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Dreimal Glück in bewegtem Leben

Abwasserchef Johannes Pohl verabschiedet sich. Die Dresdner verdanken ihm eine saubere Elbe.

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© SZ/Peter Hilbert

Von Peter Hilbert

Johannes Pohl ist ein gefragter Mann. Als Geschäftsführer der Stadtentwässerung eilt er von einem Termin zum nächsten. Eilte. Denn heute wird er offiziell verabschiedet. Zu Wendezeiten war die Elbe in Dresden eine Kloake. Seit 1994 hat Pohl als Abwasserchef mit seinen Leuten dafür gesorgt, dass der Fluss heute sauber ist.

Als junger Mann genießt er das Leben, trägt die damals übliche wallende Haarpracht.
Als junger Mann genießt er das Leben, trägt die damals übliche wallende Haarpracht. © privat
Stolz ist der kleine Johannes auf seine Zuckertüte. In Heidenau kommt er zur Schule.
Stolz ist der kleine Johannes auf seine Zuckertüte. In Heidenau kommt er zur Schule. © privat

Geboren wird er in Heidenau. „Links war das Krankenhaus, rechts der Friedhof, in der Mitte die Leichenhalle“, beschreibt er den Blick aus seinem Kinderzimmer-Fenster. Trist sei seine Kindheit jedoch nicht gewesen. Johannes wächst mit vier jüngeren Geschwistern und bis zu 18 Kindern im Mehrfamilienhaus auf. Da ist immer was los.Gern erinnert er sich an die Abenteuer. So in „Klein-Moskau“, einer Siedlung leer stehender, abbruchreifer Baracken unweit der Müglitz. „Da haben wir mit den Älteren aus unserem Haus einigen Blödsinn gemacht, chemische Versuche, bei denen es rumste und qualmte“, sagt er.

Christ kennt Marxismus

Aufgewachsen im katholisch geprägten Elternhaus, besucht Johannes Pohl in Heidenau die Polytechnische Oberschule. Er ist der Einzige in seiner Klasse, der nicht bei den Jungen Pionieren ist. Was Konsequenzen hat. „Der Druck hat mir aber nicht geschadet“, sagt er. Denn so sei er gezwungen gewesen, sich permanent mit Schulkameraden und Lehrern auseinanderzusetzen und bei Debatten seinen Standpunkt zu verteidigen. Obwohl der Heidenauer keine Jugendweihe absolviert und auch nicht der Freien Deutschen Jugend beitritt, kommt er aufgrund seiner guten Leistungen auf die Erweiterte Oberschule nach Pirna. Sein Glücksfall Nummer eins.

Für junge Christen ist das im SED-Staat durchaus nicht selbstverständlich. Trotz seines Glaubens hat er sehr gute Leistungen in Staatsbürgerkunde oder beim späteren Studium in Marxismus/Leninismus. Denn er interessiert sich für Gesellschaftspolitik, Philosophie und Psychologie. Pohl will Bauingenieur werden, bekommt dafür aber keinen Studienplatz. Also beginnt er nach dem NVA-Grundwehrdienst 1972 ein Studium zum Diplom-Wasserwirtschaftler an der TU Dresden. Sein Glücksfall Nummer zwei. „Denn da hat sich wieder gezeigt, dass die Dinge, die mir gegen den Strich gingen, sich im Nachhinein als die besseren erwiesen haben“, sagt er. In der katholischen Studentengemeinde lernt er bei Vorträgen und Debatten ein Stück Demokratie kennen. „Wir haben nicht nur über Glaubensfragen diskutiert, sondern uns auch kritisch mit dem Marxismus auseinandergesetzt und Alternativen besprochen.“

Bei dieser Gemeinde lernt Pohl auch seine Frau Martina kennen, heiratet 1976 und schließt sein Studium ab. Bereits im letzten Studienjahr zieht er in eine kleine Wohnung, die Toilette im Hausflur, auf der Prießnitzstraße in der Äußeren Neustadt. Erst als der zweite Sohn geboren wird, zieht die Familie um und bekommt später 1986 noch eine Tochter.

