Von Thilo Alexe
Hermann Liebmann sagte Nein und verlor sein Auge. Einen Tag nach Hitlers Geburtstag wurde der sächsische SPD-Abgeordnete am 21. April 1933 in Leipzig verhaftet. Als er sich später im Konzentrationslager Hohnstein weigerte, zur Belustigung der Wärter aus seinen gegen die Nazis gerichteten Reden vorzulesen, misshandelte ihn ein Aufseher. 1935 wurde der Sozialdemokrat zwar aus der Haft entlassen, starb aber wenig später an den Folgen der Folter.

Liebmann wollte auch am 23. Mai 1933 Nein sagen. Fast auf den Tag vor 80 Jahren ebnete der Dresdner Landtag für Sachsen den Weg in die Diktatur. Mit breiter Mehrheit verabschiedete das Parlament ein Ermächtigungsgesetz, das demokratische Grundrechte aushebelte. Dagegen stimmten lediglich sechs Abgeordnete der SPD, die anderen 16 waren schon auf der Flucht oder saßen wie Liebmann im Gefängnis.
Mit „Stolz und Ehrerbietung“ erinnert Landtagspräsident Matthias Rößler (CDU) jetzt an den Widerstand der sächsischen Sozialdemokraten. Im öffentlichen Bewusstsein ist dieser kaum verankert, obwohl ihn der Landtag im Rahmen einer Gedenkfeier am Donnerstag würdigte.
Der Fokus richtet sich meist auf das im März 1933 beschlossene Ermächtigungsgesetz des Reichstages, das der SPD-Vorsitzende Otto Wels mit den legendären Worten ablehnte: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Dass sich wie in Sachsen auch die Länderparlamente unter dem Druck der Nazis selbst abschafften, spielt in der Aufarbeitung nur eine untergeordnete Rolle.
„Wir sollten unsere Wurzeln nicht vergessen“, mahnt der heutige SPD-Fraktionsvorsitzende Martin Dulig. Neben den Sozialdemokraten leisteten auch die Kommunisten Widerstand gegen die Nazis. Doch deren Partei, die KPD, war zum Zeitpunkt der Abstimmungen praktisch verboten. Ihre Abgeordneten konnten nicht mehr an den Sitzungen teilnehmen, etliche wurden inhaftiert. In Sachsen ordnete der nationalsozialistische Reichskommissar Manfred von Killinger im April 1933 eine Parlamentsumbildung an und schloss die KPD-Politiker aus.
Die systematische Gewalt, die diese totalitären Entscheidungen flankierte, machte vor dem Landtag nicht Halt. So zerrten SA- und SS-Schergen den langjährigen SPD-Fraktionschef Karl Böchel im Dresdner Ständehaus über eine Treppe und prügelten ihn krankenhausreif. Der Historiker Mike Schmeitzner spricht heute von einer Menschenjagd.
Schließlich trat das von der NSDAP dominierte sächsische Parlament Befugnisse an die Hitler-Regierung ab. Formal bestand der Landtag zwar noch bis Ende Januar 1934. Er blieb aber einflusslos.
Den SPD-Abgeordneten Otto Nebrig schreckte die Brutalität nicht ab. Während des zweiten Weltkriegs verteilte er Flugblätter in Leipzig. Der KZ-Häftling fand jedoch nach 1945 keine politische Heimat. Die neu geschaffene Einheitspartei konnte ihm, wie der am Dresdner Hannah-Arendt-Institut forschende Historiker Schmeitzner sagt, keine Perspektive bieten.
Parlamentspräsident Rößler verweist darauf, dass Sachsens 1946 wieder gegründeter Landtag noch ein zweites Mal aufgelöst wurde – 1952, als die DDR die Länder abschaffte. Erst im Zuge der politischen Wende wählten die Sachsen 1990 wieder ein Landesparlament, 40 Jahre nach der letzten Wahl zum Landtag in der DDR.
Heute sind, wie SPD-Landeschef Dulig betont, die Gegner der Demokratie in der Minderheit. Und dennoch: Die Bevölkerung sei von der Demokratie, vor allem aber von der Politik enttäuscht. „Gegen diese Entwicklung müssen wir uns wehren.“