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„Dürfen unzensiert unsere Meinung sagen“

Kurz nach Maximilian Schikore-Pätz’ Geburt fiel die Mauer. Dennoch fühlt sich der Coswiger von der DDR geprägt.

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Maximilian Schikore-Pätz (29) ist in Meißen geboren und im wiedervereinigten Deutschland aufgewachsen. Dennoch fühlt er sich auch durch die DDR geprägt.
Maximilian Schikore-Pätz (29) ist in Meißen geboren und im wiedervereinigten Deutschland aufgewachsen. Dennoch fühlt er sich auch durch die DDR geprägt. © Claudia Hübschmann/Bildstelle

Herr Schikore-Pätz, was steht bei Ihnen auf dem Frühstückstisch – Nudossi oder Nutella?

Bei uns wird eher herzhaft gefrühstückt. Prinzipiell bin ich da aber nicht festgelegt. Mal steht Nutella auf dem Tisch und mal Nudossi. Was mir gefällt, ist, dass es Nudossi jetzt im Glas gibt und ohne Palmöl.

Sehen Sie sich eher als Ostdeutscher, als Westdeutscher oder als Deutscher?

Ich bin in Meißen geboren und aufgewachsen. Dadurch fühlt man sich natürlich mit der Region verwachsen und in gewissem Sinne als Ostdeutscher. Besonders deutlich werden die Unterschiede zum Beispiel bei Treffen mit Vertretern einiger westdeutscher FDP-Landesverbände. Die ticken schon etwas anders. Sonst überwiegt für mich jedoch das Gemeinsame. Ich würde den Westen nie als „Drüben“ betrachten.

Die DDR ist kurz nach Ihrer Geburt von der Landkarte verschwunden. Fühlen Sie sich trotzdem noch durch sie geprägt?

Auf jeden Fall, allein schon durch mein Elternhaus. Das Leben in der DDR hat einen eigenen Erziehungsstil geprägt, der sich bis heute von dem im Westen unterscheidet. Die Bildungsangebote hier sind anders strukturiert. Das setzt sich fort mit der Rolle der Frau. Ich empfinde es als selbstverständlich, dass Frauen einen Beruf ausüben und es gab für mich auch gar keine Frage, sechs Monate Elternzeit zu übernehmen. 

Durch die Erzählungen meiner Eltern weiß ich aber auch über die negativen Seiten der DDR Bescheid. Das äußert sich in einer großen Dankbarkeit für das freie Leben, welches wir jetzt führen können. Keiner muss Angst haben, bespitzelt zu werden. Wir dürfen unzensiert unsere Meinung sagen und reisen, wohin wir wollen.

Drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall existiert weiter ein großes wirtschaftliches Gefälle zwischen Ost und West. Empfinden Sie das als ungerecht oder ganz normal?

Das Grundgesetz gibt dem Staat die Aufgabe, die Gleichheit der Lebensverhältnisse zu gewährleisten. Trotzdem sehen wir 70 Jahre nach seinem Inkrafttreten immer noch große Unterschiede zum Beispiel zwischen dem Ruhrgebiet und erfolgreichen Regionen in Baden-Württemberg. Die Lausitz wiederum hat ihre ganz eigenen Probleme. 

Aus meiner Sicht macht es keinen Sinn, diese Schwierigkeiten auf einen Ost-West-Gegensatz zu reduzieren. Es sollte für jede Region ganz individuell analysiert werden, wo die Ursachen für Probleme liegen und welche darauf passgenau zugeschnittenen Lösungen helfen könnten.

Denken Sie, dass es in absehbarer Zukunft zu einer Angleichung der Lebensverhältnisse kommen wird?

Da stellt sich zunächst die Frage: Was sind eigentlich gleiche Lebensverhältnisse? Im Vogtland oder der Lausitz mögen die Löhne vielleicht unter dem Durchschnitt liegen. Die Lebenshaltungskosten allerdings ebenso. Prinzipiell sollte der Staat in benachteiligten Regionen die Vorschriften lockern, Ausnahmen zulassen und Pilotprojekte fördern, wie dies jetzt hoffentlich mit dem 5G-Testfeld in der Lommatzscher Pflege passiert. So können frische Ideen auch dazu führen, dass Regionen aufholen können.

