Professor Engesser, Corona -Newsticker, Wissenschaftler, die zu Medienstars werden, die Kanzlerin in einer TV-Ansprache: In Zeiten des Virus verändert sich auch unsere Kommunikation. Wie sehen Sie die momentane Entwicklung?
Ich bin eigentlich positiv überrascht. Es läuft gerade besser, als ich es in Bezug auf so eine weltweite Krise in der Vergangenheit vermutet hätte. Die Menschen werden sehr umfassend informiert. Die Politik, die Wissenschaft, die Medien – alle sind sehr bemüht. Aber es gibt natürlich noch Verbesserungsmöglichkeiten.
Wo sehen Sie die zum Beispiel?
In dieser Situation ist es wichtig, transparent zu kommunizieren. In Sachen Hygiene oder bei der Frage notwendiger Ausgangsbeschränkungen ist das den politischen Entscheidungsträger gelungen. Aber nicht immer. Als sehr früh feststand, dass es zu wenige Schutzmasken gibt, hieß es, die würden gar nicht helfen. Dann wieder, sie wären doch wirkungsvoll. Besser wäre gewesen zu sagen: Wir brauchen die Masken für das medizinische Personal. Oberstes Ziel sollte sein, Falschmeldungen zu vermeiden. Die entstehen auch, wenn jemand kommunikativ übers Ziel hinausschießt. Die Diskussionen um Ibuprofen waren so eine Sache. Die wurden von manchen Offiziellen vorschnell als Fake News abgetan. Ehrlicherweise hätten sie sagen sollen: Wir können nicht ausschließen, dass die Einnahme gefährlich ist, aber es gibt momentan keine Belege dafür.
Jetzt könnten wir bei solchen Fehlern ja sagen, so eine Situation ist für alle neu. Entschuldigt das irgendetwas?
Das Grundproblem ist, dass wir in einer Zeit leben, die sehr stark von Unsicherheit geprägt ist. Wie tödlich ist das Virus? Wir wissen es nicht. Welche Auswirkungen hat das alles? Wir wissen es nicht. Genau diese Unsicherheit darf auch kommuniziert werden. Viele machen das schon richtig, beispielsweise der Virologe Christian Drosten. Er sagt ganz offen, dass er bestimmte Dinge nicht weiß. Genau das erhöht auch seine Glaubwürdigkeit. Solche Kommunikationsstrategien, wie wir also mit Unsicherheiten umgehen, könnten durchaus trainiert werden. Ich denke, das wird nach der Corona-Krise sicherlich weltweit in Regierungskreisen diskutiert werden müssen.
Sie sprachen gerade schon Christian Drosten an. In den vergangenen Jahren wuchs in der Öffentlichkeit eine Skepsis gegenüber der Wissenschaft, zum Beispiel bei Themen wie dem Klimawandel oder der Entwicklung von E-Autos. Plötzlich sind Forscher aber gefragte Experten. Wie kommt das?
Ich glaube schon, dass der Glaube der Öffentlichkeit in die Wissenschaft gerade wieder wächst. Wie sich das weiter entwickelt, hängt davon ab, wie sich die Krise entwickelt. Wenn die Prognosen der Forscher stimmen, und momentan sieht es ganz danach aus, könnte dieser positive Effekt für die Akzeptanz wissenschaftlicher Erkenntnisse anhalten. Das hätte dann vielleicht auch Folgen für die Diskussion über den Klimawandel, der durch viele Studien ja bestens belegt ist.
Jetzt machen aber gerade in sozialen Netzwerken Videos von Medizinern die Runde, die ihren Kollegen widersprechen und die jetzigen Maßnahmen als übertrieben bezeichnen. Was sollen die Menschen davon halten?
Wir leben in einer Demokratie. Wir haben ein freies Recht auf Wissenschaft und eine Meinungsfreiheit. Also sind solche Äußerungen grundsätzlich legitim. Formal sind diese Videos wie beispielsweise von Wolfgang Wodarg oder Sucharit Bhakdi gut gemacht. Sie erklären gut und eingängig. Viele Zuschauer denken, das ist einleuchtend. Das Problem ist, dass inhaltlich einiges nicht korrekt ist. In diesen Fällen haben die deutschen Medien aber einen guten Job gemacht, weil sie auf die Videos eingegangen sind und die kritischen Punkte beleuchtet haben. Noch einmal: So etwas gehört zu einer Demokratie dazu. Es ist nicht schlecht, wenn sich jemand zu Wort meldet und Kritik übt. Die Wissenschaft muss sich immer wieder selbst überprüfen.
