SZ +
Merken

Dringend gesucht: das Phantom von der Nordseeinsel

Die Posse um eine nicht bezahlte Rechnung ging jetzt vor dem Landgericht Dresden weiter. Und ist wohl noch nicht zu Ende.

Teilen
Folgen

Von Jürgen Müller

Ein Phantom geht um im Gerichtssaal A 1.49 des Landgerichtes Dresden. Alles dreht sich einen geheimnisvollen Fremden von einer Bohrinsel in der Nordsee. Er soll ein Freund des 57-jährigen Angeklagten aus der Gemeinde Käbschütztal sein, mit ihm einst auf rauer See bei der Marine gedient haben. Aus alter Verbundenheit lud er den alten Kameraden zu seiner Silberhochzeitsfeier ein. Doch leider musste der kurzfristig absagen. Sozusagen als Entschädigung für sein Nichterscheinen bot er dem Angeklagten an, die Kosten für die Feier zu übernehmen, bis zu maximal 600 Euro. Tatsächlich fielen neben der Saalmiete, die der Angeklagte schon bei der Bestellung bezahlte, 594 Euro an. Die hat der Angeklagte nicht bezahlt. Deshalb musste er sich im Januar vor dem Amtsgericht Meißen wegen Betrugs verantworten. Dabei saß ja offenbar der Falsche auf der Anklagebank, denn der Freund musste ja bezahlen. Gericht und Staatsanwaltschaft sahen das aber anders. Sie glaubten nicht, dass es den Mann tatsächlich gibt und verurteilten den Angeklagten wegen Betrugs zu drei Monaten Haft ohne Bewährung. Die Staatsanwältin hatte sogar sechs Monate gefordert. Ohne Bewährung deshalb, weil er bereits unter Bewährung stand. Er war zuvor schon ebenfalls wegen mehrerer Betrugsfälle zu neun Monaten Gefängnis verurteilt worden. Sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft gingen in Berufung gegen das Urteil. Nun sah man sich am Landgericht Dresden wieder.

Pomp und Offenbarungseid

Der Vorsitzende Richter Walter Voigt wundert sich, dass der Angeklagte, der kurz vor der Feier einen Offenbarungseid geleistet hatte und Arbeitslosengeld II bezieht, sich so eine pompöse Feier mit Blumenschmuck, Feuerwerk, Bewirtung und allem Drum und Dran leistet. Man habe sich Geld als Geschenke gewünscht und davon die Feier bezahlen wollen, sagt der Angeklagte. Aha, was sei denn zusammengekommen. 800 Euro. Und wie viele Gäste waren da? 48. Der gut gelaunte Richter zieht die Brauen hoch: „Das ist ja nicht viel bei 48 Gästen. Da haben Sie wohl die Falschen eingeladen?“. Seine Laune verschlechtert sich, als die Ehefrau vernommen wird. Die spricht nämlich von 1 200 Euro und 25 Gästen. Unterschiedlich sind auch die Aussagen, was mit den Geldgeschenken geworden ist. Während der Mann behauptet, das Geld sei aufs Konto eingezahlt und davon die Stromrechnung bezahlt worden, sagt die Frau, man habe es ausgegeben.

In einem aber sagt die 52-jährige Ehefrau, die ebenfalls schon mal wegen Betrugs zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, das Gleiche wie ihr Mann: Dessen Armeefreund habe die Rechnung begleichen wollen. Leider kommen die beiden nicht an ihn ran. Der sei nämlich verzogen, gehe nicht an sein Handy und habe auch noch geheiratet und den Namen seiner Frau angenommen. Jetzt wüssten sie nicht mal mehr, wie er heiße. Und Fotos von ihm gibt es auch nicht.

Die Laune des Richters verschlechtert sich weiter. „Binden Sie uns einen Bären auf? Gibt es den Mann wirklich, oder ist das ein Phantom?“ Beide beteuern, es gäbe ihn. Der Richter belehrt die Zeugin eindringlich: „Wenn es den Mann nicht gibt, ruinieren Sie sich. Bei uneidlicher Falschaussage droht der Hammerweg“. Damit meint er das Gefängnis. Und er baut der Zeugin eine goldene Brücke: „Wenn das erfunden ist, ziehen Sie jetzt die Notbremse.“ Sie tut es nicht. Dabei läuft gegen sie schon ein Verfahren wegen uneidlicher Falschaussage. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlsosen, doch die Staatsanwaltschaft hat bereits herausgefunden, dass ein Mann mit dem angegebenen Namen unter der von dem Angeklagten genannten Adresse nie gemeldet war.

Die Laune des Richters verschlechtert sich weiter, als er sich das Urteil kommen lässt, nach dem der Mann zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt wurde. Und zwar deshalb, weil er einen Bekannten bat, ihm 10 000 Euro zu leihen und nach wenigen Monaten 15 000 Euro zurückzahlen wollte. Er bekam das Geld, der Bekannte aber bis heute keinen einzigen Cent zurück. Auch Heizöl hatte er bestellt, einen Heizungsmonteur mit Reparaturen beauftragt und einen Animateur für seine Gaststätte angeheuert, alle Rechnungen aber nie bezahlt.

Schon Jahre zuvor war er wegen Unterschlagung zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Als Busfahrer hatte er Fahrgeld behalten. Aber das war nicht seine Schuld. Die Brieftasche mit dem Geld sei ihm abhandengekommen. Sein Arbeitgeber sah das anders, feuerte den Mann fristlos und zeigte ihn an.

Die Staatsanwältin beantragt, die Berufung zu verwerfen und das Meißner Urteil zu bestätigen. Doch das Gericht, das zeitig zu erkennen gab, dass es sich noch mal Bewährung vorstellen könne, ändert das Urteil ab. Es bleibt bei drei Monaten, aber auf Bewährung, wenngleich der Richter einräumt: „Sie sind tatsächlich ein Fall, bei dem man eigentlich keine Bewährung mehr geben dürfte.“ Er rechnet dem Angeklagten an, dass er die Rechnung inzwischen bezahlt hat. Das tat er – nach zwei Jahren und zwei Tage vor der Berufungsverhandlung.

Gefängnis droht noch immer

Zur Bewährungsauflage macht der Richter, dass der Angeklagte 100 gemeinnützige Arbeitsstunden leistet. Außerdem wird er einem Bewährungshelfer unterstellt. Kommt er den Auflagen nicht oder unvollständig nach, rückt er doch noch ein. Gefängnis droht auch noch aus einem anderen Grund. Weil er für Taten verurteilt wurde, die er während der Bewährungszeit beging, droht nach wie vor der Widerruf der neunmonatigen Bewährungsstrafe. Das entscheidet jedoch der Meißner Richter, der ihn dazu verurteilte. Sollte es sich herausstellen, dass es den Freund des Angeklagten gar nicht gibt, droht auch der Ehefrau des Angeklagten eine Gefängnisstrafe.