Ehepaar kämpft um altes Umgebindehaus

Von Arndt Bretschneider
Der Abriss. Danuta und Antoni Alchimowicz hat dieser „Frevel“ lange umgetrieben. Das polnische Ehepaar hatte den vor Jahren selbst veranlasst. In Giebu³tów (Gebhardsdorf), im Isergebirgsvorland nördlich von Mirsk, ließen die beiden ein marodes Umgebindehäuschen planieren. An dessen Stelle entstand ein Neubau. Der heutige Wohnsitz von Danuta und Antoni. Doch nun leistet das Paar Wiedergutmachung. Die Alchimowiczs haben 2016 ein weiteres Gebäude in der für die Oberlausitz typischen Architektur erworben. In der Dorfmitte stand es lange leer und verfiel.
„Das müssen wir retten und unseren Frevel wieder gutmachen“, hat sich das Ehepaar geschworen. Und sie packen an. Mit deutscher und polnischer Hilfe und mit Fördermitteln der Europäischen Union soll ein Denkmal bewahrt werden. Angedacht ist, im Haus die Traditionen der aus der heutigen Ukraine, Belarus und Litauen stammenden gegenwärtigen Bevölkerung von Giebułtów und die Kultur der bis 1945 hier lebenden Deutschen aufleben zu lassen.
An der östlichen Flanke des ehemaligen Oberlausitzer Queiskreises liegt dieses Giebułtów. Einst Gebhardsdorf. Das wurde als Waldhufendorf angeblich von einem Gebhardus aus der Gegend um Weißenfels gegründet. Die Hussiten brannten es 1431 samt Kapelle bis auf die Fundamente nieder. Allmählich kehrten überlebende Einwohner zurück und neue kamen dazu. Letztere brachten oft den Oberlausitzer Hausbaustil – heute Umgebindehaus genannt. Von den meist stroh- oder holzschindelgedeckten Umgebindehäusern sind nur Reste übrig. So wie das Bauwerk, das die Alchimowiczs erhalten wollen. Es steht nahe der Kirche.
Wunsch nach Eigenheim war groß
Nach dem Zweiten Weltkrieg wohnte über 70 Jahre eine Familie Wilk darin. Sie stammte, wie viele heutige Dorfbewohner, aus den ehemals östlichen polnischen Gebieten weit jenseits der Flüsse Narew, Bug und San. Jahrzehntelang wurde nur das Allernötigste am Hause repariert und die Struktur des Gebäudes wenig verändert.
Zu sozialistischen Zeiten gab es wenig Interesse an der als „pruski“ (preußisch) bezeichneten historischen Architektur. Erst die zweite Generation der hier geborenen Polen begann sich auch nach den Ursprüngen dieses Haustyps und den einstigen Bewohnern zu erkundigen und kam zu dem Ergebnis, dass es sich keineswegs um „Preußen“ gehandelt hat, sondern Oberlausitzer. Zum näheren Erklären war aber niemand mehr da. Nachfahren der Vertriebenen, die auftauchten, überwanden in den seltensten Fällen die Sprachbarriere. Das Wissen muss also woanders herkommen, sagten sich Danuta Alchimowicz und ihr Ehemann. Sie war 35 Jahre Deutschlehrerin am Lyzeum in Mirsk (Friedeberg). Beide wohnten über siebzehn Jahre im Kurort Świeradów-Zdrój (Bad Flinsberg) in einem Plattenbau zur Miete. Der Wunsch nach einem Eigenheim war groß. Sie begannen, sich in den Dörfern am Fluss Queis umzusehen, denn in Świeradów-Zdrój waren die Bodenpreise für sie unerschwinglich.
