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Donnerschlag im Winterwald

Es schneit schon wieder. Wie aus einer Nebelwand stürzen die Flocken hervor, umwirbeln die Fichten, bedecken die Wege. Achim Funke zieht seine Mütze ein wenig tiefer in die Stirn. Bis über die Knie sinkt der Revierförster im Schnee ein, während er mit großen Schritten ein wenig hangabwärts watet.

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Von Frank Tausch

Es schneit schon wieder. Wie aus einer Nebelwand stürzen die Flocken hervor, umwirbeln die Fichten, bedecken die Wege. Achim Funke zieht seine Mütze ein wenig tiefer in die Stirn. Bis über die Knie sinkt der Revierförster im Schnee ein, während er mit großen Schritten ein wenig hangabwärts watet. Etwas weiter unten bleibt er stehen. Zwischen umgerissenen Bäumen, auf der Erde liegenden Ästen und ganzen Fichtenkronen ist kaum ein Durchkommen.

Die schiere Last

Ein Fichtenstamm ist zur Erde gebogen und steht jetzt als Halbkreis im Wald. Sogar Birken sind gesplittert. Es ist kein Sturmwind durch den Wald gefahren, auch wenn das Durcheinander aussieht, als ginge es auf das Konto eines Orkans. Auf dieses Stück Hang zwischen den Orten Waldidylle und Dönschten hat der Schnee gedrückt. Und gerade weil es windstill war, ist die Last gewachsen und gewachsen. So lange, bis die Myriaden feinster Flocken einen Brocken bildeten, der dicke Fichtenstämme knacken ließ wie Streichhölzer. Wie viel Gewicht auf einem Baum lasten kann, das weiß Funke nicht genau. Es sind wahrscheinlich hunderte Kilogramm. Ungünstig verteilt in der Krone auf langem Stamm kann das Gewicht selbst jahrzehntealte Fichten biegen wie eine Weidenrute.

Inzwischen hat es geregnet, es hat getaut, nun schneit es wieder im Erzgebirge. Auch wenn die Fichten schon wieder weiße Pudelmützen tragen – derzeit macht sich Förster Funke keine Sorgen. Die „akute Schneebruchgefahr“, wie das Umweltministerium warnte, ist vorerst gebannt. Jetzt werden Schäden erfasst.

Reichlich 15 Zentimeter Neuschnee seit dem Wochenende – kein Problem. Und der Wind stäubt die Bäume ab, in den Wipfeln bleibt nur Puderzucker. Schnee gehört im Gebirge dazu. Die Fichten auf 700 Metern, die Kiefern der Sorte Schmiedeberger Höhenkiefer sind Last gewöhnt. Nur wenn sie sich auftürmt, gar antaut und wieder festfriert, ein vielleicht später aufkommender Wind Schwingungen verursacht, dann kommt die Physik zur Geltung. Der ungünstige Hebel – die Last weit außen auf Ästen oder ungleichmäßig in der Krone konzentriert – lässt das Holz bersten.

Ausrichten kann der Förster dagegen nichts. Allenfalls bei Bäumen, die über Straßen hängen, lässt sich die Schneelast schon mal mit einem Kran abschlagen. Doch sonst kann Funke nur Schäden aufnehmen und festhalten in seinem Notizbuch, wenn er im Wald unterwegs ist.

Wann es bricht und welcher Baum bricht – das kann auch Achim Funke nicht genau vorhersagen. Und im Bärenburger Revier des Försters, gleich unterhalb des Erzgebirgskammes zwischen Oberbärenburg und Schmiedeberg, bricht es in jedem Winter. Nur nicht so viel. 20 Festmeter vielleicht, auch mal 30. In diesem Winter nun liegen schon 400 bis 500 Festmeter in Funkes Forstrevier. So heftig hat er es auch nur zwei- oder dreimal erlebt in den 14 Jahren, die er nun hier oben im Wald ist.

Borkenkäfer wartet schon

„Das gibt einen Donnerschlag“, sagt der Förster. „Und so wie die Kronen brechen, sind die auch schon unten.“ Nicht ungefährlich sei das, weil man keine Chance habe, noch wegzulaufen. Sie seien kurz davor gewesen, Wanderwege und Loipen zu sperren so wie im Westerzgebirge und im Vogtland vereinzelt nötig war. Aber Funke und seine Waldarbeiter sind stattdessen jeden Tag unterwegs gewesen, um Bruchholz wenigstens auf den Wegen zu beseitigen.

In den Wald ist noch kein Hineinkommen. 80 Zentimeter bis einen Meter hoch liegt hier immer noch der Schnee. Zumindest Übersicht hat der 38-jährige Förster jetzt über sein 1 100 Hektar großes Reich. Per pedes, per Ski oder per Jeep hat er etwa 80 Prozent seines Reviers inspiziert. In ganz Sachsen sind nach ersten Erfassungen über 25 000 Festmeter Holz gebrochen. Ungewöhnlich, so sagen Forstexperten, sei das aber nicht. Allenfalls, dass es überall im Wald zu Einzelbrüchen kam, sei schlecht für den Forst.

Im Frühjahr wartet Arbeit. Gut einen Monat wird er zu tun haben mit seinen Waldarbeitern, ahnt Funke. Es sei viel zu teuer, den einzelnen Bruch überall aus dem Wald holen zu wollen, sagt der Förster. Aber ihn liegen lassen, das geht auch nicht. Denn in den Fichtenforsten lauert immer noch der Borkenkäfer auf eine Massenvermehrung. Die niedergeworfenen Bäume sind für ihn im Frühjahr wie ein Buffet. Und deshalb müssen die Förster in den Wald und die abgerissenen Kronen am Boden wenigstens zersägen. Angetrocknetes Holz mag der Borkenkäfer nicht.

Doch Funke will nicht klagen über den Schnee. Er braucht ihn. Nicht nur, weil der Boden hier oben bei Altenberg karg ist und das Wasser die Nährstoffe bringt. Er braucht ihn, weil die vergangenen Jahre nur durchschnittlich nass oder eher zu trocken waren. Und er braucht ihn, weil Barfröste auch kreuzgefährlich sind für den Wald.