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Doch nicht geschenkt

Wenn in einer Zeitung ein Fehler passiert und der Name des Bürgermeisters mit dem seines bulgarischen Halbbruders verwechselt wird, dann spricht der Redakteur entschuldigend von einem „Übermittlungsfehler“....

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Von Holger Metzner

Wenn in einer Zeitung ein Fehler passiert und der Name des Bürgermeisters mit dem seines bulgarischen Halbbruders verwechselt wird, dann spricht der Redakteur entschuldigend von einem „Übermittlungsfehler“. Einer der berüchtigtsten Übermittlungsfehler steht aber nicht in einer Zeitung, sondern in einem Drama: Als Goethe dachte, Gretchen hätte ihren Verehrer Faust nach dessen Verhältnis zur Religion gefragt, um sein Vermögen als künftiger Gatte abschätzen zu können, war dem Dichter das nur falsch übermittelt worden. In Wirklichkeit hatte sie gefragt: „Nun sag, wie hast du’s mit der Schenkerei?“, denn es war gerade Weihnachten. Damit bewies Gretchen ein feines Gespür für die Semiotik des Schenkens, welche eine Persönlichkeit plastischer hervorhebt als jedes religiöse Bekenntnis: Wir kennen den Harmoniker, der stets zu viel Geld für Geschenke ausgibt, beobachten den ignoranten Spätkäufer, den kritischen Verweigerer und den rationalen Vordenker, der bereits im Februar mit dem Kauf beginnt und so die Hektik geschickt über das ganze Jahr verteilt.

Ein besonderer Fall ist meine Tochter. Sie hatte schon im November einen großen Stapel Geschenke angehäuft, der beständig wuchs. Nur: Es waren gar keine Geschenke! „Die Gel-Kerze verschenke ich nicht, sie darf nicht angezündet werden“, verkündete sie, und wir standen fröstelnd im Schatten des Präsenteberges. Auch die Strohsterne, die Holzengel und die gefädelten Ketten sollten für immer in ihrem Besitz bleiben. Zwar beschlichen sie bald Zweifel, ob es nicht herzlos sei, alles für sich zu behalten. Sie fand aber einen verblüffend klugen Ausweg und fertigte aus Pappe, Holz und Draht eine Fee namens Pistazia. Bald feierte Pistazia ein Wichtelfest. Unsere Tochter war eingeladen und brachte Geschenke mit: Holzengel, Strohsterne, gefädelte Ketten. Der große Geschenkeberg wurde abgetragen und auf der anderen Seite des Zimmer wieder aufgebaut – auf Pistazias Seite.

Nur ein Geschenk schafft es, unsere Wohnung zu verlassen: Ausgerechnet jene liebevoll verzierte Gel-Kerze steht bald bei ihren Urgroßeltern. Oma und Opa wohnen nämlich im Seniorenheim und dort ist kein offenes Feuer erlaubt. Die Kerze ist also eher eine langfristige Leihgabe. Im Stillen hofft meine Tochter, nächstes Weihnachten schenken sie ihr die Kerze zurück.

Vielleicht war es also gar kein Übermittlungsfehler. Vielleicht musste Goethe die Szene ändern, weil Faust nur ertappt gemurmelt hatte: „Das geht dich gar nichts an.“ Dann hätte es kein Drama gegeben.