der Aufwand allein für die Abschottung dieser kleinen Stadt wäre gigantisch. Es wäre kaum umsetzbar. Und vor allem, was wir inzwischen über das Virus und seine Verbreitung wissen, wäre es nicht mehr sinnvoll. Die Quarantäne von ganzen Städten hat etwas von Scheinsicherheit. Denn das Virus kommt überall durch.

Und bei Schiffen, Hotels?

Etwas anders ist das bei einzelnen, isolierten Infektionen. Einzelne Schiffe oder Hotels unter Quarantäne zu stellen, hat bisher zumindest Sinn gemacht. Allerdings bleibt dabei immer eine entscheidende ethische Frage mit in der Abwägung: Inwieweit ist es nötig und gerechtfertigt, dadurch bei gesunden Menschen wissentlich eine Infektion zu riskieren.

Ein Paar sitzt mit Mundschutz am Swimmingpool des Hotels H10 Costa Adeje Palace in Teneriffa. Das Hotel wurde wegen Coronavirus-Fällen unter Quarantäne gestellt.
Ein Paar sitzt mit Mundschutz am Swimmingpool des Hotels H10 Costa Adeje Palace in Teneriffa. Das Hotel wurde wegen Coronavirus-Fällen unter Quarantäne gestellt. © Arturo Rodriguez/dpa

Das heißt, im Prinzip abwarten. Wann haben wir in Deutschland Verhältnisse wie derzeit in Norditalien?

Ich weiß es nicht. Vielleicht schon heute. Oder in ein paar Tagen. Viele waren ja in den Skiferien in Südtirol, auf Messen in Mailand. Niemand weiß, wie viele Menschen sich dort infiziert haben.

Kommen von heute auf morgen in Deutschland Infektionen wie in Italien, was wäre dann Ihre Entscheidung? Was sollten die Politiker besser nicht tun?

16 Sekunden Schweigen – Politiker bekommen in diesem Fall wohl immer Prügel. Weil sie jetzt eine Quarantäne für ganze Städte anordnen, werden sie wegen Freiheitsberaubung kritisiert. Wenn sie nichts tun, dann dafür, nichts getan zu haben.

Es gibt ja eigentlich Simulationen auf Super-Computern, die zeigen, wie sich Viren weltweit ausbreiten. Was sagen die für Sars-Cov-2 voraus?

Diese Berechnungen machen wir nicht selbst, aber sie gibt es auch noch nicht. Diese Modelle funktionieren derzeit nicht gut genug, weil wir noch zu wenig über das Virus wissen.

Wann werden wir den Höhepunkt dieser Epidemie erreicht haben?

Ob es vor dem Sommer noch sein wird, das weiß ich nicht. Oder sind dann erst alle Länder Europas flächendeckend erreicht, was ebenso möglich ist. Bei Grippe-Pandemien zumindest läuft das Virus dann noch Jahre um den Globus.

Schon einmal, vor 17 Jahren, kam eine Sars-Seuche von Fledermäusen über Wildtiere zu uns. Es schien bedrohlich, wurde aber nicht wirklich gefährlich für den Menschen in Europa. Was ist diesmal anders?

Das Virus damals kam über Larvenroller zum Menschen, die sehen etwa wie Marder bei uns aus. Aber dieses Virus damals war relativ schwer übertragbar von Mensch zu Mensch. Deshalb hat man es eindämmen können. Genau das wurde auch nun wieder versucht. Nur das neue Coronavirus Sars-Cov-2 ist sehr viel leichter übertragbar. Wir hatten das so nicht erwartet. Spätestens seit dem Ausbruch in Italien wissen wir dies. Hunderte sind dort inzwischen betroffen. Und das ging wohl von einem einzigen betroffenen Menschen aus, über den alle anderen infiziert wurden.

Haben Sie so etwas schon einmal als Mediziner erlebt?

Ja, als die Pandemie der Schweinegrippe 2009 weltweit grassierte. Die hat sich sehr schnell über den gesamten Erdball verbreitet und grassiert nach wie vor. Nur, diese Influenza-Grippe ist in den meisten Fällen keine schwere Infektion, sie kann als leichte Erkältungskrankheit verlaufen. Aber weil sich so viele infizieren, kommt es durch diesen Virus auch in Deutschland Jahr für Jahr zu Tausenden Todesfällen.

