Dynamos neuer Sportchef fordert Debatte um Abstieg

Dresden. Dass Dynamo Dresden jetzt ein Fußball-Drittligist ist, hat sich offenbar noch nicht überall rumgesprochen. Die Bewerbungen für den frei gewordenen Posten als Sportgeschäftsführer seien jedenfalls, so sagt es der Aufsichtsratsvorsitzende Jens Heinig, auf sehr hohen Niveau gewesen. Man habe ja schon einige solche Ausschreibungen mitgemacht. "So eine Qualität hatten wir noch nie", meint Heinig.
Sogar aus Amerika und auch Südafrika kamen die Bewerbungen, aus der großen Welt also. Was zeigt, schlussfolgert das Gremium, welche Strahlkraft Dynamo besitze. Entschieden aber haben sich die Räte dann für einen Kandidaten aus dem vergleichsweise kleinen Leonberg in der Mitte Baden-Württembergs. Ralf Becker heißt Dynamos neuer Sportchef. Das ist vor knapp einer Woche einstimmig beschlossen worden, und an dieser Überzeugung hat sich seitdem nichts geändert. "Weil er aus unser Sicht der Beste ist. Er kann einen Neuanfang gestalten, er passt hierher", erklärt Aufsichtsratschef Heinig nun am Mittwochmittag bei Beckers Präsentation.
Becker selbst hat bis dato schon einen straffen ersten Arbeitstag hinter sich mit Vorstellungsrunden auf der Geschäftsstelle, in der Nachwuchsakademie und im neuen Trainingszentrum. Im Prinzip hat der 49-Jährige seine Tätigkeit ja bereits vergangene Woche aufgenommen, nachdem sich Dynamo für ihn entschied. Erste Gespräche gab es mit Cheftrainer Markus Kauczinski, mit Chefscout Kristian Walter, mit einigen Spielern und nach Informationen von sächsische.de auch mit seinem Vorgänger Ralf Minge, ehe ihn am Dienstagnachmittag sein neuer Chef-Kollege Michael Born vom Bahnhof abholte.
Nach zwei Stunden Kaffee und Kennenlernen mit dem kaufmännischen Geschäftsführer weiß Becker damit nun auch ziemlich genau über seinen finanziellen Spielraum Bescheid. Seine erste Erkenntnis: "Wir haben ganz viel Arbeit vor uns und werden viel investieren müssen, um nach der Situation, die wir jetzt hier vorfinden, mittel- und langfristig wieder Erfolg zu haben."
Außerdem stellt Becker zwei Dinge fest: die sehr gute Infrastruktur mit dem neuen Trainingszentrum ("ein kleiner Palast") sowie Dynamos Stellenwert ("unabhängig von der Liga eine ganz große Nummer in Deutschland und auch international"). Das klingt gut, schön, authentisch. Es dürfte auch den Aufsichtsräten gefallen haben, die ihn aber nicht nur überschwänglich loben, sondern außerdem eine klare Erwartungshaltung mitgegeben haben. "Wir wollen so schnell wie möglich wieder in die zweite Liga. Deswegen haben wir ihn geholt, und das weiß er auch", sagt Heinig. Der Anspruch schreckt Becker nicht, es ist auch seiner.
"Wir reden über Plan und Konzept, das bedeutet aber auch Analysieren. Und das geht nicht in vier Wochen", meint Becker und lässt in einem Nebensatz durchblicken, dass die Vertragslaufzeit von zwei Jahren vor allem auch sein Wunsch gewesen sei. "In zwei Jahren", betont er, "wollen wir allerspätestens wieder in der zweiten Liga sein." Wenn Dynamo die Liga überhaupt verlässt!
Hundertprozentig deckungsgleich sind schließlich auch die Ansichten, wenn es um das Ende der gerade abgelaufenen Saison geht mit der vermeintlichen Ungleichbehandlung durch den Ligaverband. "Mein normaler Menschenverstand sagt mir, dass die DFL das sehr gut gemacht hat und alle 36 Profivereine hinter das Ziel brachte, die Saison zu Ende zu spielen. Doch was danach kam, müssen wir schon noch mal diskutieren. Denn wir fühlen uns nicht gerecht behandelt", erklärt Becker.