Wie beurteilen Sie den Prozess der Wiedervereinigung? Was ist gelungen und was nicht?

Wir dürfen nicht vergessen, dass sich in Folge der Friedlichen Revolution im Herbst 1989 eine einmalige politische Chance und ein, wahrscheinlich nur kurze Zeit, offenes Zeitfenster ergeben haben, die deutsche Teilung zu überwinden. Es war nicht zu erwarten, dass der anschließende Transformationsprozess ohne Reibungsverluste vonstattengehen würde. Wie gut es letztlich trotzdem gelaufen ist, das macht ein Vergleich mit anderen Ländern in Osteuropa deutlich, die das ganz allein und ohne Hilfe bewältigen mussten. 

Natürlich ist die Privatisierung durch die Treuhand nicht überall optimal gelaufen. Was genau hätte besser gemacht werden können, darüber lässt sich im Nachhinein immer trefflich streiten. Ganz praktisch sollten wir überlegen, wie sich wirtschaftliche Nachteile ausgleichen lassen, die einigen Gruppen im Zuge der Wende entstanden sind. Es ist jetzt zum Beispiel viel von den Wende-Verlierern 2.0 die Rede, also jenen Menschen, die 1990 ungefähr 30 Jahre alt waren und ihre Biografien neu ausrichten mussten. Diese Generation hat viel ausprobiert und nicht immer ist es geglückt und sind nun oft von Altersarmut bedroht. Wie können wir diesen Jahrgängen helfen? Hier sollte nach Lösungen gesucht werden.

Die Wahlerfolge der AfD in Sachsen werden teilweise mit mangelndem Demokratie-Verständnis der Mensch hier erklärt. Was antworten Sie darauf?

Ich würde nicht grundlegend von einem mangelndem Demokratie-Verständnis sprechen. Vielmehr ist uns die Freude an der politischen Auseinandersetzung und die Fähigkeit dazu abhandengekommen. Wann haben wir vor 2015 noch spannende Debatten erlebt? In diese Lücke stößt nun auch die AfD. 

Zumeist ging und geht es nicht darum, den sogenannten politischen Gegner von der eigenen Meinung zu überzeugen, sondern ihn bloßzustellen und die eigenen Ziele möglichst zu 100 Prozent durchzusetzen. Wir müssen wieder lernen, andere Ansichten auszuhalten und Freude daran zu haben, gemeinsam Kompromisse zu finden. Dieses Defizit ist nicht auf Sachsen beschränkt. Es existiert genauso in westlichen Regionen. 

In der Folge kommt auf uns viel Arbeit zu. Es wird vor allem darum gehen, jungen Menschen zu erklären, wie politische Prozesse funktionieren und welche Möglichkeiten, aber auch Grenzen existieren. Die Menschen müssen merken, dass sich etwas ändert, wenn sie sich ehrenamtlich engagieren. Für sehr bedenklich halte ich, dass Sachsen beim ehrenamtlichen Engagement im Bundesvergleich sehr weit hinten landet.

Was würden Sie Ihren Kindern über die DDR erzählen?

Geschichten wie das lange Warten auf ein Auto oder das Anstehen nach Bananen werden heute ja eher zur Erheiterung erzählt. Sie sollten uns jedoch nicht zuletzt Demut und Dankbarkeit gegenüber dem Erreichten lehren, bei allen Fehlern, die passiert sind. Natürlich gehört zu Erzählungen auch, zu erklären, warum es überhaupt zur deutschen Teilung kam und welche Schrecken dem vorausgingen. Wenn heute auch junge Menschen denken, dass es ihnen damals besser ergangen wäre, dann haben wir als Gesellschaft mit unseren Erklärungen und Erzählungen versagt.

Das Gespräch führte Peter Anderson.

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