Eine elektronenmikroskopische Aufnahme des "U.S. National Institute of Health" zeigt das neuartige Coronavirus (Sars-Cov-2). Die Probe wurde von einem Patienten in den USA isoliert. 
Eine elektronenmikroskopische Aufnahme des "U.S. National Institute of Health" zeigt das neuartige Coronavirus (Sars-Cov-2). Die Probe wurde von einem Patienten in den USA isoliert.  © NIAID-RML/AP/dpa

Jetzt haben wir ein neues Virus, das sich so leicht wie die Schweinegrippe damals ausbreitet, aber eine deutlich höhere Todesrate hat als diese.

Sie scheint gegenwärtig höher zu sein, aber wir wissen noch nicht um wie viel höher. Erst wenn wir wissen, wie viele Menschen sich mit diesem neuen Virus wirklich infiziert haben und wie viele davon letztlich erkrankt sind, können wir dies sagen. Wir müssen gegenwärtig von einer Sterberate zwischen zwei und drei Prozent ausgehen. Es ist aber auch möglich, dass sehr viel mehr Menschen diese Infektion durchmachen, ohne Symptome auszubilden. Dann würde die Sterberate unter Umständen drastisch sinken.

Aber nicht, wenn sich das neue Coronavirus durch weitere Veränderungen noch besser an den Menschen anpasst.

Wenn sich dieses Virus noch besser an den Menschen anpasst, dann werden noch mehr erkranken. Das ist richtig. Aber, das heißt nicht automatisch, dass auch mehr Menschen sterben. Verbreitet sich das Virus durch eine weitere Anpassung an den Menschen schneller und besser, erreicht es immer mehr Opfer, dann wird es in aller Regel weniger gefährlich. Es werden zwar viel mehr Leute infiziert, aber diese werden weniger schwer krank. Das ist ein grundsätzlicher evolutionärer Prozess.

Wie hoch ist die Sterberate bei einer normalen Grippewelle in Deutschland eigentlich?

Zehn bis zwanzig Prozent der Bevölkerung erkranken jedes Jahr an einer Influenza-Grippe. Nur Bruchteile eines Prozentes beträgt dabei die Sterberate. Vor zwei Jahren bedeutete dies 25.000 Grippetote in Deutschland.

Niemand kann auch nur annähernd sagen, wie viele Menschen in Deutschland sich bereits angesteckt haben. Warum ist dies so schwierig?

Das Virus hat eine lange Inkubationszeit. Es kann unbemerkt zwei Wochen, möglicherweise auch länger im Körper sein, ohne jedes äußere Anzeichen einer Erkrankung. Und danach ist das größte Problem, dass der Nachweis bisher nur relativ aufwendig molekular möglich ist. Das Virus muss genetisch nachgewiesen werden. Es gibt noch keinen Antikörpertest, der schnell, zuverlässig und preiswert zum Beispiel Antikörper gegen das Sars-Cov-2 im Blut testet. Und es gibt keinen sogenannten Antigentest, bei dem wesentliche Bestandteile des Virus nachgewiesen werden.

Dann macht ja das Fiebermessen an den Flughäfen überhaupt keinen Sinn?

Das ist eine rein politische Entscheidung. Ich bin kein Politiker. Aber selbst wenn alle, die Fieber haben, genetisch getestet würden, findet man nur die wenigen einzelnen Personen, die schon an Covid-19 richtig erkrankt sind. Die sehr viel mehr Infizierten, die keine Symptome - zumindest kein Fieber - haben, die erwischen sie nicht. Das Virus wird sich so nicht aufhalten lassen. Und ein wirklich realistisches Bild über die epidemische Verbreitung bekommen wir auch nicht.

Wer in Deutschland, in Sachsen kann heute das Virus nachweisen?

Das sind die Universitätskliniken, einige städtische Krankenhäuser und vor allem zentrale Analyselabors. Aber dies dauert, ist aufwendig und auch mit 59 Euro relativ teuer. Hier in Leipzig haben wir einen eigenen Gentest entwickelt, der preiswerter ist und ebenso zuverlässig funktioniert.

Im Institut für Hygiene und Angewandte Immunologie der Medizinischen Universität Wien werden Laboruntersuchungen zur Abklärung des Coronavirus vorgenommen. 
Im Institut für Hygiene und Angewandte Immunologie der Medizinischen Universität Wien werden Laboruntersuchungen zur Abklärung des Coronavirus vorgenommen.  © Hans Punz/APA/dpa (Symbolbild)

Wie viele Gentests auf das Virus Sars-Cov-2 schaffen Sie an der Leipziger Uni?

