„Ich bin zum Wutbürger mutiert“

Wer austeilen kann, muss auch einstecken können, ist ein Motto von Barbara Lässig. „Ich bin da bestimmt keine Feine. Aber ich kann auch gut einstecken, solange es gerecht zugeht“, sagt die 62-Jährige. Jüngst sorgte Lässig erneut für Wirbel, weil sie nun für die AfD arbeitet. Dabei hat ihre politische Karriere bei der PDS angefangen. Dazwischen gab es mehrere Stationen, bei unterschiedlichen Parteien. So ging es schrittweise nach rechts. Manchmal wurden ihre Bemühungen um eine neue politische Heimat auch abgelehnt, bei der CDU und den Freien Bürgern.
Wer Lässig begegnet, trifft auf eine unglaublich impulsive Frau. Sie holt weit aus, wenn sie erzählt und man merkt, ihre Themen sind ihr persönlich wichtig. In der Politik setzte sie besonders in den Bereichen Sport, Wirtschaft und Jugendhilfe Akzente. Eigentlich begann es viel früher. 1976 ist Lässig in die SED eingetreten. Nicht aus Überzeugung, sondern weil es erwartet wurde, als Lehrerin an der „Kindergärtnerinnenschule“. Die damalige Fachschule an der Reichenbachstraße wurde auch „der rote Pudding“ genannt, berichtet Lässig, über 80 Prozent der Belegschaft seien in der SED gewesen. Als die Wiedervereinigung kam, war Lässig gerade mit ihrem Sohn Paul, der 1988 geboren ist, im Babyjahr. „Ich bin mit Paul in der Tragetasche zur Schule, wollte dort mein Parteibuch abgeben.“ Entsetzt sei sie gewesen, darüber was da alles bekannt geworden ist über die SED. Dann hat sie aber im „Parteizimmer“ gesehen, dass dort stapelweise Parteibücher lagen. Sie hat reingeschaut. „Das waren die Schlimmsten in der SED, die sofort ausgetreten sind. Mit denen wollte ich nicht auf einem Tisch liegen.“ Also nahm sie ihr Parteibuch wieder mit heim und landete sozusagen automatisch in der PDS.
Lässig begleitete die damalige Dresdner PDS-Chefin Christine Ostrowski zum Hungerstreik am Kaliwerk Bischofferode. „Bis dahin war ich eine politische Mitläuferin“, erinnert sich Lässig. 1994 kandidierte sie für den Stadtrat und ging damit ehrenamtlich in die Politik. Parallel gründete sie ihre Firma „Lässig Werbung“ und wurde mehr per Zufall Hausbesitzerin und Vermieterin. Sie kaufte, damals als Mutter von drei Kindern, von ihrem damaligen Schwiegervater ein Haus in Strehlen. Für die Finanzierung benötigte sie einen Kredit. „Wenn ich in einer Bank abblitzte, bin ich durch die Hintertür wieder rein.“ Ihre Unnachgiebigkeit, wenn sie etwas will, zieht sich bis heute hin. Sie wurde Vorsitzende vom PDS-Unternehmerverband OWUS. „Damit war ich für einige in der Partei Kapitalistin, wie die, die bekämpft werden.“
Burka als „Müllsack“ bezeichnet
Angeeckt ist Lässig immer. Es kam zum Streit mit Parteichefin Ostrowski. Dieser und ein schlechter Listenplatz für die Landtagswahl 1999 waren Anlass, aus der PDS auszutreten. Sie blieb PDS-Stadträtin. Zumal Lässigs erster Abwanderungsversuch scheiterte. Sie klopfte 2000 bei den Freien Bürgern an. „Die lehnten ab, weil ich bei der Stasi gewesen sei. Das war ich nie.“ 2004 dann der nächste Versuch, Landtagsabgeordnete zu werden. Die PDS setzte sie auf einen aussichtslosen Listenplatz. Lässig klagte gegen die Partei, weil das Wahlverfahren ihr keine Chance gelassen habe, und verlor. Darauf versuchte sie es bei der CDU. „Die PDS war aber ein rotes Tuch für viele dort.“ Sie wollte auch Sportamtsleiterin der Stadt werden und scheiterte.
2006 kam der Woba-Verkauf, über den sich die PDS-Fraktion vollends zerstritt. Lässig war bei den Verkaufs-Befürwortern. Später spaltete sich die Fraktion. Die Gegner des Verkaufs wurden die offiziellen Vertreter der neuen Die Linke. Lässig und ihre Mitstreiter hatten bei der Wahl 2009 keine Chance, als Linke in den Rat zu kommen. „Ich war ja nie für Die Linke im Rat, bis dahin immer für die PDS. Und so richtig links war ich nie.“ Also ging es auf die Suche nach einer „neuen Heimat“. Damals zu fünft, wollte man von der FDP aufgestellt werden. Dieses Mal wollte die FDP Lässig, aber ihre Mitstreiter nicht. „Dann bin ich alleine zur FDP.“ Sie wurde gewählt und trat 2010 in die FDP ein. Aber die Liebe war nur eine Wahlperiode ungetrübt. 2014 wurde sie zwar aufgestellt, aber nicht gewählt. Immerhin vertrat sie die FDP im Jugendhilfeausschuss.

