Coronavirus verbreitet sich leichter als erwartet

Es sind Bilder wie aus einem Thriller. Ein Virus geht um, Menschen werden ganz gleich ob in Städten oder auf Schiffen in Quarantäne gehalten. Weltweit inzwischen. Und niemand weiß, woher dieser todbringende Erreger kam. Niemand kann sagen, wohin er geht.
Drei Kreuzfahrtschiffe durften nun zumindest erst einmal in Häfen einlaufen. Niemand wollte sie aufnehmen, nur Kambodscha gestattete es schließlich. Ob dieses Land gegen einen so aggressiven Virus besser gerüstet ist als Japan, das die Einreise abgelehnt hatte, genau das bleibt zu bezweifeln. Solidarität und Hilfe in Zeiten der Seuchen haben halt sehr enge Grenzen. Nicht alles, was vernünftig wäre, passiert. Andererseits werden völlig unvernünftige Dinge krass umgesetzt.
Atemmasken sollten Medizinern vorbehalten sein. Und sie schützen sowieso mehr die anderen als einen selbst. Nach 20 Minuten seien sie so durchfeuchtet, dass sie nicht mehr funktionieren würden, sagt der Münchner Tropenmediziner Clemens Wendtner am Donnerstagabend in einem ersten Gespräch mit Wissenschaftsjournalisten zum Thema Covid-19.
Fiebermessen am Flughafen ist Unsinn
Kompletter Unsinn sei es auch, derzeit an den Flughäfen Fieber zu messen. Die, die dann erkannt würden, hätten vor allem Grippe. Und will man von denen dann allen einen Gentest zum Nachweis führen? Nur der würde das Virus bestätigen. Zudem Covid-19-Infizierte durch Fiebermessen fast nie auffallen würden. „Das ist schlichtweg sinnlos“, sagt der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI) in Berlin.
Ein Einreise-Screening wie bei schweren Grippewellen sei derzeit nicht in Sicht. Es bleibt daher bei Befragungen nach dem Woher und Wohin. 30 Tage werden die Flugdaten mit Sitzplatznummer aller Einreisenden gespeichert, um möglicherweise angesteckte Personen schnell zu finden.

„Wir befinden uns in der Eindämmungsphase.“ Das alles funktioniere, sagt Wieler, und ergänzt: „Bisher“. Niemand in der Wissenschaft weiß aber, wie lange diese Phase noch hält. Der Höhepunkt dieser Epidemie ist nicht in Sicht. „Wir sind momentan nicht in der Lage, die Dynamik dieses Ausbruchs zu prognostizieren“, gesteht der RKI-Chef. „Wir wissen nicht, in welche Richtung dieser Ausbruch läuft.“
Alles ist möglich
Und auch die WHO teilt mit: Dieser Ausbruch könne sich in jede denkbare Richtung entwickeln, eine weltweite Pandemie eingeschlossen. Zur Verwirrung trägt dabei die undurchschaubare Nachrichtenlage in China bei. Sind die dort nun sprunghaft angestiegenen Opferzahlen nun die realistischen Daten? Oder zählt nun jede auch andere Lungenentzündung mangels Gen-Nachweisen inzwischen mit hinein?
Mit dem Stand von Freitagvormittag gab es weltweit 60.350 Krankheitsfälle mit dem neuen Coronavirus Covid-19. 1.370 Personen seien gestorben, 6.300 genesen. Da auf diese Zahlen aber kein Verlass sei, können auch die Virusforscher wenig über die Bedrohung für Deutschland und die Welt sagen. Liegt die Sterberate nun wie in China bei 2,2 Prozent? Beträgt sie auch künftig nur 0,2 Prozent wie derzeit außerhalb Chinas? Aber auch das wäre schon krass genug. Es entspräche einer sehr, sehr aggressiven Grippewelle.
„Die Übertragbarkeit dieses Virus ist höher als erwartet“, sagt der Charité-Chefvirologe Christian Drosten. Es gäbe viel mehr unbemerkte Infektionen, als bei ähnlichen Coronaviren. Und noch seien nicht einmal alle Übertragungswege bekannt. Die Mediziner wissen aber bereits, dass anders als bei der letzten großen Gefahr durch Sars diesmal die Ansteckung sehr viel schneller passiert, sie sehr viel leichter möglich ist.
Das Wichtigste jetzt: Zeit gewinnen
Das Virus müsse nicht erst bis tief in die Lunge eindringen, um sich festzusetzen. Es reiche bereits der Rachenraum. Tröpfchen durch Husten oder an der Hand machen eine Übertragung bereits möglich. Zudem soll das Virus tagelang an Gegenständen überleben können. Und wird möglicherweise auch über die Luft übertragen. Wie bei einem Meeting in Deutschland mit einer erst Tage später an dem Virus erkrankten chinesischen Mitarbeiterin. Dort hätten 60 Minuten gemeinsam in einem geschlossenen Raum für viele der deutschen Ansteckungen gereicht.
Sehr heimtückisch ist die Art der Infektion. Erst nach Wochen erkranken die Menschen. Doch ab wann genau verbreitet sich die Krankheit? Dass dies vor Ausbruch passiert, weiß die Wissenschaft. Aber bisher nichts Genaueres. Insofern sind die drastischsten Quarantäne-Maßnahmen, die es in Deutschland je gegeben hat, wichtig. Eben Zeit gewinnen.
„Von Impfstoffen und Medikamenten sind wir noch weit entfernt“, berichtet der Charité-Chefvirologe Christian Drosten. Eine Impfung gegen Covid-19 stehe frühestens in anderthalb Jahren zur Verfügung. Jene gegen andere Coronaviren wie Mers und Sars wirken bei diesem Virus nicht. Gleiches gelte für die vorhandenen Medikamente, die seien nur beschränkt wirksam.
Kliniken bereiten sich auf Epidemie vor
So richten die Unikliniken derzeit ihre ganze Aufmerksamkeit auf andere, machbare Dinge. Es geht um eine gegebenenfalls massenweise Intensiv-Versorgung. Ausreichend Betten und Atemmasken müssen dann zur Verfügung stehen. Nicht zwingend nötige OPs und Behandlungen werden dann generell und großflächig verschoben.
„Derzeit wollen wir vor allem Zeit gewinnen und entkoppeln“, erklärt Tropenmediziner Wieler. Die seit Januar anlaufende Grippewelle bringe das deutsche Gesundheitssystem erfahrungsgemäß schon so an Grenzen. Dazu dann noch Covid-19 könnte es überfordern. Beide Epidemien nacheinander seien nach jetzigem Wissensstand jedoch für das deutsche Gesundheitssystem beherrschbar. „Wir haben die Hoffnung, dass uns das gelingt.“