Zurzeit würden wir etwa 100 Tests am Tag schaffen. Vielleicht schaffen wir auch 300 mit Umstrukturierungen der Arbeit hier und dem Laborbetrieb Tag und Nacht. Seit Januar sind es etwa 500 Proben gewesen. Keine davon war positiv.

Das alles reicht bei einer Epidemie aber nicht.

Deshalb brauchen wir ja möglichst schnell einen einfachen Test für die sofortige und massenhafte Prüfung auf dieses Virus. Wenn alles schnell geht, vergehen bis dahin allerdings noch Monate. Bis dahin wäre im Verdachtsfall zunächst der schnelle Test auf die herkömmlichen Erkältungserreger oder auf eine Grippe die beste Lösung. Dabei handelt es sich gegenwärtig hierzulande um die mit Abstand wahrscheinlichste Infektion. Erst wenn sich da nichts zeigt und keine anderen Bedingungen vorliegen, dann sollte auf Sars-Cov-2 geprüft werden.

Kommt unser Gesundheitssystem an die Grenzen der Belastbarkeit, kann es zusammenbrechen?

Wir haben zeitgleich eine Grippewelle und dieses neue Virus, von dem wir noch zu wenig wissen. Ich sehe derzeit zwar keine Überlastung kommen, sie könnte aber passieren. Das hängt auch von politischen Entscheidungen ab. Und, ob wir schnell genug mehr über das Virus erfahren.

Weltweit sind Forscher schon seit drei Monaten an diesem Virus dran, und trotzdem wissen wir so wenig …

… das ist eine vergleichsweise kurze Zeit. Und genau genommen sind es ja auch erst zwei Monate, in denen wir am Virus forschen. Vor zwanzig Jahren hat es noch sehr viel länger gedauert, bis überhaupt etwas zu einer neuen Erkrankung bekannt wurde. Das lag nicht nur an den schlechteren Analysemethoden damals. Sondern, weil jeder gemauert hat und die wissenschaftlichen Daten lange für sich behielt. Immer mit der Hoffnung, die Entdeckung als Erster zu publizieren oder verkaufen zu können. Aber das hat sich mit dem Sars-Virus vor 17 Jahren geändert, als die Bedrohung schnell global wurde. Da haben die Wissenschaftler, in Deutschland besonders auch Christian Drosten, erstmals weltweit schnell und effizient zusammengearbeitet und Daten ausgetauscht.

Was muss die Wissenschaft als Allernächstes herausfinden?

Wir müssen herausfinden, wie weit das Virus sich überhaupt im Körper verbreitet, welche Organe es befällt. Wir wissen inzwischen, dass es nicht nur auf die Atemwege beschränkt bleibt. Es wird im Urin ausgeschieden und im Stuhl. Wir haben auch von Patienten gehört, die eine Symptomatik im Gehirn hatten wie bei einer Hirnhautentzündung. Nachgewiesen ist das Virus im Gehirn aber noch nicht. Genau so etwas müssen wir sehr schnell viel genauer wissen und lernen.

Wo ist eigentlich die Weltgesundheitsorganisation WHO in dieser Krise? Abgetaucht?

Nur weil die nicht täglich vor dem Mikrofon stehen, sollten wir nicht so tun, als passiere da nichts. Die WHO hat zum Beispiel ein sehr gutes, offenes Informationssystem aufgebaut. Und sie macht aus meiner Sicht einen guten Job.

Das Reservoir der Viren ist enorm, wie viele kennen wir überhaupt?

Es gibt zehntausende Viren, von denen wir gute Kenntnisse nur bei einer kleinen Zahl haben, vielleicht noch nicht einmal bei einem Prozent aller Viren.

Eine Mitarbeiterin eines Ärzteteams küsst ihren Sohn, bevor sie vom Flughafen Yaoqiang aus in die Provinz Hubei aufbricht. Die 12. Gruppe von 170 medizinischen Mitarbeitern aus Shandong fliegt nach  Hubei, um dort bei der Kontrolle des Coronavirus zu helf
Eine Mitarbeiterin eines Ärzteteams küsst ihren Sohn, bevor sie vom Flughafen Yaoqiang aus in die Provinz Hubei aufbricht. Die 12. Gruppe von 170 medizinischen Mitarbeitern aus Shandong fliegt nach  Hubei, um dort bei der Kontrolle des Coronavirus zu helf © Chai Ting/XinHua/dpa

Wozu braucht die Evolution diese unglaubliche Vielfalt an Viren überhaupt, wenn sie doch allesamt nur krankmachen und sogar Leben vernichten?

