"Dresden ist jetzt meine Heimat"

Dresden. Normalerweise erklingt Beethovens Sturm-Sonate in großen Konzertsälen, vor Frauen in eleganten Abendkleidern und Herren im Smoking. Publikum in kurzen Hosen, mit Bratwurst in der einen Hand und der Hundeleine in der anderen – das ist auch für Maria Burnaeva ein ungewöhnlicher Anblick, und dennoch eine große Ehre.
Die junge Pianistin hat dieses Jahr den Palais Sommer eröffnet. Den Sturm, den sie am Dresdner Elbufer spielt, sah sie vor wenigen Wochen noch selbst auf sich zukommen. „Es wirkte so irreal“, sagt die 29-Jährige. Von heute auf morgen durfte sie keine Konzerte mehr spielen, musste ihren Musikschülern absagen und konnte nur noch eines machen – zu Hause bleiben. „Plötzlich war da nichts.“
Maria Burnaeva zählt zu den bekanntesten internationalen Nachwuchstalenten am Klavier. So etwas wie Stillstand kannte die gebürtige Russin bis zur Corona-Krise nicht. Schon im Alter von sechs Jahren lernte sie an einem Musik-Internat für begabte Kinder. Nach Studienaufenthalten in Kasan und Moskau ergriff sie die Chance, nach Dresden zu ziehen. „Die Musikhochschule hat einen sehr guten Ruf in Russland“, sagt Burnaeva. Dasselbe gelte für Dresden. Die Stadt werde gern in einer Reihe mit der russischen Kulturmetropole St. Petersburg aufgezählt.
Mutter lud immer zu spontanen Klavierabenden ein
Ihren Master im Fach Klavier hat die Pianistin 2019 mit Bestnote abgeschlossen. Zusätzlich absolvierte sie ein Studium der Instrumental- und Gesangspädagogik, bringt Kindern und Erwachsenen in Dresden, Radebeul und Radeberg heute freiberuflich das Klavierspielen bei. Sie gibt Konzerte in Russland, Spanien, der Schweiz, Kroatien und natürlich in Deutschland. In Venedig gewann sie den Grand Prix beim internationalen Klavierwettbewerb „Citta San Dove di Piave“. Wie kann so jemand einfach abschalten?
Gar nicht. Manche Künstler spielten in der Corona-Pause vor Privatbalkonen, andere haben ihre Konzerte ins Internet übertragen. Völlig kostenlos. „Wahnsinn“, sagt Maria Burnaeva dazu. „Ich kann das von ganzem Herzen verstehen: Wenn man etwas in sich hat, möchte das raus. Das Schlimmste ist, zu Hause nichts zu machen.“
Wenige Tage nach dem Lockdown konnte auch Burnaeva nicht mehr stillsitzen. Sie startete damit, Klavierseminare über das Internet zu organisieren. Kurse für blutige Anfänger, wenn man so will. „Viele Leute haben mitgemacht, die immer schon mal mit dem Klavier anfangen wollten und sogar von Oma und Opa ein Klavier herumstehen haben, das verstaubt.“ Nein, verdient hat sie damit nichts. „Für mich habe ich darin aber die Rettung gefunden.“
Musik gehört einfach zu Burnaevas Leben. Sie wuchs in der autonomen russischen Republik Mari El auf. Diese liegt rund 500 Kilometer östlich von Moskau. Die Hauptstadt Joschkar-Ola zählt knapp 250.000 Einwohner. Die Mutter ist Philologin für russische Literatur und Sprache, der Vater Ingenieur. „Meine Mutter spielt in ihrer Freizeit Klavier und hat mich mit vier, fünf Jahren an das Instrument herangeführt.“ Sie sei sehr musikalisch, kenne viele nostalgische, romantische und Kinderlieder. Maria Burnaeva erinnert sich an viele Abende mit Freunden der Familie, die spontan vorbeischauten, um bei Tee und Gebäck den Klavierklängen ihrer Mutter zu lauschen. „Das hatte einen großen Einfluss auf mich.“
Erste Wohnung am Albertinum
