Ein neues Leben für die bunten Steine

Dresden. Er konnte sie doch nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Wochenlang hatten die bunte Steine zuletzt die Spaziergänger im Blasewitzer Waldpark erfreut. Immer länger war die Schlange gewachsen und erzählte auf diese Weise ihre ganz eigene Geschichte von der Corona-Zeit.
Überall in Deutschland lagen zuletzt bunte Steine auf Wegen. Man erzählt sich, dass Eltern damit anfangs ihre Kinder unterhalten wollten. Der Rest kam von ganz allein.
"Man spricht ja auch von Schmunzelsteinen", sagt Johann Kral. "Das finde ich eigentlich ganz passend." Immer mal wieder hatte sie der 29-Jährige selbst im Waldpark gesehen, bis die Stadt zuletzt entschied: Die bunten Steine müssen weg, da sie sonst die anstehenden Mäharbeiten behindert hätten. Mit Schildern wurden die Menschen auf die bevorstehende Räumung aufmerksam gemacht.

Rasch wuchs in der Stadt die Kritik an der Entscheidung. Dann kam Johann Kral. Der Künstler entschied sich spontan, die Steine in seine Obhut zu nehmen, um ihnen ein neues Leben zu schenken. Mit eigenen Zetteln rief er dazu auf, die Steine doch bitte liegenzulassen, bis er sie selbst einsammeln und in einem Kunstwerk verewigen würde.
Dabei ist sein Metier eigentlich das Holz. Kral ist Holzbildhauer-Meister und modelliert vor allem Figuren in allen Größen. Er ist in Dresden geboren, lebte lange in München und ist nun in seine Heimat zurückgekehrt. Im Industriegelände hat er sich seine Werkstatt eingerichtet.
Da er von seiner Kunst bislang aber noch nicht leben kann und immerhin eine Familie mit zwei kleinen Kindern zu versorgen hat, entwirft und baut er hauptberuflich Massivholzmöbel-Unikate für den gehobenen Anspruch. "Ich bin froh, dass ich durch das Stein-Projekt meinen Fokus auch wieder mehr auf die Kunst legen kann", sagt er.
Nur wenige Lücken entstanden nach seinem Aufruf in der Steinkette. Im Gegenteil, sie wuchs sogar noch einmal. Außerdem wurde Johann Kral innerhalb weniger Tage zum gefragten Mann. Immer mehr Medien wollten Interviews. Dresdner riefen ihn an und fragten, ob er auch ihren Stein mit nutzen wolle. "Mit dieser Aufmerksamkeit hätte ich nie gerechnet", sagt Kral. "Das hat mich echt umgehauen."
Dabei konnte er die am häufigsten gestellte Frage gar nicht beantworten: Wie wird dieses Kunstwerk denn einmal aussehen? "Ich fühle mich gerade ein wenig wie eine werdende Mutter, die schon nach dem Namen des Kindes gefragt wird", sagt er. Er habe die Befürchtung, dass er sich zu schnell auf einen Weg festlegen würde, wenn er zu früh über seine Ideen spricht.

Immerhin ein wichtiges Detail scheint bereits geklärt zu sein: Die künftige Skulptur wird ihren Platz nicht im Waldpark finden, sondern im zum Stadtmuseum gehörenden Landhaus. "Mir ist vor allem wichtig gewesen, dass die Steine weiterhin für jeden kostenlos sichtbar sind", sagt Kral. Der Platz im Foyer des Hauses passe daher perfekt.
Nun muss eigentlich nur noch eine Skulptur her. Am Dienstag holte Kral zunächst die rund 4.000 bunten Steine in seine Werkstatt. Beim Einsammeln half ihm eine ganze Kindergartengruppe. Einige der Kleinen hätten dabei auch ihre eigenen Steine erkannt und sie entweder doch lieber mit nach Hause genommen oder sie ihm stolz überreicht.
Auf rund 250 Kilogramm schätzt er das Gewicht der Steine. Das Kunstwerk dürfte also eine schwerwiegende Angelegenheit werden, zumal er es noch um Holzelemente ergänzen möchte.
Mehr aber kann und will Kral bislang nicht über das Projekt verraten. Findet sich ein Sponsor, will er ab August jeden Tag einige Stunden daran arbeiten. Sein ehrgeiziges Ziel ist es, das Werk noch in diesem Jahr fertigzustellen.