„Anders als bei der PDS habe ich mich bei der FDP parteipolitisch zurückgehalten.“ Dafür fiel Lässig in sozialen Netzen auf. Mit der Ankunft von vielen Flüchtlingen mehrten sich Kommentare und Posts von ihr – vorsichtig ausgedrückt, asylkritische Statements. Sie wurde immer mal wieder bei Facebook gesperrt. Einige Posts hielten ihr Parteifreunde vor. So wetterte sie gegen Kurse der Volkshochschule zur Kultur der Burkas, konnte sich ein Frohlocken nicht verkneifen, als eine ehemalige PDS-Stadträtin dem ehemaligen Sozialbürgermeister eine Ohrfeige verpasste. In einem Kommentar benannte sie eine Frau mit Burka als „eine mit Müllsack“. Es kam zu einem parteiinternen Prüfverfahren gegen Lässig und den damaligen FDP-Stadtrat Jens Genschmar. Gegen Genschmar gab es ähnliche Vorwürfe. „Ich provoziere manchmal gezielt“, kommentiert Lässig den „Müllsack“. „Sonst liest es ja keiner.“ Beide kamen einem Ausschluss zuvor, indem sie für die Freien Wähler kandidierten.
„Ich wurde von der FDP vorher zum Gespräch zitiert. Dort wurde mir vermittelt, dass ich nicht wieder aufgestellt werde.“ Lässig habe eine Begründung gefordert und die Facebook-Beiträge benannt bekommen. „Das sind doch keine Gründe. Wenn ich mich ungerecht behandelt fühle, mache ich zu.“ Damit war sie weg. Genschmar schaffte es bei der Wahl im Mai in den Stadtrat, Lässig nicht. „Also habe ich mich bei der Fraktion beworben, für den Jugendhilfeausschuss vorgeschlagen zu werden.“ Sie brachte ihre 20 Jahre Erfahrung in dem Ausschuss ins Spiel, bekam aber eine Absage. „Beim nächsten Treffen wurde ich vorgeführt. Mir wurde gesagt, ich sei zu laut, zu temperamentvoll und klage zu viel. Die Freien Wähler wollen seriös sein, nachdem sie öffentlich als rechtslastig wahrgenommen wurden.“ Lässig fühlte sich ungerecht behandelt und reagierte mit dem Satz: „Vielleicht stellt mich ja die AfD auf.“ Die fragte nun auch prompt an. Als Referentin der Fraktion, Schwerpunkt: Anfragen stellen, die die Verwaltung nerven. „Zuerst habe ich gedacht, das brauchst du nicht noch mal. Aber ich bin ja sowieso Freiwild, also habe ich zugesagt.“
Ob sie kein Problem mit der AfD hat, beantwortet Lässig klar mit „Nein“. „In der AfD sind einzelne Personen rechts, aber Ausreißer hat man in jeder Partei. Ich sehe mich in der Mitte der Gesellschaft.“ Dass der Verfassungsschutz Teile der Partei beobachtet, weil sie unter Rechtsextremismus-Verdacht stehen, stört sie nicht. Sie habe auch keinen inneren Wandel vollzogen, obwohl es von ganz links nach ganz rechts ging. „Ich werde niemals in die AfD eintreten.“ In politischen Kreisen heißt es, Lässig sei apolitisch und beziehe alles auf sich, weshalb sie sich schnell ungerecht behandelt fühle. „Barbara war immer am besten, wenn sie für etwas gekämpft hat, nicht gegen jemanden“, sagt Stadtrat Genschmar.
Nächster Streit bahnt sich an
Im Kampf gegen ihre politischen Feinde hat sie sich häufig verbissen, Akten über diese angelegt und geklagt. Sie habe sich im Leben immer alles hart erkämpft und erarbeitet, sagt sie. So hat Lässig beispielsweise das Dresdner Nachtskaten aufgebaut und war fast zehn Jahre Präsidentin der Eislöwen. Sie sei keine „frustrierte alte Frau“, sondern mit sich und ihrer Familie glücklich. Gerade durchlebe sie eine schwierige Zeit, weil ein guter Freund ein Pflegefall geworden ist und sie erlebt, wie man an der Bürokratie verzweifeln könne. „Ich bin zum Wutbürger mutiert. Wenn Flüchtlinge hierher kommen, bekommen sie sofort alles. Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, prallen aber am Pflegesystem ab.“ Das sei ungerecht. Dass es in der Pflege auch nicht schneller ginge, wenn es keine Flüchtlinge gebe, sehe sie ein. „Trotzdem vergleiche ich das.“
Freie-Wähler-Chef Steffen Große sagt zum AfD-Engagement nur: „Neue Liebe, so ist das Leben. Alles Gute.“ Ob Lässig für die Wählervereinigung weiter im Stadtbezirksbeirat Prohlis sitzen darf, sei noch nicht entschieden. Die Prohliser haben sie im Mai gewählt. Die Freien Wähler werden demnächst darüber diskutieren, kündigt Große an. Gut möglich, dass sich da der nächste Streit anbahnt.