Von Steffen Neumann, Katrin Schröder und Frank Seibel
Tausenden Schaulustigen und über 600 Journalisten aus 20 Staaten bot sich ein historischer Moment. Nur wenige Schritte brauchten Bundeskanzler Schröder, Polens Premier Leszek Miller und ihr tschechischer Amtskollege Vladimir Spidla für eine Drei-Länder-Reise. Dreimal wurden sie von kommunalen Würdenträgern des polnischen Bogatynias, des tschechischen Hradeks und schließlich Zittaus begrüßt, dreimal trugen sie und EU-Kommissar Günter Verheugen sich ins Goldene Buch der Stadt ein.“


So hat die Sächsische Zeitung den 1. Mai 2004 beschrieben, einen historischen Tag von besonderem Rang. Jahrelang hatten sich die Nachbarn östlich von Neiße und Mandau darauf vorbereitet, und nun sind Polen und Tschechien der Europäischen Union beigetreten. Das Ereignis hat auch drei Menschen zusammengeführt, die durch das Bild des SZ-Fotografen selbst Teil des historischen Moments wurden. Eva Janásová, Cora Rebel und Leszek Duszynski – Grenzbeamte aus Tschechien, Deutschland und Polen, vereint am Dreiländerpunkt in Zittau. 14 Jahre sind seitdem vergangen, und seither hat sich nicht nur das politische Europa, sondern auch das Leben der drei Zufalls-Nachbarn sehr verändert. Nur Cora Rebel ist noch bei der Bundespolizei, und weil ihr Beruf auch Aufgaben bereithält, die größte Diskretion erfordern, will sie heute nicht mehr in der Öffentlichkeit stehen. Nur so viel sagt sie: An die Situation erinnert sie sich gut, aber die Wege der drei Beamten haben sich nur in diesem historischen Moment gekreuzt.
Eva Janásová muss unwillkürlich lächeln, als sie das Bild vom Mai 2004 sieht. Statt einer kühlen Beamtin sitzt eine Frau mit gewinnendem Lächeln und in Zivil am Café-Tisch. Der unerwartete Blick auf sich selbst 14 Jahre zurück weckt Erinnerungen. „Ich muss an meinen damaligen Chef denken, der kürzlich starb. Ihm war der Kontakt zu den deutschen Kollegen immer sehr wichtig.“ Sie arbeitete damals als Pressesprecherin der Ausländerpolizei, die in Tschechien für den Schutz der Landesgrenzen zuständig ist. Gelandet war sie da eher zufällig. Sie hatte als zivile Mitarbeiterin bei der Polizei begonnen und sollte in den regulären Dienst übernommen werden. „Doch tief in meiner Seele bin ich eigentlich keine Polizistin“, gesteht sie. Da kam ihr die Stelle in der Presseabteilung gerade recht. Das war keine tägliche Polizeiarbeit und der Kontakt mit Presse und Öffentlichkeit lag ihr. Während sie gern an die Zeit bei der Ausländerpolizei zurückdenkt, sind ihre Erinnerungen an den 1. Mai 2004 nur nebulös, erst recht der Moment des Fotos. „Für mich war das ein Arbeitstag, ich musste alles im Bild festhalten und konnte das nicht so genießen.“ So vergisst sie sogar, von jenem Moment zu erzählen, den ihr polnischer Kollege damals auf einem Foto festgehalten hat: Da steht sie, Schulter an Schulter, lächelnd neben einem strahlenden deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder.
