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Der Mann, der Dynamos Protest durchsetzen will

Rechtsanwalt Christian Quirling vertritt Dynamo beim Einspruch. Warum er den Funkkontakt zum Videobeweis hören will, erklärt er im Gespräch mit der SZ.

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Christian Quirling, 46 Jahre, aus München ist Professor an der Hochschule für angewandtes Management.
Christian Quirling, 46 Jahre, aus München ist Professor an der Hochschule für angewandtes Management. © Bongarts

Dresden. Dynamos turbulente 2:3-Niederlage gegen Darmstadt vom vergangenen Freitag wird zu einem Fall für das Sportgericht. Nachdem Geschäftsführer Ralf Minge zunächst erwogen hatte, auf einen Einspruch zu verzichten, hat sich der Verein doch entschieden, Protest einzulegen. Er wird dabei von Rechtsanwalt Christian Quirling unterstützt, der seit fast 20 Jahren Erfahrungen im Sportrecht hat. Im Interview mit der SZ erklärt er, warum der Videobeweis beim aberkannten Tor von Patrick Schmidt zum vermeintlichen 3:3 aus seiner Sicht falsch war und wie Dynamos Erfolgsaussichten auf juristischem Wege sind.

Herr Quirling, wie stellt sich der Fall aus Ihrer Sicht dar?

Im Fußball gilt seit Jahrzehnten der Grundsatz, wonach auf dem Platz getroffene richterliche Entscheidungen bindend sind, egal, ob richtig oder falsch. Doch durch den Video-Assistenten hat sich das in gewisser Weise verändert. Er darf, wenn gewisse Gründe vorliegen, von außen eingreifen. Dafür muss nach den Richtlinien eine klare und offensichtliche Fehlentscheidung vorliegen, das heißt, bei einer strittigen Situation ist er nicht befugt, den Schiedsrichter überhaupt zu kontaktieren.

Sie meinen also, der Videobeweis hätte beim Tor von Patrick Schmidt nicht angewendet werden dürfen?

Genau. Die Entscheidung, die der Schiedsrichter getroffen hat, nämlich das Tor anzuerkennen, war ja richtig. Möglicherweise ist der Video-Assistent von einer Abseitsstellung des Torschützen ausgegangen, was angesichts der Fernsehbilder naheliegender wäre, als den letztlich unbeteiligten Jannis Nikolaou zu betrachten. Kurzum: Schiedsrichter oder Video-Assistent haben den Begriff des Abseitsvergehens falsch angewandt. Deshalb zielt der Einspruch nicht auf die an sich unantastbare Tatsachenentscheidung. Wir gehen davon aus, dass zwischen den beiden im Sinne der rechtlichen Subsumtion (Anwendung/d. Red.) etwas schiefgelaufen ist.

Wie wollen Sie das nachweisen?

Darin liegt das Problem, weil wir nicht wissen, was sie besprochen haben. Meinen Antrag, mir diese Audio-Aufzeichnung zuzusenden, hat der DFB abgelehnt mit der Begründung, es sei irrelevant, weil im Endeffekt nur der Schiedsrichter entscheide. Das diene nur der Ausforschung. Es stößt mir schon auf, dass wir völlig außen vor gelassen werden sollen. Wenn man es mit staatlichen Prozessen vergleicht, erfüllt das den Beweisnotstand. Wenn die eine Partei Informationen hat, besteht der Anspruch, dass sie diese der anderen Seite mitteilt. Das habe ich in der Begründung des Einspruchs noch mal dargelegt.

Wo sehen Sie konkret einen Regelverstoß, auf dessen Grundlage das Spiel wiederholt werden müsste?

So konkret lässt sich das nicht sagen, weil wir die Kommunikation nicht kennen. Ich vermute einen Regelverstoß des Video-Assistenten durch seinen Eingriff, der sich fortsetzt in einem Regelverstoß des Schiedsrichters, diese unverwertbaren Informationen zu gebrauchen. Oder es liegt eine fehlerhafte rechtliche Prüfung bei dem Abseitsvergehen vor.

Aber es ist doch eine Tatsachenentscheidung, wenn der Schiedsrichter nach Ansicht der Bilder selbst auf Abseits erkennt. Kann man die anfechten?

Deshalb wäre es wichtig, die Kommunikation zu kennen, und der Schiedsrichter müsste in einer mündlichen Verhandlung seine Entscheidung vertreten. Die Abseitsstellung an sich ist noch kein Vergehen. Das ist rechtlich gesehen ein komplexes Thema. Die Rechts- und Verfahrensordnung des DFB beruht auf Zeiten, in denen einzig und allein der Schiedsrichter das Sagen auf dem Platz hatte. Doch inzwischen nimmt der Video-Assistent erheblichen Einfluss. Er ist, und das ist mir wichtig zu erwähnen, ein Spiel-Offizieller und nicht irgendein Lakai. Wenn durch sein unberechtigtes Eingreifen eine falsche Entscheidung rauskommt, muss man die rückabwickeln können. Deshalb habe ich außer dem üblichen Einspruchsgrund, dem Regelverstoß des Schiedsrichters, einen ungeschriebenen sonstigen Einspruchsgrund angenommen. Jetzt liegt der Ball beim Sportgericht.

Wie schätzen Sie die Chancen auf ein Wiederholungsspiel ein?

Wie es der Volksmund sagt: Auf hoher See und vor Gericht kann man sich nie sicher sein. Die Verantwortlichen und ich sind nicht blauäugig. Wir kennen die bisherigen Entscheidungen, die waren abschlägig. Daraus ist eine Tendenz abzuleiten, dass der DFB wie so oft sein Schiedsrichterwesen schützen und niemanden für seine Tätigkeit anprangern möchte. Das kann man menschlich nachvollziehen. Trotzdem gehen wir nicht mit aussichtslosen Karten in den Prozess. Jeder Fall ist anders – und in diesem wurde aus einer objektiv richtigen Entscheidung im Nachhinein eine falsche gemacht. Das kann nicht Sinn und Zweck des VAR sein. Das werden wir versuchen, plausibel zu erklären.

Wie wird jetzt der Ablauf sein?

Ich gehe davon aus, dass das Sportgericht zunächst schriftlich ein sogenanntes Einzelrichter-Urteil erlassen wird, vermutlich bis Mitte nächster Woche.

Würden Sie in Berufung gehen, wenn es nicht im Sinne von Dynamo ausfällt?

Die Einspruchsfrist ist allerdings mit 24 Stunden sehr gering. Deshalb kann es schon sein, aber dem möchte ich nicht vorgreifen. Das entscheiden die Verantwortlichen von Dynamo in Abhängigkeit von der Begründung, die wir prüfen müssten.

Das Gespräch führte Sven Geisler.