Von Alexander Hiller, Mannheim
Das ist unglaublich. Wer diesen Krimi vor 10.670 Besuchern in der SAP-Arena von Mannheim erlebt hat, muss erst einmal durchatmen. Nach einem spannenden, hochklassigen und letztlich dramatischen Spiel sind die Volleyballerinnen des Dresdner SC der glückliche, aber verdiente Sieger. Mit einer leidenschaftlichen Leistung gewinnen sie das Pokalfinale gegen Stuttgart mit 3:2. Das ist keine Sensation, war aber angesichts der Vorgeschichte dieses Endspiels auch nicht zu erwarten.
Was war passiert? Am Sonntagvormittag vermeldet der DSC einen sportlich schwerwiegenden Ausfall für das knapp sechs Stunden später beginnende Endspiel. Bei Mittelblockerin Ivana Mrdak wurde eine Thrombose im Schulterbereich diagnostiziert. Die 26 Jahre alte Serbin hatte eine Woche zuvor über Taubheitsgefühle im linken Arm geklagt. „Zum Glück haben wir sie am Mittwoch gegen Vilsbiburg nicht eingesetzt. Die Situation war lebensbedrohlich“, schildert Geschäftsführerin Sandra Zimmermann die dramatische Situation um Mrdak.
Während sie daheim das Bett hütet, ist die Mannschaft aber schon längst am Ort des Geschehens: in Mannheim. Vom leichten Training am Vormittag sendet das Team ein Foto: Die Spielerinnen formen mit ihren Händen Herzchen. Lucija Mlinar hält das Trikot mit der Nummer 15 hoch, Ivanas Shirt. Die Botschaft: Wir sind in Gedanken auch bei dir, wir spielen für dich. Für den fünffachen Meister ist es schon der zweite personelle Rückschlag nach dem langfristigen Ausfall von Mareen von Römer wegen einer chronischen Lungenentzündung. Immerhin kann die punktbeste DSC-Angreiferin, Milica Kubura, spielen. Am Freitag hatte sie noch wegen eines Infekts im Bett gelegen, am Samstag sitzt sie mit im Flieger nach Frankfurt/Main.
Jugend forsch statt viel Geld

Der DSC reagiert ungewöhnlich: Die erst 18-jährige Monique Strubbe aus dem eigenen Nachwuchs steht als Mittelblockerin in der Startformation und Mareen von Römer offenbar so weit wieder im Training, dass sie das Trikot der Aushilfslibera überziehen kann. Und Strubbe macht den ersten Punkt des Spiels – da sind die Nebelschwaden der Feuerfontänen für die pompöse Einlaufshow noch nicht verflogen. Außenseiter Dresden, zuletzt in der Meisterschaft im Januar daheim mit 1:3 unterlegen, beginnt mit drei deutschen Spielerinnen in der Startformation – Stuttgart mit keiner. Auch das Verhältnis wird in professionellen Mannschaftssportarten gern leidenschaftlich diskutiert.
Ein Hauptsponsor der Schwäbinnen meldete inzwischen Insolvenz an, für die nächste Spielzeit fehlt damit ein sechsstelliger Betrag. Es gehört zu den Randgeschichten dieses Duells, dass Stuttgarts Namenssponsor Allianz als einer der Hauptsponsoren des Finales auftritt. Das Spiel ist hochdramatisch. Der DSC zündet nach fünf abgewehrten Matchbällen und dem entscheidenden Punkt im Tiebreak eine wahre Euphoriewoge. Zum Schluss fällt die tanzende Traube einfach in sich zusammen – und auch daran hat der Überraschungspokalsieger riesigen Spaß. Großteile des entscheidenden fünften Satzes agiert das DSC-Team mit der 17-jährigen Zuspielerin Sarah Straube, der 18-jährigen Strubbe, der gleichaltrigen Emma Cyris und der deutschen Nationalspielerin Camilla Weitzel, gerade mal 19 Jahre.
Eines der emotionalsten Spiele für den Trainer

„Ich bin sowas von glücklich. Wir sind ein Team, da muss jeder für den anderen da sein, egal ob alt oder jung“, sagte Emma Cyris, die in der Spielzeit bisher kaum zu nennenswerten Einsatzzeiten kam. „Ich denke, dass für Ivana alle noch ein bisschen mehr gegeben haben“, hebt die junge Frau aus Sachsen-Anhalt den nimmermüden Kampfgeist hervor. An die entscheidenden motivierenden Sätze von Trainer Alexander Waibl vor dem fünften Satz kann sich die Außenangreiferin aber nicht mehr erinnern.
Waibl wahrte mit dem überraschenden Erfolg seine weiße Pokalfinalweste. Der 51-jährige Schwabe hat bisher jedes Finale für sich entschieden. „Es war eines der emotionalsten Spiele, an das ich mich überhaupt erinnern kann. Das ist heute ganz anders als vor zwei Jahren. Das war schon außergewöhnlich“, sagt Waibl.
"Ganz tief in meinem Herzen"

Den neuerlichen Triumph nach 2010, 2016 und 2018 stuft er für sich persönlich ganz oben ein. „Der Erfolg wird ganz tief in meinem Herzen einen Platz finden.“ Auch Camilla Weitzel, eine der besten Spielerinnen im DSC-Dress, lässt ihren Gefühlen freien Lauf, was die introvertierte junge Frau sonst eher selten macht: „Das ist ein Wahnsinn, ich kann dafür noch keine richtigen Worte finden. Von der Leidenschaft her war das das beste Spiel der Saison, das hat unheimlich viel Spaß gemacht“, sagt sie. Der Trainer sieht sich und die Vereinsstrategie bestätigt. „Das zeigt, dass der Weg, den der DSC geht, der richtige ist. Dass man versucht, junge Spielerinnen aufzubauen. Mit weniger Geld als Stuttgart oder Schwerin. Das ist etwas Besonderes“, sagt Waibl.
„Ich bin vollkommen aufgelöst, ich freu mich so sehr. Dieser Weg macht Spaß“, meint DSC-Abteilungsleiter Jörg Dittrich überglücklich. „Ich bin ganz sicher, dass das für die Bundesliga Effekte hat. Wir haben schon einen Titel, das setzt Kräfte frei“, sagt der 50-jährige Unternehmer. Das erste Selfie-Foto der Mannschaft ist da schon lange verschickt – an Ivana Mrdak.