Eva Janásová schaut pragmatisch auf das Ereignis und passt damit zu ihren Landsleuten, die als europaskeptisch gelten. „Sicher, es war für uns ein großer Tag. Aber ich bin überzeugt, dass den Menschen damals nicht bewusst war, wozu unser Land beitritt“, sagt die inzwischen 38-jährige. Vielleicht spürte sie deshalb keine Euphorie. „Die erlebten wir 1989, aber 2004 war das eher eine Vernunftentscheidung.“ Immerhin wurde diese in dem einzigen Referendum getroffen, das Tschechien bisher erlebt hat. Veränderungen in ihrem persönlichen Leben brachte der Beitritt zunächst nicht. „Das kam erst mit dem Fall der Grenzen Ende 2007. Damals wurde die Arbeit der Ausländerpolizei von Grund auf umgekrempelt.“ Die operierte fortan nicht mehr an der Grenze, sondern im Hinterland. Es dauerte einige Zeit, bis sie sich in ihre neue Rolle gefunden hatte. „Rund die Hälfte der Kollegen wurde in andere Abteilungen versetzt. Das war ein tiefer Einschnitt.“ Eva Janásová durfte bleiben.
Ihre Uniform hat sie trotzdem längst ausgezogen, und das hängt mit ihrer kleinen Tochter zusammen. Als diese vor fünf Jahren geboren wurde, nahm ihr Leben einen völlig anderen Lauf. „Im Rahmen der Präventionsarbeit, die immer mehr zu meinem Einsatzgebiet gehörte, arbeitete ich viel mit Schulen zusammen. Meine Tochter brachte mich endgültig zu den Kindern“, erzählt sie, warum sie ihre sichere Beamtenstelle aufgab und seitdem als Erzieherin in einem freien Kindergarten arbeitet. Und nicht in irgendeinem, sondern im ersten in Usti nad Labem (Aussig), der mit alternativen Konzepten wie dem von Maria Montessori arbeitet.
Insgesamt fallen Eva Janásová deutlich mehr Vorteile der tschechischen Mitgliedschaft in der EU ein als Nachteile, je länger das Gespräch geht. Sie schätzt die Reisefreiheit. Ihre Schwester lebt und arbeitet in London, wo sie sie regelmäßig besuchen. Zwar gehört sie nicht zu jenen, die fast nur noch in Sachsen einkaufen. Doch auch sie mag die einfachen Reisen ins Nachbarland, auch wenn sie „leider kein Deutsch kann“, wie sie sagt. Und letztendlich würde ihre neue berufliche Leidenschaft nicht möglich sein ohne die Europäische Union. Denn die alternative Kita, zu der auch bald eine Schule kommt, wird wesentlich durch EU-Mittel finanziert.
Anders als seine damalige Kollegin aus Tschechien erinnert sich Leszek Duszynski sehr genau an diesen Tag. 33 Jahre war er da schon im Dienst. Aber die aufregenden Tage rund um den 1. Mai 2004 markieren für ihn einen absoluten Höhepunkt in seinem Berufsleben. Und es war schon beinahe ein Schlusspunkt, denn der heute 66-Jährige ist zwei Jahre später in den Ruhestand gegangen, im Rang eines Oberleutnants. Seither kann er sich seiner Leidenschaft, dem Segeln, widmen, wenngleich ihm im August 2010 die Katastrophe mit dem geborstenen Witka-Stausee in der Nähe von Görlitz und Zittau den See vor der Tür für einige Jahre entrissen hatte. 15 Jahre lang war Leszek Duszynski Pressesprecher des polnischen Grenzschutzes in Zgorzelec. Zuvor hat er als Zeitsoldat in der polnischen Armee gedient und erinnert sich gut an die Zeiten, als die Grenzen dicht waren und Reisen in ferne Länder nur ein schöner Traum. „Das kann man heute gar nicht mehr nachvollziehen. Heute kann sich jeder frei bewegen und reisen, wohin er will, und niemand fragt, warum.“
Leszek Duszynski nutzt die Freiheiten, die ihm die EU gebracht hat. Gerade erst ist er von einer Reise durch Portugal und Spanien zurückgekehrt. Dass das Rad der Geschichte wieder zurückgedreht werden könnte, glaubt er nicht. Und führt hinzu: „Solange sie Polen nicht aus der EU rauswerfen, ist alles gut.“