Viren und Virenbausteine waren als erste Lebensform auf der Erde. Und jeder von uns besitzt in seinem Genom etwa acht Prozent Virussequenzen. Im Laufe der Evolution haben die sich dort eingebaut. Einiges davon hat wichtige Funktionen übernommen. Zum Beispiel wäre die ganz normale physiologische Reifung der Gebärmutter ohne ein solch altes Virenfragment nicht möglich. Die weniger aggressiven Viren geben uns sogar Schutz. Schnupfenviren beispielsweise provozieren das Immunsystem und aktivieren damit in gewissem Maße die körpereigene Abwehr gegen andere Infektionen.

Und es gibt Viren, die Bakterien befallen. Damit ließen sich künftig vielleicht antibiotikaresistente Keime besiegen. Wir benutzen heute schon Viren, um medizinische Wirkstoffe in Tumorzellen hineinzubekommen oder Tumorzellen gezielt zu zerstören. Viren sind dann eine Art Gen-Fähre und werden für Gentherapien genutzt.

Warum werden wir dann immer noch so krass aufgeschreckt, wenn von einem neuen, unbekannten Virus die Rede ist, von Viren überhaupt? Warum haben wir als Normalbürger anders als Sie dann einfach nur Angst?

Viren machen krank, sind aber nicht zu sehen. Dazu wären Elektronenmikroskope nötig. Viren schmecken nach nichts, sie kann man nicht riechen. Sie sind irgendetwas Geisterhaftes, was den Menschen betrifft. Dazu kommt, selbst lange Zeit nach der Entdeckung 1892 konnte man nichts gegen Viren machen. Virus kommt zudem aus dem Lateinischen und heißt Gift.

Medizinprofessor Uwe Gerd Liebert leitet das Institut für Virologie an der Universität Leipzig. Neben Medizin hat er auch in Deutschland und den USA Geschichte und Philosophie studiert.
Medizinprofessor Uwe Gerd Liebert leitet das Institut für Virologie an der Universität Leipzig. Neben Medizin hat er auch in Deutschland und den USA Geschichte und Philosophie studiert. © SZ/Stephan Schön

Ein Gift, das selbst staatliche Ordnungen sprengen kann? Was macht eine verheerende Virus-Infektion mit einem ganzen Land?

In China wird eine so herausfordernde Epidemie anders auf das Land wirken als in einer Demokratie. Es kann zwar sehr schwierig für uns werden, für die chinesische Staatsführung ist das aber durchaus gefährlich. Die Überzeugung eines autokraten Systems, alles zu wissen, alles beobachten zu können und alles im Griff zu haben, funktioniert plötzlich überhaupt nicht mehr. Und Vertuschung und Verheimlichung haben dem Virus erst den Vorsprung verschafft. Das merken die Menschen dort. Und dann noch der Versuch, ganze Millionenstädte abzuriegeln. Es ist eine zu späte und nicht mehr wirksame Entscheidung. Das funktioniert nicht. Im Grunde ist das Virus eine subversive Kraft, die eine rigide Gesellschaft und auch eine zu populistisch agierende Regierung sprengen könnte.

Ist das nicht ein bisschen zu einfach? Warum soll eine Naturgewalt, die eine schwere Virusepidemie ja nun mal ist, einer demokratischen Gesellschaft letztlich weniger gefährlich werden?

Weil vor allem die Informationen offen zugänglich sind. Sie sind nicht reglementiert. Jeder kann sich gewissermaßen ein Bild machen und über das Virus und die Epidemie frei sprechen. Jeder kann dazu publizieren …

… dabei ganz sicher auch jede Menge Unsinniges.

Ja, auch Unsinniges. Aber das ist egal, es entsteht jedenfalls nicht der Eindruck von Verheimlichung in solch einer Situation, die ja eine große und außergewöhnliche Belastung der Gesellschaft und eine Herausforderung für uns alle sein kann und ist. Das ist entscheidend. Und solch eine Ausnahmesituation ist bei dieser Offenheit in der Lage, sogar Kräfte in der Gesellschaft freizusetzen. Kreativität halt.

Und wie lange wird dieses Virus uns nun noch attackieren?

Das neue Sars-Coronavirus-2 wird uns möglicherweise auf Jahre hin beschäftigen.