„Ein enormes Redebedürfnis“

Meißen. In ihrer Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie kümmert sich Ina Donath um Kinder mit Entwicklungsstörungen, Lernproblemen oder Verhaltensauffälligkeiten. Im Gespräch mit der diplomierten Psychologin wollte die SZ wissen, welche Folgen die Einschränkungen der vergangenen Wochen auf die Seelenlage der Menschen hatten.
Frau Donath, seit Wochen beeinflusst die Corona-Pandemie unser Leben. Kinder konnten nicht zur Schule gehen, Spielplätze waren tabu, Kontakte zu Freunden oder Großeltern kaum möglich. Wie haben Sie das in Ihrer Praxis wahrgenommen?
Zunächst blieben alle zu Hause. Als das öffentliche Leben nahezu zum Stillstand kam, war es auch in meiner Praxis merklich ruhiger. Jetzt habe ich hingegen wieder sehr viele Anfragen. Und ich stelle ein enormes Redebedürfnis fest.
Worüber redet man mit der Kinder- und Jugendpsychologin?
Die Spannbreite der Probleme, mit denen Kinder und Jugendliche in meine Praxis kommen, reicht von Ängsten wie „Alles ist so schrecklich“ bis zu „Ich weiß überhaupt nicht, was los ist“. Und in den vergangenen acht Wochen, als die Kinder nicht in die Kita oder Schule gehen konnten und Eltern durch Kurzarbeit oder im Homeoffice mehr als sonst daheim waren, haben sich Konflikte angestaut.
Was war das größte Problem?
Schulen und Kitas haben von heute auf morgen alle nach Hause geschickt. Für Kinder, die ohnehin schon „null Bock auf Schule“ hatten, oder junge Erwachsene, die es bislang nur schlecht schafften, im Leben zurechtzukommen, ist so etwas sehr problematisch. Damit umzugehen und die Tage neu zu strukturieren, damit eben nicht nur gezockt und genascht wird, das hat viele Eltern überfordert. Aber dazu braucht man auch schon allerhand Durchsetzungsvermögen. Kein Wunder, dass ich in den vergangenen Wochen in meiner Praxis auch wahrgenommen habe, dass viele Eltern die tägliche Arbeit der Lehrer viel mehr wertschätzen als bisher.
Können Sie denn etwas gegen „null Bock auf Schule“ ausrichten?
Oft steht ein Motivationsproblem dahinter, und oft eben nicht nur bei den Kindern, sondern auch bei Eltern. Das gilt es herauszufinden. Manchen habe ich geraten, mit den Lehrern Kontakt aufzunehmen, um gemeinsam Erfolge beim Lernen zu organisieren. In normalen Zeiten kommen doch auch Kinder mit einer Lernschwäche zu mir. Denen kann ich mit Möglichkeiten der Lerntherapie helfen – zum Beispiel dadurch, dass ich mit ihnen Aufgaben aus der Schule Stück für Stück durchgehe – natürlich mit dem gebotenen Abstand.
Mit welchen Ängsten werden Sie konfrontiert?
Bei den kleineren Kindern, etwa im Grundschulalter, waren es oft die Ängste der Eltern, die sie auf sich übertrugen – vor allem Existenzsorgen, die Sorge um die Zukunft, wenn zum Beispiel der Verlust des Arbeitsplatzes droht. Aber auch die Sorge um die Gesundheit, die eigene und die von Angehörigen, kam zur Sprache. Das gab es auch bei den Jugendlichen, die sich an mich wandten. Hinzu kamen da aber noch oft die Ängste vor den Abschluss- und Abiturprüfungen. Und einige fürchteten auch, dass ihr bereits unterschriebener Ausbildungsvertrag gekündigt werden könnte.
Fallen unsere Kinder jetzt alle in eine „kollektive Depression“?
Nein, ganz und gar nicht. Als Psychologin muss ich natürlich immer den Einzelnen betrachten, kann aber aus den Gesprächen und Therapiesitzungen der vergangenen Wochen auch ein allgemeines Fazit ziehen: Unter den Kindern und Jugendlichen ist jetzt sogar auch eine gewisse Aufbruchstimmung vorhanden. Viele freuen sich, dass die Schulen wieder öffnen, dass sie wieder ins Kino gehen können.
Wie können Sie denen helfen, die mit ihren Ängsten nicht zurechtkommen?
Zunächst mal durch genaues Zuhören. Und Nachfragen. Ich versuche, beim Einzelnen den Konfliktherd herauszufinden. Und gegen Ängste lässt sich nur etwas ausrichten, indem man sich sachlich damit auseinandersetzt. Die Angst vor einer Mathematik-Prüfung kann ich dem Abiturienten nicht nehmen – aber ich kann ihm dabei helfen, sich selbst zu vertrauen. Meine Praxis ist wie ein Spielfeld. Hier können kleinere Kinder nicht nur reden, sondern auch spielen. Bei Älteren sind oft Entspannungsmethoden und Musik hilfreich. Mir geht es darum, die Kinder und Jugendlichen in ihrer Persönlichkeit zu bestärken – etwa indem ich ihnen zeige, was sie bislang geschafft haben. Mein Ziel besteht immer darin, gemeinsam Verbesserungen zu erreichen.
Wenn allenthalben Abstand zu halten ist – was bedeutet das für Ihren Alltag in der Praxis? Um Menschen mit Problemen helfen zu können, kommt es doch auf den persönlichen Kontakt an.
Meine Praxis war den vergangenen Wochen durchweg geöffnet. Natürlich weise ich an der Tür auf die notwendigen hygienischen Regularien hin – ich bitte Kinder und die Eltern, sich die Hände zu waschen. Und ich desinfiziere die Türklinken. Aber ja – für eine erfolgreiche Therapie brauche ich den persönlichen Kontakt.
Das Gespräch führte Harald Daßler.
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