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Ein Hochverräter auf der Prager Burg?

Dem scheidenden tschechischen Präsidenten Vaclav Klaus soll wegen der Amnestie der Prozess gemacht werden.

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Von Hans-Jörg Schmidt, SZ-Korrespondent in Prag

Das könnte ein bitterer Abgang für den tschechischen Staatspräsidenten Vaclav Klaus werden: Der Senat, die zweite Kammer des Prager Parlaments, strengt gegen ihn einen Prozess wegen „Hochverrats“ an. 28 Senatoren haben einen entsprechenden Antrag unterstützt. Ob der beim Verfassungsgericht in Brünn (Brno) eingereicht wird, entscheidet sich in einer Sondersitzung des Senats am kommenden Montag.

Der Präsident hatte in seiner Neujahrsansprache völlig überraschend eine weitreichende Amnestie verkündet. Die betrifft nicht nur „kleine Gauner“, sondern auch Wirtschaftskriminelle. Genauer gesagt solche, die in einem Prozess nicht mehr als zehn Jahre Haftstrafe bekamen. Oder solche, bei denen die Untersuchung der betroffenen Fälle schon länger als acht Jahre dauert.

Im Kern kommen damit all jene Tschechen in den Genuss wiedergewonnener Freiheit, die sich aus der Sicht der Bevölkerung am schlimmsten am Staat vergangen haben: die sogenannten „tunelari“ (Untertunnler); also Leute, die Firmen ausraubten, bis nichts mehr von denen übrig blieb. Die Fälle waren meist so kompliziert, dass sie eine lang andauernde Untersuchung erforderlich machten. Und diejenigen, die schon rechtskräftig verurteilt worden sind, kamen meist mit ausgesprochen geringen Strafen davon.

Die Kritiker dieses Vorgehens geben Klaus gleich zweimal Schuld: Er habe zum einen als früherer Premier bewusst laxe rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen, die es den Wirtschaftskriminellen leicht gemacht hätten, ihre Straftaten zu begehen. Und nun, zum Ende seiner Ära in der großen Politik, begnadige er diese Leute auch noch. Die Verkündung der Amnestie hatte das Ansehen von Klaus in den Keller fallen lassen. Nie hatte er so geringe Zustimmungsraten wie gerade jetzt.

Klaus selbst hat die Amnestie vehement verteidigt. Er habe nicht eine Sekunde an spezielle Leute gedacht, die von der Amnestie profitierten. Er kenne solche Kriminellen auch überhaupt nicht.

Fakt ist, dass die Amnestie äußerst fragwürdig vorbereitet wurde. Neben Klaus waren an deren Vorbereitung lediglich zwei hochrangige Mitarbeiter der Prager Burg und ein Staatssekretär aus dem Justizministerium beteiligt. Ministerpräsident Petr Necas, der laut Verfassung einen solchen Gnadenerlass gegenzeichnen muss, tat dies ohne zu zögern – und ohne die Regierung vorher zu informieren, was er hätte tun müssen. Ob das Verfassungsgericht die Klage annimmt und behandelt, ist offen. Sollte das Gericht den Präsidenten tatsächlich verurteilen, würde er sein Amt verlieren. Praktische Bedeutung hätte das ohnehin nicht mehr: Die Amtszeit von Vaclav Klaus endet am 7. März. Der moralische Schaden einer Verurteilung wäre jedoch riesig.

Klaus selbst nahm die Nachricht gelassen auf. Dies sei nicht mehr als ein „politisches Spielchen“. Empört äußerte sich dagegen Premierminister Necas. Der nannte das Ganze „menschlich und politisch erbärmlich“. So etwas habe er noch nicht erlebt. Er schäme sich dafür, fügte der konservative Regierungschef hinzu.

Der künftige Staatspräsident Milos Zeman hatte die Amnestie seines Vorgängers als „groben Fehler“ bezeichnet. Mit „Hochverrat“ habe das jedoch nichts zu tun. Er, so Zeman, ziehe aus dem Fall seine Konsequenzen: Er selbst werde nie eine Amnestie verfügen.

Der erste Nachwende-Präsident Vaclav Havel hatte gleich zu Beginn seiner Amtszeit eine sehr weitreichende Amnestie verkündet, die vor allem auch die politischen Häftlinge des kommunistischen Regimes betraf. Auch Havel musste sich immer wieder für diesen Gnadenakt verteidigen. Aus der Sicht seiner Landsleute war diese Amnestie Havels größter Fehler. Freilich richteten sich die Vorwürfe bei Havel nicht gegen die Freilassung der politischen Häftlinge, sondern der „kleinen Gauner“, die seinerzeit zumeist schnell wieder rückfällig wurden und sich neuerlich hinter Gittern wiederfanden.