Von Anneke Hudalla
Diese Palastfamilienvilla ließ ein geehrter Aussiger Bürger Ignaz Petschek aufbauen.“ Das Faltblatt klingt fast ein wenig entschuldigend: Dass eine einzige Familie so viel Platz und Prunk allein für sich beansprucht, ist nicht nur aufsehenerregend, sondern offenbar auch ein wenig erklärungsbedürftig. Geschwungene Marmortreppen, eine mehrstöckige Eingangshalle mit Oberlicht, die Schnitz- und Drechselarbeiten an Holzsäulen und -decken: Ohne Zweifel lebte der „sehr geehrte Aussiger Bürger“ Petschek in seiner Villa in Saus und Braus. Mit dem Kohlehandel hatte Petschek gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein Vermögen gemacht. Und dieses Vermögen steckte er nicht nur in zahlreiche soziale Projekte – sondern eben auch in den privaten Luxus.
Ein echter Publikumsmagnet
Am kommenden Wochenende haben allerdings auch weniger wohlhabende Einwohner und Gäste von Usti (Aussig) Gelegenheit, einen Hauch vom Leben der Fabrikantenfamilie Petschek zu erhaschen. Und dank des deutschsprachigen Faltblatts, das die Stadt extra für die „Tage des europäischen Erbes“ hat anfertigen lassen, lohnt ein Besuch auch dann, wenn man nicht tschechisch spricht. Seit 1984 finden die „Tage des europäischen Erbes“ jedes Jahr im September in ganz Europa statt.
Ursprünglich auf eine französische Initiative hin entstanden, hat sich die Aktion mittlerweile zu einem Publikumsmagneten entwickelt: 2003 nahmen 48 Länder an den „European heritage days“ teil. Über 20 Millionen Besucher kamen dabei zu Schlössern, Kirchen, alten Fabriken oder Friedhöfen – um etwas zu erfahren über die Vielfalt, die Europa an Baustilen, Kulturen und Geschichte(n) zu bieten hat. Und um zu sehen, was für die Öffentlichkeit sonst das ganze Jahr über verschlossen ist. Auch die nordböhmischen Städte beteiligen sich intensiv an den „Tagen des europäischen Erbes“. Und so sind neben vielen Kirchen, Schlössern und Burgen eben auch die Privatvillen der Aussiger Industriemagnaten zu besichtigen.
Besuch der Enkelin
„Im letzten Jahr waren 300 Leute hier“, sagt Josef Susanka. Seit 2005 „residiert“ Susanka als Direktor der Schulinspektion in der Villa, die gleich neben dem Haus von Ignaz Petschek liegt. Franz Petschek, Ignaz’ dritter Sohn, hat sich hier zu Beginn der 1930er Jahre ein ebenso schlichtes wie beeindruckendes Zuhause geschaffen: Auf zwei Etagen gruppieren sich die von der Familie genutzten Räumlichkeiten um je eine prachtvoll gestaltete Halle herum. Während die Eingangshalle im Erdgeschoss mit ihren Kacheln einen kühlen, marmornen Eindruck erzeugt, macht die obere Halle mit dem Parkettfußboden, den hohen Fenstern und der großzügigen Außenterrasse sofort Lust auf einen Sommernachtsball.
„Von Zeit zu Zeit kommt eine Enkelin der Petscheks vorbei und schaut, was aus dem Haus ihrer Familie geworden ist“, erzählt Josef Susanka. „Weil die Petscheks jüdischer Abstammung waren, mussten sie vor den Nazis nach Amerika fliehen – aber da die Enkelin inzwischen natürlich längst amerikanische und nicht mehr tschechische Staatsbürgerin ist, hat sie keinen Anspruch auf Rückgabe des Hauses.“
Die Balustrade bröckelt
Wie schon immer seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird das Haus somit wohl auch weiterhin öffentlichen Zwecken dienen: Früher residierte hier ein pädagogisches Fortbildungszentrum, heute eben die Schulinspektion, die die Räumlichkeiten nicht nur als Verwaltungssitz, sondern auch für Konferenzen und Ausstellungen nutzt. „Das Gebäude gehört damit eigentlich dem Staat“, sagt Susanka. „Allerdings hat auch der Hauptmann des Bezirks Usti schon ein Auge darauf geworfen.“
Doch egal, wem die Villa gehört – was das Haus vor allen Dingen bräuchte, wäre eine kräftige Finanzspritze: „Das Gerüst, das nun schon seit mehreren Jahren unten vor der Eingangstür steht, soll Passanten davor bewahren, dass ihnen ein Stein aus der Dachbalustrade auf den Kopf fällt“, sagt Susanka. „Wir wollen Geld für die Renovierung auftreiben – aber wegen des Denkmalschutzes muss man sich hier jeden Nagel genehmigen lassen, den man in die Wand schlägt.“