Wenn Politiker um ihr Leben bangen

Dresden. Wenn Petra Zais am Chemnitzer Bahnhof aus dem Zug steigt, wird die 62-Jährige häufig schon erwartet. Doch es sind nicht Freunde oder Familie, die die grüne Landtagsabgeordnete zur kurzen Verschnaufpause in der Heimat abholen, sondern ein Mann, den Zais persönlich gar nicht kennt.
„Ich treffe ihn in absurder Regelmäßigkeit in der Nähe des Eingangs“, erzählt die ehrenamtliche Stadträtin. Dort beschimpfe sie der Unbekannte dann, schreie meistens Dinge wie „Grüne Kinderfickerin, hau ab“.
Am Anfang habe sie noch darüber gelacht, den Mann nicht für voll genommen, erzählt Zais. „Doch mittlerweile ist mir das Lachen vergangen.“
Das liegt auch daran, dass die vielen Drohungen, die Zais seit ihrem Einzug in das Parlament 2014, erhält, immer persönlicher werden. Erst kürzlich hat die Abgeordnete wieder einen Brief geöffnet, anonym gesendet, zugestellt an ihr Postfach im Sächsischen Landtag. „Du gehörst in die Mülltonne!“, stand da handgeschrieben auf einem kleinen gefalteten Zettel.
Einer der wenigen Fälle, in denen Zais die Sicherheitsabteilung des Sächsischen Landtags informierte. „Normalerweise gehe ich nicht zur Polizei, denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass das wenig bringt“, sagt sie. Die Täter seien schließlich nicht dumm, auch wenn sie nach Zais Erfahrung immer dreister werden.
„Fingerabdrücke hinterlassen die nicht und mit den Hasskommentaren auf Facebook ist die Polizei einfach überfordert.“ Eigentlich wollte die 62-Jährige auch gar nicht öffentlich über die Drohungen gegen sie sprechen, auch nicht auf Angriffe auf ihre Bürgerbüros in Schwarzenberg und Zwickau.
„Die Leute denken dann, man will sich in den Mittelpunkt stellen, rumjammern. Ich bin Gegenwind eigentlich gewohnt, weil ich seit jeher für die Rechte von Asylbewerbern und Migranten kämpfe. Meinen politischen Alltag hat das nicht verändert“
Trotzdem sei die Veröffentlichung ihrer Privatadresse durch politische Gegner bei einer Demonstration 2014 für sie eine Zäsur gewesen, mit dem Beginn der Flüchtlingskrise 2015 und dem Aufkommen von Pegida hätte der Hass, vor allem online, nochmal massiv zugenommen.
Von 355 Straftaten gehen fast die Hälfte gegen die AfD
Auch Carsten Hütter, AfD-Abgeordneter aus dem Erzgebirge kennt die Situation, Zielscheibe zu sein. Ihn und seine Partei treffen Drohungen und Angriffe besonders häufig. In diesem Jahr zählt das Landeskriminalamt Sachsen bereits 355 Fälle von Straftaten, die sich gegen Parteien und ihre Mitglieder richten, 174 davon richten sich gegen die AfD, über 30 Anschläge wurden in den letzten Jahren alleine auf Hütters Bürgerbüro in Chemnitz verübt.
„Ich nehme das nicht persönlich, sondern als Angriff auf meine Politik.“, sagt er. Zur Anzeige bringt der Besitzer eines Autohauses nur die wenigsten Attacken.
Er sehe wenig Sinn darin, erzählt Hütter, der auch Mitglied des NSU-Untersuchungsausschusses im Landtag ist. „Wenn man als Politiker in der Öffentlichkeit von Angriffen erzählt, wird man immer schnell in die Opferrolle geschoben.“
Auch die meisten Ermittlungen der Polizei verliefen erfolglos, weil die Täter nicht zu ermitteln seien. Dies liege, so Hütter auch daran, dass es sich meist um Sachbeschädigungen in Höhe von 2.000 bis 3.000 Euro handle.
„Die Täter wollen finanzielle Schäden, weil sie wissen, dass die Anschläge irgendwann nicht mehr von den Versicherungen gedeckt werden. Gleichzeitig wissen sie, dass der Schaden nicht hoch genug ist, um dafür groß zu ermitteln“, sagt er.
Dabei gehen die Angreifer, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung meist sehr ähnlich vor: Sie zerschlagen beispielsweise Scheiben, werfen Farbbeutel, verteilen Müll und Fäkalien. Susanne Schäper, gesundheitspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, fand nach 22 Anschlägen auf ihr Bürgerbüro keinen Vermieter für neue Räumlichkeiten mehr.