Pohl beginnt als Projektierungsingenieur bei einer Firma, die Aufbereitungsanlagen für Industrieabwässer entwickelt. Tagtäglich lernt der junge Mann die Kluft zwischen Theorie und Praxis kennen. Offiziell werden die sozialistischen Erfolge gefeiert, real wird aufgerüstet, ist die Wirtschaft am Boden, die Umwelt zerstört. Pohl engagiert sich in der ökumenischen Friedensarbeit seiner Johannstädter Kirchgemeinde und wird dort wie zu Hause von der Stasi überwacht. Dennoch nimmt er im Kreise seiner Kollegen nie ein Blatt vor den Mund, wird als Vorsitzender der Konfliktkommission seiner Firma eingesetzt und geachtet. „Da konnten wir offen miteinander reden“, erzählt er.

Sein Glücksfall Nummer drei beginnt mit der Kommunalwahl 1989. Pohl ist im Wahllokal wie andere vor Ort. „Dort wurde richtig ausgezählt“, berichtet er. Es gibt 20 Prozent Gegenstimmen. Das offizielle Ergebnis sieht jedoch völlig anders aus. Der Wahlbetrug ist der Anfang vom Ende. Im Herbst 1989 tritt er dem Neuen Forum bei, später dem Demokratischen Aufbruch (DA). So ist Pohl am 7. Dezember 1989 bei der Montagsdemo vor der Stasi-Zentral dabei. Der Ingenieur wird später von der Arbeit freigestellt und bearbeitet im Auftrag des Bürgerkomitees erste Anfragen von Dresdnern zu ihren Stasi-Akten.

Bei den ersten freien Wahlen wird er zum Stadtverordneten gewählt. Als Mitglied des DA, der im August 1990 mit der CDU fusioniert, wird Pohl zum Dresdner Beigeordneten für Umwelt und Naturschutz gewählt. „Da herrschte Chaos“, beschreibt er die Situation in seinem Zuständigkeitsbereich. An jeder Ecke liegen Autowracks, die Dresdner Heide ist voller Bunker und Munition. Als Umweltbürgermeister muss Pohl Ordnung schaffen. Das Klärwerk Kaditz ist bereits 1987 ausgefallen, die Elbe gleicht einer Kloake. „Wir mussten ungeheuer viel bewegen. Das war eine spannende Zeit“, blickt er zurück.

Geteilt und doch hinzugewonnen

Eine enorme Herausforderung für den Abwasser-Fachmann. Das marode Kanalsystem muss saniert, das Klärwerk Kaditz sinnvoll ausgebaut werden. Schließlich geht es auch darum, die Dresdner nicht mit zu hohen Abwassergebühren zu überfordern. 1994 wird Pohl Chef des neuen Eigenbetriebs Stadtentwässerung. Allerdings ist er anfangs „ein König ohne Reich und Volk“, erzählt er schmunzelnd. Denn als Dienstleister wird die Dresdner Wasser- und Abwasser GmbH eingesetzt, die die Anlagen und die Mitarbeiter führt. Doch 1997 werden sie von der Stadtentwässerung übernommen, und so erhält Dresdens ungekrönter Abwasser-König die volle Verantwortung. Zwar muss er sie bei der Privatisierung 2004 mit Gunda Röstel teilen. Doch das sieht Pohl locker. „Geteilt und trotzdem hinzugewonnen“, sagt er.

Nun ist er froh, dass ihm durch seinen Glücksfall Nummer drei nach der Wende derartige Gestaltungsmöglichkeiten geboten wurden. Das Kanalnetz und das Klärwerk Kaditz sind modern ausgebaut, seit der Wiedervereinigung wurden über 800 Millionen Euro dafür investiert. „Und die Arbeit mit den Kollegen genieße ich bis zum letzten Tag“, sagt er.

Künftig wird er mehr Zeit für Haus und Garten in Hosterwitz direkt am Wald haben. Da gibt es immer etwas zu tun, von der Apfelernte bis zur Pflege von Rosen und Rhododendren. Doch ganz kann er von der Arbeit natürlich nicht lassen. Als zweiter Geschäftsführer im Nebenamt von Gelsenwasser Polska wird Pohl auch weiter noch einige Tage im Monat zu tun haben.