Von Ingo Kramer
Görlitz. Die Senckenberg-Baustelle an der Bahnhof-/Ecke Jakobstraße hat ihn plötzlich freigegeben: Den Blick auf den Capitol-Saal hinter der Berliner Straße 32. Oder besser gesagt: Auf das, was davon übrig ist. Die Außenwände sind erhalten, darin Reste einer Bühne, innen ein paar Stahlträger. An einer Wand ist auch ein Bogen sichtbar, an anderer Stelle eine alte Bemalung.




„Als ich das Gebäude vor zehn Jahren gekauft habe, war der Saal schon eingestürzt“, sagt Werner Uhrmacher aus Düsseldorf. Er habe damals den Schutt entsorgen lassen. Seither ist nicht viel passiert, die hohen Wände spenden Schatten, drinnen wächst Gras. Aber nicht mehr lange. „Der Saal wird wieder überdacht, Mitte 2019 geht es los“, kündigt Uhrmacher an. Ihm gehören neun Häuser in Görlitz, er fährt jeden Monat quer durch die Republik, um an der Neiße nach dem Rechten zu sehen. Beim Capitol sind seine Pläne noch nicht allzu detailliert: „Wir bereiten gerade erst den Bauantrag vor.“ Eine Eventhalle soll aus dem Capitol werden, oder zu Deutsch: Eine Veranstaltungshalle. Theateraufführungen kann sich Uhrmacher darin vorstellen, Konzerte ebenfalls. „Aber definitiv keine Disko“, sagt er. Eine Gastronomie für die Senckenberg-Mitarbeiter von nebenan sei allerdings auch denkbar.
Die Außenmauern sollen in der jetzigen Höhe erhalten bleiben, vielleicht auch einen Meter niedriger. Darauf plant er ein Flachdach: „Das lässt sich besser schallisolieren als ein Spitzdach, sowohl von innen als auch von außen“, sagt er. Ob das genehmigt wird, ist freilich unklar. Die Stadtverwaltung weiß noch gar nicht, dass der Eigentümer Pläne hat. „Aktuell liegen keine Anträge zum Objekt vor“, sagt Amtsleiter Hartmut Wilke: „Ideen oder Absichten des Eigentümers sind uns nicht bekannt.“ Das Dach des Saales sei zwar spätestens 2008 eingefallen, sodass der Kinosaal nicht mehr existiert, aber die öffentliche Sicherheit sei davon nicht berührt, sagt Wilke.
Ein bisschen anders sieht die Situation für Christian Wünsche vom Görlitzer Architektur- und Ingenieurbüro Wünsche + Langer aus, das mit am Senckenberg-Bau plant. „Wer haben den ans Capitol angrenzenden Pferdestall nicht komplett abreißen können, weil sonst wohl die Capitol-Wand mit eingestürzt wäre“, sagt er. Eine sechs bis sieben Meter lange Abtreppung sei aus Sicherheitsgründen stehen geblieben. „Im Moment behindert uns das nicht“, sagt Wünsche. Irgendwann soll der Pferdestall aber wieder aufgebaut werden: „Dann muss auch an der Capitol-Wand etwas passieren.“ Das handle der Freistaat als Bauherr gerade mit dem Capitol-Eigentümer aus. Tobias Lorenz vom Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement (SIB) bestätigt die Gespräche, hat aber keine Ergebnisse. „Das SIB hält weiterhin den Kontakt zum Eigentümer und wird darüber hinaus technologische Vorkehrungen für den Bauprozess treffen“, sagt er. Genaueres könne er nicht sagen, da die Planungen noch nicht abgeschlossen seien.
Das Capitol hat eine lange Geschichte. Es wurde um 1870 gebaut. Bauherr war der Görlitzer Fleischermeister August Altmann. Er richtete im Vorderhaus ein Restaurant ein und im Hinterhaus einen Saal. Der Komplex hieß alternierend „Zur deutschen Reichshalle“, „Café und Weinhaus Astoria“, „Astoria-Theater“, kurze Zeit auch „Empire-Theater“. Ab 1907 war es als Reichshallentheater mit Varieté-Betrieb und 1300 Plätzen bekannt. 1924 wurde der Saal im Hinterhaus zum Lichtspieltheater. Als Kino hieß es „Deulig-Palast“, einige Jahre auch „Deulig Palast Tivoli“. Etwa 1935 wurde das Kino „Capitol“ genannt. Im Vorderhaus übernahmen später Rüdigers Gaststätten das Lokal. Rüdiger war mit mehreren Einrichtungen in Görlitz als Speiserestaurant für gute Qualität bekannt. Auch nach 1945 blieben Rüdigers Gaststätten im Vorderhaus, während im Saal ab Herbst 1945 das „Capitol“ wieder öffnete. In der DDR galt in Görlitz das „Capitol“ mit seinen 800 Plätzen als Haus der Zweitaufführungen, während Premieren dem 1200 Besucher fassenden „Palast-Theater“ vorbehalten waren. Das „Capitol“ wurde nach 1990 geschlossen. Im Vorderhaus gab es nach der Wende die Tanzbars „California“ und „La Notte“, mittlerweile heißt die Bar „Daily Motion“. Im Saal befand sich einige Jahre nach 1990 eine Videothek.
Wann der Saal tatsächlich wieder in Betrieb geht, ist derzeit noch offen. „Ich habe keinen Zeitdruck“, sagt Uhrmacher. Auch, ob der Name „Capitol“ zurückkehren wird, kann er nicht sagen. Die Namenswahl will er dem künftigen Betreiber überlassen. Zwischen dem Vorderhaus und dem einstigen Saal gibt es bis heute einen Zwischenbau, der derzeit zwei vermietete Wohnungen beherbergt, zudem einen kleinen Innenhof mit einer wunderschönen, riesigen Linde. Unter dieser könnte eventuell wieder ein Biergarten entstehen. (mit rs)