Trotzdem möchte die Künstlerin erst einmal nicht in ihre Heimat zurückkehren. „Ich liebe Dresden.“ Eine Liebe, die vor sechs Jahren begann. Während ihres Studiums lebte sie im wiederaufgebauten Bürgerhaus Rampische Straße 29, nur wenige Meter neben dem Neumarkt. Im Obergeschoss bietet die Kulturstiftung Historisches Bürgerhaus Dresden Wohnungen für Musikhochschul-Studenten an. Burnaeva hatte großes Glück, einziehen zu dürfen. „Wenn man jeden Tag die Pferdehufe klappern hört, früh als erstes das Albertinum sieht und auf dem Weg zur Schule an der Frauenkirche vorbeikommt – das ist Wahnsinn.“
Überwältigend sei auch die Nacht des zehnten Semperopernballs gewesen. Mit Star-Trompeter Ludwig Güttler an der Seite durfte Maria Burnaeva als Solopianistin auftreten. „Jede kulturorientierte Stadt hat eine Ballnacht. Das mag altmodisch sein, ich finde das aber schön.“ Würden die ganzen Querelen um den letzten Dresdner Ball dazu führen, dass er ganz abgesagt wird, wäre das ein Verlust für die sächsische Landeshauptstadt, findet die Pianistin. „Er gehört zum kulturellen Image Dresdens, wird im Ausland in einem Atemzug mit der Semperoper und der Staatskapelle genannt.“
"Ohne Kultur geht es nicht"
Doch die Verliebtheit in die Stadt sei nicht der einzige Grund, hier zu bleiben, gibt die junge Frau zu. Sie sei sich nicht sicher, ob sie in Russland so Musik unterrichten könnte, wie sie es hier in Dresden gelernt hat. Oberflächlich spüre man vielleicht kaum Unterschiede, doch in Russland sei der Musikunterricht eine Nummer strenger. Wer sich entscheide, die Musikschule zu besuchen, müsse am Ende auch eine Prüfung ablegen. „Das setzt Kinder sehr unter Druck und ist in der Kunst nicht immer eine gute Lösung.“

Weniger eine Länderfrage sei, wie Kinder in Zukunft an Musik herangeführt werden sollten, auch in Deutschland. Die Tonleiter 50-mal rauf und runter zu spielen, funktioniere nicht mehr. Rhythmus und Noten zu lernen, klappe um vieles besser, indem man sich zur Musik erst einmal bewege. Auch das musikalische Umfeld müsse modern werden. Maria Burnaeva zählt den Palais Sommer als Musterbeispiel dafür auf. „Man bewegt viele verschiedene Leute zu klassischen Konzerten, darstellenden Künsten und Ausstellungen. Jeder findet etwas für sich. Diese Verbindung von Freizeit und Kunst und Kultur, das braucht man.“
Ihre Generation wird die nächsten Musiklehrer stellen und vieles anders machen, davon ist Maria Burnaeva überzeugt. Dafür würde sie auch eine reine Künstlerkarriere ausschlagen. „Künstlerisch kann ich mich unendlich weiterentwickeln, da gibt es keine Grenzen. Aber wir müssen es schaffen, Kultur weiterzugeben. Denn ohne geht es nicht.“
Maria Burnaevas Musik Salon Dresden
Der Palais Sommer an diesem Wochenende, 1. und 2. August (Auszug):
Am Sonnabend sind ab 14 Uhr alle Interessierten dazu eingeladen, im Park am Japanischen Palais gemeinsam zu malen. Um 19 Uhr beginnt die Singer-Songwriter-Nacht Vol. 5 mit Musikern aus Deutschland, den Niederlanden und Dänemark.
Am Sonntag steht ab 11 Uhr wieder Malerei im Vordergrund. Anhand zweier Modelle kann sich jeder unter künstlerischer Leitung als Aktmaler versuchen. Musikalisch wird es ab 19 Uhr. Dann tritt die Band „Stilbruch“ im Palaispark auf. Der Eintritt ist kostenlos, die Zahl der Plätze aber auf 1.000 begrenzt. Spenden vor Ort sind jederzeit willkommen.
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