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Kämpferin für die russische Freundschaft

Seit fast drei Jahrzehnten pflegt Hannelore Danders aus Dresden mit viel Herz die deutschen Beziehungen zu Russland. Ihr letztes Ziel: Geschichte bewahren.

Von Henry Berndt
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Hannelore Danders hat ihr Leben der deutsch-russischen Freundschaft gewidmet.
Hannelore Danders hat ihr Leben der deutsch-russischen Freundschaft gewidmet. © Sven Ellger

Dresden. Wer ist denn nun der Feind? In ihrer Kindheit wurde Hannelore Danders eingebläut, dass die Russen die Bösen seien. Noch heute kennt sie den Text von nationalsozialistischen Propagandaliedern. Ein Gesellschaftssystem später waren die Russen plötzlich die Guten und sie engagierte sich in Gruppen der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft.

Und heute? "Heute geraten die Lehren der Geschichte leider mehr und mehr in Vergessenheit", sagt die 88-jährige Dresdnerin. Im vergangenen Jahr habe ihre Stadt den 8. Mai, den Tag, an dem die Welt von den Nazis befreit wurde, kaum beachtet. 

Dieses Jahr dürfte allein schon die Corona-Krise das Gedenken erschweren. Vielen Deutschen sei heute gar nicht mehr bewusst, dass an diesem Tag vor 75 Jahren ein Weltkrieg zu Ende gegangen sei, sagt Hannelore Danders. Statt dieses Geschenk anzunehmen und zu pflegen, würden heute wieder alte Feindschaften heraufbeschworen, die einem langen Frieden im Wege stünden.

Abzug der Roten Armee führte sie zusammen

Vor 28 Jahren gründete die gebürtige Magdeburgerin in Dresden den Verein "Gesellschaft zur Hilfe für Kriegsveteranen in Russland", der einen Beitrag zur deutsch-russischen Aussöhnung leisten sollte. Seit damals fest an ihrer Seite war Viktor Maximow, ein früherer Sowjetsoldat, der im Zweiten Weltkrieg als Artellerieschütze kämpfte und sich später den Kampf für Frieden zum Lebensziel machte.

Als die Rote Armee 1994 abzog, führte ein Festakt auf dem Garnisonsfriedhof Maximow und Hannelore Danders zusammen. Er hatte den festen Plan, Bestände wie Kleidung und Bettdecken, die die Soldaten nicht mitnehmen wollten, an Veteranenkrankenhäuser im Ural zu schicken. Befreite russische Gefangene wurden in der Sowjetunion nicht als Helden verehrt, sondern als Verräter behandelt. Entsprechend schlecht ging es ihnen.

Für die Umsetzung seiner Pläne brauchte Maximow einen Verein. Es war der Anfang einer ganz besonderen Beziehung. Hannelore Danders, die frühere Russischlehrerin, und Viktor Maximow, der Ex-Soldat, lebten und kämpften fortan gemeinsam. Ihr eigener Mann war bereits in den 80er-Jahren gestorben. Nun wurde Maximow zu ihrer größten Inspirationsquelle. Fernab von allen politischen Zwängen sahen sich die beiden als Diplomaten des Volkes.

"An ihm hing viel"

Zeitweise engagierten sich rund 50 ehrenamtliche Mitarbeiter in ihrem Verein. Über die Jahre hinweg schickten sie fast 100 Container mit Hilfsgütern nach Russland, darunter ausgediente, aber voll intakte Krankenhausbetten. Und nicht nur das: Sie pflegten enge Kontakte nach Moskau, St. Petersburg und Jekaterinburg, halfen russischen Kindersoldaten, die in deutschen KZs den Krieg überlebten, tauschten Kunst aus und luden russische Zeitzeugen ein, die in sächsischen Schulen aus ihrem Leben erzählten.

2018 starb Maximow im Alter von 91 Jahren. War damit auch für Hannelore Danders und die anderen Mitstreiter der Zeitpunkt gekommen, um aufzuhören? "An ihm hing viel", sagt die 88-Jährige, doch gleichzeitig empfand sie gute Beziehungen in den Osten als wichtiger denn je.

Hannelore Danders und Viktor Maximow lernten sich in Dresden kennen.
Hannelore Danders und Viktor Maximow lernten sich in Dresden kennen. © Thomas Kretschel

Bis heute hält ihr Verein die Kontakte zu den russischen Partnern am Leben, auch wenn in diesen Wochen gleich reihenweise Veranstaltungen abgesagt werden mussten, darunter eine Lesung in Prohlis und die geplanten Fahrten nach Buchenwald und Zeithain im April. Zu Weihnachten verschickte der Verein zuletzt Pakete mit Kalendern, Lebkuchen und Konfekt.

Von einem russischen Fernsehsender wurde Hannelore Daners jüngst ausführlich interviewt. Der Beitrag soll um den 9. Mai herum ausgestrahlt werden, den Tag, der in Russland als wichtiger Feiertag begangen wird. 

In Deutschland und speziell in Dresden fühlt sich Hannelore Danders dagegen mehr und mehr als einsame Kämpferin gegen das Vergessen. In den Schulen erhielt sie zuletzt nur noch verhaltene Reaktionen. Ihr Thema ist dort eines unter vielen. "Dabei müssten wir die Chance jetzt noch nutzen", sagt sie. "In fünf Jahren gibt es keine Zeitzeugen mehr."

Ausführliche Dokumenatation in Jekaterinburg

Am 8. Mai würde Hannelore Danders gern in Pirna auf dem Sowjetischen Soldatenfriedhof der Toten gedenken. Am 20. September soll im Kreativzentrum Omnibus in Pieschen, einem ihrer wichtigsten Partner, eine Ausstellung mit Grafiken über jüdische NS-Opfer eröffnet werden. 

Wie es künftig mit ihrem Verein weitergeht, ist mehr als unklar. Bislang hat sie keinen Nachfolger finden können, der sich den Vorsitz zutraut und ausreichend gut Russisch spricht. "Alles hat seine Zeit", sagt Hannelore Danders nachdenklich.

Was auch immer kommt - jetzt geht es ihr vor allem darum, das Erreichte für die Nachwelt zu bewahren. Im Staatsarchiv in Jekaterinburg sind bereits alle Dokumente und Videos aus 28 Jahren Vereinsarbeit für jedermann einsehbar. Die Universitätsbibliothek in Dresden und die Nationalbiliothek in Leipzig haben immerhin schon einige Bücher entgegengenommen. 

Allein ihre eigenen Erinnerungen füllen inzwischen mehr als 800 Seiten. Und Hannelore Danders ist noch nicht fertig.

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