Wie sehen Sie die Rolle der Medien in Deutschland in der Krise?
Die Herausforderung für die Journalisten ist die große Komplexität des Themas. Es spielt in alle Bereiche hinein. Die Frage ist, wie dem Leser oder Zuschauer solche Inhalte verständlich vermittelt werden können. Ich habe in den vergangenen Tagen gut gemachte Grafiken oder interaktive Modelle gesehen. Worauf die Medien jetzt achten sollten: Dass sie nicht auf alles aufspringen, was andere Redaktionen tun. Dadurch sinkt die Qualität. Sie sollten mit den Stärken arbeiten, die sie haben. Es können nicht alle Journalisten Experten für Viren sein. Das ist okay. Für viele Verlage und Sender ist das jetzt eine schwere Zeit. Die Journalisten arbeiten im Homeoffice, aber trotzdem muss jeden Tag eine Zeitung gedruckt, müssen aktuelle Nachrichtensendungen vorbereitet werden. Aber wir merken, jeder ist bemüht. Das ist wunderbar.
Viele Informationen werden im Moment auch über Twitter, Facebook & Co. verbreitet. Ist das jetzt Fluch oder Segen unserer Zeit?
Vielleicht ein bisschen von beidem. Gerade für Twitter ist das eine perfekte Situation. Vor allem Journalisten, Politiker und Wissenschaftler sind dort aktiv. Viele Sachen werden an dieser Stelle sehr schnell veröffentlicht, geteilt und diskutiert. Auf der anderen Seite ist das auch ein Risiko, dass sich unbestätigte Berichte schneller verbreiten. Eine Quelle für Unsicherheiten. Jeder sollte sich deshalb immer wieder fragen, ob die Fakten stimmen, bevor er etwas weiterverbreitet. Facebook und Instagram sind gerade wichtige Instrumente für die Menschen, um Kontakt zu Freunden und Bekannten zu halten. Dieses Gefühl der Verbundenheit in der Isolation brauchen jetzt viele. Gerade auch jüngere Generationen.
Guter Punkt: Für Jugendliche sind Smartphone, WhatsApp oder TikTok derzeit sicherlich wichtige Dinge?
Auf jeden Fall. Manche Eltern, die das sonst kritisch sehen, werden froh sein, dass Sohn oder Tochter über ihr Smartphone Kontakt zur Clique halten können. Sie nutzen diese Möglichkeiten zum Austausch. Ich glaube, gerade in den Köpfen der Erwachsenen werden diese Wochen zu einem Wandel hinsichtlich der Bewertung solcher Kommunikationskanäle führen. Für ihre Kinder sind sie gerade extrem wichtig.
Sie sind Dozent an der TU Dresden. Stellen auch Sie auf digital um?
Ja, allerdings. Wir sind angehalten, Lehrinhalte als digitale Seminare und Vorlesungen vorzubereiten. Das heißt, ich werde meine Veranstaltungen in den nächsten Wochen Stück für Stück auf Video aufzeichnen. Kolleginnen und Kollegen tun gerade das Gleiche.
Manche Schulen tun das auch. Über die digitale Lehre wurde in der Vergangenheit kontrovers diskutiert. Sind Sie überrascht, dass es nun von einem Tag auf den anderen umgesetzt wird?
Eigentlich nicht. Viele öffentliche Akteure lernen jetzt sehr schnell, was mit Hilfe technischer Dinge funktioniert und was nicht. Es ist wie ein Schnellkurs für alle. Einiges wird nach der Krise bleiben. Trotzdem dürfen wir nicht vergessen: Wir spüren gerade ebenfalls, wie wichtig uns Menschen persönliche Interaktion ist. Wie belebend und wertvoll die direkte Kommunikation mit anderen ist. Auch diese Erkenntnis nehmen wir mit. Das heißt für die Wissensvermittlung: Nicht jede Vorlesung wird es in Zukunft digital geben müssen.
Schauen wir in die Zukunft. Was glauben Sie, wird von all dem nach der überstandenen Corona-Krise bleiben?
Wenn wir das durchgestanden haben, werden wir noch oft daran denken. Hoffentlich kommunizieren wir transparenter, aufmerksamer, mitfühlender. Es kommt jedoch darauf an, wie groß die aus der Krise resultierenden Probleme werden. Wenn sie Grund für Polarisierung bieten, stecken wir womöglich sehr schnell wieder in der Kommunikation der Vor-Corona-Zeit. Wir werden sehen.
Das Interview führte Jana Mundus.