Er hat auch schon einen Lösungsvorschlag. "Gerecht wäre für mich jetzt, die Liga aufzustocken. Alle 36 Vereine haben das große Ziel gepackt", sagt Becker. Also, so seine logische Konsequenz, soll auch keiner absteigen. Zumindest eine Diskussion darüber wünsche er sich in den nächsten Tagen und Wochen, eine über den Verein hinaus. Eine, die unbedingt auch in der DFL geführt wird. Becker stellt aber ebenso klar, dass "wir es akzeptieren, wenn wir in der nächsten Saison ein Drittligaverein sind". Priorität habe jetzt die Zusammenstellung einer neuen Mannschaft, wobei das Argument 3. Liga kein Vorteil ist, "falls es mit dem Abstieg so sein sollte".
Die erste Bewährungsprobe im stets auch sehr kritischen Dynamo-Umfeld dürfte der Neue damit bestanden haben. Die große Fallhöhe und die kleinen Fallstricke, Stichwort Wiederaufstieg und Minge-Nachfolge, schrecken Becker sowieso nicht. "So denke ich nicht. Ich bin lange genug dabei und weiß, wie der Fußball funktioniert, aber das ist nicht mein Ansatz. Dafür ist der Verein zu groß und die Aufgabe zu spannend", betont er.
Alles so schnell, so gut, wie möglich - die Worte fallen immer wieder. Becker tritt sehr bestimmt und kommunikativ auf, freundlich im Ton, doch hart in der Sache ("alles, was mit Fußball zu tun hat, ist mein Bereich"). Womöglich lässt sich so sein Arbeitsstil auf einen kurzen, einen ersten Nenner bringen. Nur festlegen lassen mag er sich an seinem ersten offiziellen Arbeitstag nicht, zumal wenn es um Detailfragen geht. Auch das wird bei der knapp einstündigen Fragerunde deutlich, mit Ausnahme beim Thema Abstieg und DFL - und in Sachen Minge.

Die Fußstapfen, von denen in solchen Fällen oft gesprochen wird, sind ja schon riesige, in normalen Schuhgrößen gar nicht messbar. Weiß Becker natürlich. "Ich will in keine Fußstapfen treten. Den Vergleich kann ich nur ja nur verlieren, und den Vergleich will ich auch gar nicht anstellen. Ich kenne Ralf Minge, seine Vita und seine Bedeutung für den Verein. Da gibt es überhaupt nichts zu diskutieren, er ist ein großer Sportler und eine herausragende Persönlichkeit", sagt er verbunden mit einem Wunsch: "Ich hoffe, dass wir mit dem Ralf irgendwann wieder einen guten Austausch haben." Einen ersten Kontakt hat es ja bereits gegeben.
Eines ist Becker in dem Zusammenhang wichtig. "Jetzt sitzt ich hier und versuche meinen Job so gut wie möglich zu machen", sagt er. Vergleiche lehnt er generell ab, auch den mit Holstein Kiel vor vier Jahren. Im Sommer 2016 stieg er bei den Norddeutschen in der 3. Liga als Sportgeschäftsführer ein, baute eine neue Mannschaft auf - die sofort in die zweite Liga aufstieg und ein Jahr später den Durchmarsch in die Bundesliga erst in der Relegation verpasste.
Vergleichen könnte man die Situation schließlich auch mit dem Hamburger SV, den er als Sportvorstand nach dem Bundesliga-Abstieg 2018 übernahm, eine neue Mannschaft aufbaute - und nach nicht mal einem Jahr den Job wieder los war. "Alles zu seiner Zeit. Ich habe meine Erfahrungen gemacht, die haben mich alle weitergebracht. Heute bin ich hier, und das ist auch gut so. Und ich habe auch vor, wenn möglich lange hier zu bleiben."
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