Dokumente schwer zu finden
Vor etwa zehn Jahren wurden sie im Dorf ihrer beider Eltern fündig. Dort stand das eingangs erwähnte Haus, das weichen musste. Doch weil sich beide ansonsten für die neue Heimat interessierten, kam ihnen das andere Umgebindehaus in den Blick. Forstingenieur Antoni Alchimowicz sah das hohe Alter des Gebäudes stellenweise durch die Asbestverkleidungen blitzen und überschlug die Aufbaukosten mit Holz als Hauptmaterial. „Kann nicht allzu schlimm werden“, sagte er sich, „denn darauf habe ich günstig Zugriff. Gehen wir es an!“ Sie erwarben das kleine Grundstück am Hang, nicht wissend, was für eine bewegte Geschichte seine Mauern verbargen.
Sie zu ergründen, erwies sich als schwierig, fußte sie doch auf Ereignissen vor einem halben Jahrtausend. Handschriftliche Dokumente aus dieser Zeit haben Seltenheitswert. Sie befinden sich bestenfalls in Ratsbibliotheken des ehemaligen Oberlausitzer Sechsstädtebundes und der Universitätsbibliothek Wroc³aw (Breslau). Wenn überhaupt, dann nur in Latein. Im Lutherjahr 2017 bekamen die Alchimowiczs eine Einladung in das brandenburgische Jüterbog, wo ein Symposium zu dem päpstlichen Ablasshändler Johannes Tetzel (um 1460 bis 1519) stattfand. Tetzel trieb Geld ein für die Kirche und versprach den Gläubigen dafür die Rettung vor der Hölle. Er war dem Reformator Martin Luther darum ein Gräuel.
Doch – so erfuhren die engagierten Polen – in ihrem frisch erworbenen Häuschen soll der Dominikanermönch und Ablasskommissarius Tetzel 1508/09 eine Zeit lang gewohnt haben. Seine städtischen Aufenthalte sind bekannt, nicht aber die ländlichen. Hätte es im damaligen Gebhardsdorf nicht einen Zweig des uralten Adelsgeschlechtes derer von Uechtritz gegeben, wäre Tetzel wohl kaum hier abgestiegen. Ein belastbarer schriftlicher Beweis wurde bisher aber nicht gefunden.
Fördermittel-Bewilligung kurz vor Auslaufen des Fonds
Gut informiert aus Jüterbog zurückgekehrt, wurden sich Danuta und Antoni des immateriellen Wertes ihres Neuerwerbs nun erst recht bewusst und überlegten, wie man ein solches Kulturerbe der Nachwelt bekannt machen und erhalten könne.
Sie sahen sich in der Oberlausitz und in Niederschlesien nach Mitstreitern um. Jürgen Cieslak aus Seifhennersdorf hatte das Anwesen schon vor Jahren fotografisch festgehalten und erklärte sofort seine Unterstützung. Ihm gelang es, die Sächsische Bildungs- und Begegnungsstätte Windmühle Seifhennersdorf ins Boot zu holen. Die hat gute Beziehungen zur Fakultät Architektur der polnischen Universität Gliwice (Gleiwitz). Um Fördermittel aus einem EU-Kleinprojektefonds zu bekommen, wurde mit dem Dom Kolodzieja aus Zgorzelec ein polnischer Partner eingebunden.
Schließlich gab es eine unbürokratische Fördermittel-Bewilligung kurz vor Auslaufen des Fonds. Das Vorhaben trägt den Namen „Tetzelhaus in Giebułtów – Aufbau einer deutsch-polnischen Begegnungsstätte in einem historischen Oberlausitzer Umgebindehaus“. Wegen Corona könnte sich das Projekt verzögern; eine Verschiebung wurde vorsorglich beantragt. Die Hoffnung, einen verbauten Holzrest aus der Entstehungszeit um 1500 zu finden, war übrgens gering. Im Januar 2020 wurde klar: Das Haus ist etwa 170 Jahre jünger – so die dendrochronologische Untersuchung. Bleibt die Chance, dass Studenten aus Gliwice 500-jährige Artefakte aus einem zugeschütteten Keller zutage fördern.