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Ein Kamenzer in Paris

Hermann Drumm lernte viel von Europa und seinen Menschen kennen. Ohne die Solidarität der Franzosen hätte seine Familie nicht überlebt.

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Von Reinhard Kärbsch

Die Story von US-Soldat Jerry Mulligan und der hübschen Pariser Parfümverkäuferin Lise wiederholt sich nicht. Das Musical „Ein Amerikaner in Paris“ bleibt eine erfundene Geschichte. Die folgende geschah wirklich: Wenn der Kamenzer Dr. Hermann Drumm nach Paris fliegt, dann nur, um auf Spurensuche zu gehen. Ende der 30er, Anfang der 40er Jahre hatte er hier zeitweise die frühe Kindheit verbracht. Er sucht die Nachkommen der Familien, die in den 40er Jahren dafür gesorgt hatten, dass der kleine Hermann, Mutter Martha und sein Stiefvater Josef Strasser nicht in die Fänge der Faschisten gerieten. Letzterer wäre als Kommunist und Spanienkämpfer des sicheren Todes gewesen. Dabei hat die Familie Rol-Tanguy eine wesentliche Rolle gespielt.

Mit Pistole Papiere besorgt

Die Franzosen besorgten legale Papiere auf abenteuerliche Art. „Ein Partisan soll bei der Polizei nur seine unter einer Lederjacke verborgene Maschinenpistole gezeigt haben“, erzählt Drumm die übermittelte Story. So konnte er, Armad Hilt heißend, eine Vor- und Grundschule besuchen. In Mutters Papieren stand Marthe, der Stiefvater hieß Leopold Hilt. „Wir verdanken unser Leben der Solidarität und selbstlosen Unterstützung französischer Menschen.“ Seine Bindung zu Frankreich ist deshalb eine lebenslange geworden, gleichermaßen von Herz und Verstand gespeist. Sie hat viele Facetten. „Diese Erlebnisse und mir übermittelte Informationen haben mein Leben, meine politischen Ansichten und Handlungen geprägt. Ich müsste alles mal aufschreiben“, sagt der gerade 70 Jahre alt gewordene Drumm (siehe Kasten). Das erklärt, warum er sich bei den Jungen Pionieren, den Falken und der Freien Deutschen Jugend organisierte. Das erklärt seine Ausbildung in der DDR, obwohl die Eltern in Rosenheim lebten. „Das regelten damals die deutschen Kommunisten in Ost und West“, sagt er.

Fahrt ins ZK der SED

Das erklärt seinen Eintritt in bewaffnete Kräfte. Des Vaters wie Stiefvaters Vermächtnis lautete: Schutz vor faschistischen Terror gibt es nur durch eigene starke Bewaffnung! In den 50er Jahren tobte der Kalte Krieg. Die Bundeswehr führten faschistische Generale wie Heusinger. Piloten der Legion Condor, die im spanischen Bürgerkrieg die baskische Stadt Guernica bombardiert hatten, waren wieder in Kampfflugzeuge gestiegen. Als er aber Offizier der Luftstreitkräfte der Nationalen Volksarmee werden wollte, ging erst einmal gar nichts mehr: Westverwandtschaft ersten Grades! Drumm fuhr kurzerhand nach Berlin ins ZK der SED und erzählte seine Geschichte. „Das hätten meine Väter genauso gemacht. Für politisch unsinnige Sachen waren die nie zu haben.“ Die ZK-Leute sicherten Klärung zu. In Kamenz wurde er 1960 nach drei Jahren Ausbildung Unterleutnant. Es folgte eine Karriere als technischer Offizier mit Besuch einer der renommiertesten Ausbildungsstätten für Flugzeuge und Raumfahrzeuge, der Schukowski-Militärakademie. „Alles hing jetzt von mir selbst ab: vorher Russisch lernen, vor Ort fleißig das Sprechen üben, lernen bis in die Nacht hinein. Und ich drückte mit den ersten Kosmonauten die Schulbank.“ Er wurde 1969 Lehroffizier an der Offiziershochschule Kamenz und promovierte zur Technologie des Lufttransportes.

Jetzt wird Spanisch gelernt

Nach der Wende war Drumm nur konsequent. Er wurde Mitglied von gesamtdeutschen Organisationen, wie der DRAFD (Deutsche in der Résistance, in den Armeen der Antihitlerkoalition und im Komitee Freies Deutschland) und der KFSR (Kämpfer und Freunde der spanischen Republik 1936-1939). Er verbesserte seine Französischkenntnisse. Gegenwärtig lernt er Spanisch. Er sagt dazu nur: „Das bin ich meinen Freunden schuldig. Ich fühle mich als Europäer. Da sollte man schon der Sprache einiger europäischer Völker mächtig sein und die Lessingsche Toleranz pflegen. In Kamenz bin ich deshalb zu Hause, schon wegen des großen Humanisten.“ Und er betätigte sich politisch in der PDS und war zehn Jahre Stadtrat in Kamenz. Übrigens: Die Geschichte seiner Familie hat Hermann Drumm schon in Kurzfassung für das Buch „Für den Sturz des Naziregimes“ aufgeschrieben. Die VVN-BdA Saar ist Herausgeber. Im letzten Satz des Textes schreibt er das Vermächtnis seiner Mutter, die hochbetagt im Januar 2002 starb, nieder: „Ihr weiter Lebenden, tut alles, Kriege zu verhindern.“