Mit vielem hat sich die gelernte Krankenschwester mittlerweile arrangiert. „Ich kriege mindestens einmal pro Woche einen Drohbrief oder eine Drohmail, Beschimpfungen sind an der Tagesordnung“, sagt sie. „Ich versuche damit humorvoll umzugehen. Mit einem Witz rechnet nämlich erstmal keiner.“
Mehr Angst um Familie als um sich selbst
Doch wo ist die Grenze des Ertragbaren? „Ich habe auf Facebook einen Post geschrieben, der sich gegen die Ausgrenzung von Migranten in Freibädern richtet. Daraufhin hat mir ein Nutzer gewünscht, dass meine Kinder vergewaltigt werden“, so Schaper. Andere Nutzer hätten ihre Adresse genannt und private Informationen über ihren Mann veröffentlicht.
„Sie können davon ausgehen, dass die Leute viel mehr Intimes wissen, als man es wahrhaben möchte“, sagt die 41-Jährige. Auch um im Alltag zu funktionieren hätten viele Politiker deshalb eine Mentalität nach dem Motto „Mir passiert schon nichts“ entwickelt. Trotzdem sind besonders die eigenen Familien bei allen Landtagsabgeordneten ein wunder Punkt.
Erst vergangene Woche machte der sächsische SPD-Chef und Wirtschaftsminister Martin Dulig öffentlich, dass ihm nur wenige Wochen vor dem Lübke-Attentat das Imitat eines G36-Sturmgewehrs per Paket an seine private Wohnadresse geschickt wurde. Lange habe er über Bedrohungen geschwiegen, so der 45-jährige gebürtige Plauener.
Doch nun sei ein Punkt erreicht, an dem das nicht mehr möglich sei. Der Dresdner CDU-Landtagsabgeordnete Lars Rohwer kennt Dulig bereit seit seiner Kindheit, beide engagierten sich in benachbarten Kirchengemeinden. „Martin und mich verbindet, dass wir Waffen absolut ablehnen. Die Täter nutzen das aus.“
Rohwer erlebte bisher nur eine Attacke; im Frühjahr wurde sein Bürgerbüro im Dresdner Stadtteil Löbtau von Gegners des neuen Polizeigesetzes mit Tierkot und Fäkalien verunstaltet.
Obwohl das, im Vergleich zu seinen Kollegen, verhältnismäßig wenig ist, beobachtet er zunehmend schärfere Töne unter seinen Posts in den sozialen Netzwerken – von links, wie von rechts. „Ich muss eine dicke Haut haben und hab auch eine Verantwortung für meine Familie. Die muss schließlich letztlich damit umgehen“, so Rohwer.
Zwischen Reaktion und Vermeidung
Seine Fraktionskollegin Daniela Kuge zog an einem Wochenende im Januar 2017 drastische Konsequenzen. Mit einem provokativen Bild, auf dem sie Pelz trug, und einem Spruch über erlegte Waschbären verursachte sie eine heftige Welle teils aggressiver Reaktionen radikaler Tierschützern im Netz.
„Es hieß dann, man solle meinen Sohn umbringen und mich auch erschießen und häuten. Mit so etwas habe ich nicht gerechnet“, so Kuge. Weil die Polizei ihr riet, das Haus zu verlassen, flüchtete die 42-Jährige für ein Wochenende mit der Familie ins Erzgebirge. Passiert ist nichts, doch Kluge hat aus dem Vorfall gelernt.
„Mein Sohn ist mittlerweile raus aus Facebook“, sagt sie. Sie selbst hingegen habe derweilen auch im Netz viele Unterstützer, die ihr bei solchen „Shitstorms“ zur Seite stehen. Oft gehe sie aber auch direkt auf die Leute zu.
„Wenn man konkret anspricht, ist oft ganz schnell Ruhe“, sagt Kuge. Diese Taktik nutzt auch Petra Zais. Immer wieder antwortet sie auch auf hasserfüllte Briefe und Mails, wenn der Absender bekannt ist. Und macht damit gute Erfahrungen.
„Ich lade auch Leute zu meinen Veranstaltungen ein. Mit einigen lebe ich seit einiger Zeit in wirklich friedlicher Koexistenz, obwohl wir völlig andere Ansichten haben.“ Trotzdem bleibe oft ein mulmiges Gefühl, zum Beispiel, wenn Zais wieder mal mit dem Zug unterwegs ist.
In Sachsen an sich aber, so sind sich alle Befragten fraktionsübergreifend einig, gebe es keine besonders angespannte Lage, in der Politiker anderen Gefahren ausgesetzt sind als in anderen Bundesländern.
Die Abgeordneten sind sich bewusst darüber, dass sie durch ihren Beruf in der Öffentlichkeit stehen und sich damit bei weitem nicht nur Freunde machen. „Viele wollen dich auch einfach beschissen finden“, sagt Schaper und lächelt leicht.