Von Denni Klein
London, Coventry, Dresden: Diese schicksalhaft verbundenen Städte haben jetzt die Folgen ihrer Bombardierung im Zweiten Weltkrieg für den Alltag der Menschen aufgearbeitet. Wie die Luftangriffe den öffentlichen Nahverkehr und damit das öffentliche Leben trafen, haben die Verkehrsmuseen der drei Städte in einer einzigartigen Ausstellung mit bewegenden Zeitdokumenten zusammengetragen. Heute eröffnen die Bürgermeister der drei Städte gemeinsam in London die Ausstellung „Under Attack“ (Unter Beschuss).
Für Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) ist die Ausstellung ein wichtiger Beitrag zur weiteren Versöhnung. „Es wird wieder einmal begreifbar, welch unvorstellbare Zerstörung wir in diesem Krieg einander angetan haben. Ich weiß, dass es Ressentiments gegenüber der Beteiligung Dresdens an diesem Ausstellungsprojekt gibt. Aber es ist wichtig, dass wir uns heute gemeinsam solchen schwierigen Themen widmen, dass wir ohne zermürbende Schuld- und Sühnedebatten eine differenzierte Erinnerungsarbeit leisten, auch wenn es noch immer nicht einfach ist“, sagt Orosz.
Für Dresden leitete der ehemalige Direktor des Dresdner Verkehrsmuseums, Michael Dünnebier, die Erforschung des Themas. Anlass dafür seien der 70. Jahrestag des Beginns der deutschen Angriffe auf London und der 65. Jahrestag der Zerstörung Dresdens. „Bei der Aufarbeitung des Luftangriffs wird in Dresden verständlicherweise vor allem an die große Zahl der Opfer in nur einer Nacht und die Zerstörung einer Kulturstadt gedacht. Wir haben uns für diese Ausstellung einen Aspekt des Alltags der Menschen herausgegriffen – den Nahverkehr“, sagt der Kurator.
In London hätten die U-Bahnschächte für das Überleben der Menschen eine enorme Bedeutung gehabt. „Die tiefen Tunnel wurden zu Luftschutzbunkern. Selbst die Rüstungsproduktion wurde in die Schächte verlegt“, erzählt er. Auch oberirdisch war der Nahverkehr enorm wichtig. „Die Menschen wurden in Bussen aus der Stadt heraus in Sicherheit gebracht.“ In Coventry habe es nur Busverkehr gegeben. „Der kam durch die Zerstörung der Straßen zum Erliegen“, sagt Dünnebier.
In Dresden habe das System keine Schutzfunktion übernommen. „Während die Bombenangriffe in London sehr gezielt waren und punktuell Schäden verursachten, wurde in Dresden die Innenstadt großflächig zerbombt“, sagt Dünnebier. Mit den großen Straßenbahnknoten sei das Nahverkehrsherz vernichtet worden. Auch die zerstörten Elbbrücken blockierten die Bewegung und damit die Versorgung der Menschen. „Außerhalb des Zentrums funktionierte der Verkehr dagegen noch ganz gut.“ Bereits im Herbst 1945 seien die Straßenbahnen wieder durchs Zentrum gefahren. „Es war den Russen wichtig, das System schnell zu reaktivieren, weil sie so die Menschen zum Beräumen der Trümmer wieder in die Stadtmitte befördern konnten“, sagt der Experte. Busse seien keine Option gewesen, da es keine Treibstoffe gab.
Für die Kuratoren zeigt die Ausstellung am Beispiel des Nahverkehrs eindrucksvoll, wie nachwirkend die Zerstörung der Städte für die Überlebenden den Alltag prägte. Die Kooperation der Verkehrsmuseen sei auch deshalb gelungen, weil die Ausstellung keine Schuld- oder Moralfrage stellt, sagt Michael Dünnebier. Die Schau wird bis Ende März 2011 im Londoner Verkehrsmuseum gezeigt. Ab Mitte 2011 soll sie im Dresdner Verkehrsmuseum zu sehen sein.