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Dresdner Theaterruine: "Wir gehören hierher"

Der St.-Pauli-Verein stemmt sich mit Intendant Jörg Berger an der Spitze gegen den drohenden Verlust seiner Heimstätte - und reicht der Stadt noch einmal die Hand.

Von Henry Berndt
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Intendant Jörg Berger kämpft gemeinsam mit seinen Mitstreitern gegen den Verlust der Ruine als Spielort.
Intendant Jörg Berger kämpft gemeinsam mit seinen Mitstreitern gegen den Verlust der Ruine als Spielort. © Marion Doering

Dresden. Er zuckt mit den Schultern. Immer wieder. "Ich weiß es wirklich nicht", sagt Jörg Berger, Intendant und Regisseur beim Dresdner Verein Theaterruine St. Pauli. "Ich kann es einfach nicht sagen." Der 58-Jährige und seine Mitstreiter stehen noch immer unter Schock. Sie können sich keinen Reim darauf machen, warum sie nach 21 Jahren ihre Heimstätte verlieren sollen. 

Fakt ist: Die Stadt hat den Mietvertrag für die Ruine im Hechtviertel zum Jahresende gekündigt und plant eine kurzfristige Neuausschreibung. Ihr Ziel: Das große Potenzial der Ruine, die vor acht Jahr für 2,7 Millionen Euro ausgebaut worden ist und unter anderem ein Dach erhielt, soll künftig besser genutzt werden. Vom Wunsch nach einem "breiteren Angebot" ist die Rede, vor allem "in Anbetracht des akuten Raummangels freier Kulturinitiativen".  

Für Jörg Berger und seine Mitstreiter vom Theaterruinenverein klingt das nach Hohn. "Viele sehen uns immer noch als reinen Theaterverein, dabei haben wir uns mit dem Ziel gegründet, die Ruine zu beleben und betrachten das bis heute als unsere Aufgabe." Neben den etwa 80 jährlichen Theateraufführungen habe man in den vergangenen Jahren stets auch Raum für Konzerte und andere Veranstaltungen gegeben. 

Besonders getroffen hat die Vereinsmitglieder der Vorwurf, die künstlerische Entwicklung des Vereins würde seit 2015 stagnieren. Die Regie-Handschrift sei immer dieselbe, das Theaterspiel allgemein zu sehr auf Berger konzentriert, neue Konzepte seien nicht erkennbar.

"Was erwarten die sich nur?", fragt Jörg Berger einmal mehr, "an einer Spielstätte ohne Parkplätze, die im Winter nicht beheizt werden kann?" Seine 80 Vereinsmitglieder hätten zuletzt jährlich etwa 18.000 Stunden ehrenamtliche Arbeit geleistet. Ausgehend von der Bezahlung eines Mindestlohns sei das eine Investition in die Kultur von mehr als 160.000 Euro. Dagegen steht eine Förderung in Höhe von 25.000 Euro, was momentan etwa der Hälfte der Betriebskosten entspricht.

"Faust rockt!" ist einer der Klassiker des Vereins Theaterruine St. Pauli. In diesem Jahr geht das Stück in seine fünfte Saison.
"Faust rockt!" ist einer der Klassiker des Vereins Theaterruine St. Pauli. In diesem Jahr geht das Stück in seine fünfte Saison. © St.-Pauli-Theater

Berger kann sich nicht vorstellen, wie ein anderer Träger unter diesen Bedingungen mehr aus der Ruine rausholen soll. Und das quasi aus dem Stand. Schon zu Jahresbeginn 2021 müsste es ja nach derzeitigem Zeitplan unter neuer Führung weitergehen.

Die Stadt betont, dass sich natürlich auch der Theaterruinen-Verein an der Ausschreibung beteiligen kann - aber bitte nicht mit dem derzeitigen Konzept. "Wir sind aber immer noch der Ansicht, dass es ein gutes Konzept ist", sagt Berger, der weiteren Gesprächsbedarf sieht und die Mitglieder des Kulturausschusses für den 1. September in die Ruine eingeladen hat. Ein bisschen Theater spielen, diskutieren, Lösungen finden. Resonanz auf die Einladung hab es allerdings kaum. Aus Sicht der Stadt gibt es offenbar kein Zurück mehr.

"Ein einfaches 'weiter so' sollte es nicht geben", sagt beispielsweise Christiane Filius-Jehne, die kultur- und tourismuspolitische Sprecherin der Grünen im Stadtrat. "Ich bin optimistisch, dass eine Neuausschreibung der richtige Weg ist, um der St-Pauli-Ruine eine ansprechende und erfolgreiche Zukunft zu sichern." Rums.

"Existenzbedrohende Lage"

Ein Theaterruinen-Verein ohne Theaterruine? Das kann doch allein vom Namen her nicht passen. Stünde der Verein damit also vor dem Aus? Nicht unbedingt. Womöglich ließen sich andere Spielstätten in der Umgebung finden, sollten die treibenden Kräfte nicht frustriert aufgeben. Auch der St.-Pauli-Salon als kultureller und sozialer Anlaufpunkt würde dem Verein als Zentrum bleiben. Dennoch spricht Berger von einer "existenzbedrohenden Lage".

Noch will der Verein der Stadt weiter die Hand reichen. Parallel dazu gibt es inzwischen gleich zwei Online-Petitionen gegen die Kündigung des Mietvertrages. Die eine startete der Verein selbst, hinter der anderen steckt ein langjähriger Wegbegleiter, der seinem Aufruf die dramatische Überschrift "Sankt Pauli Theater darf nicht sterben" gab. Das hat allerdings auch die Stadt nicht vor.

Wenn alle Hilferufe verhallen, will der Theaterruinen-Verein auch seine letzte Karte ausspielen, bevor er das Feld räumen muss. "Womöglich müssen wir am Ende nochmal ganz genau in den Mietvertrag schauen", sagt Martin Rossmanith, Jurist und Vorstandsmitglied des Vereins. Der Wortlaut bei der Formulierung der Vertragsdauer könne durchaus auch so verstanden werden, dass die kurzfristige Kündigung gar nicht rechtens sei. 

"Wir würden diese Eskalation gern vermeiden", sagt Berger und atmet tief durch, "aber was sollen wir machen? Wir gehören einfach hierher."

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