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Ein kleiner Hilfsschuss

Dresdner Tafel. Bedürftige holen sich Lebensmittel und ein nettes Wortvon Evelyne Albert und Gisela Schumacher ab.

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Von Ivette Wagner

„Nein, heute haben wir kein Fleisch.“ Evelyne Albert wiederholt diesen Satz in einer Stunde ein Dutzend Mal. „Mist, vorige Woche habe ich keins mitgenommen“, ärgert sich eine ältere Frau. Prüft die angebotenen Salamistücken. „Die Wurst können Sie wunderbar in Makkaroni schneiden“, sagt Albert. Die ältere Frau nimmt die Gedankenstütze dankbar entgegen, nickt und nimmt die Salami.

Vor einem der Eingänge an der Trinitatiskirche drängen sich die Menschen. Viele haben große Taschen dabei. Wie jede Woche. In dem Gotteshaus befindet sich eine der vier Ausgabestellen des Vereins Dresdner Tafel. Dort bekommen Bedürftige Lebensmittel. Die Statistik teilt sie auf in fünf Prozent Obdachlose, 35 Prozent Familien und Frauen mit Kindern in Not, zehn Prozent Straßenkinder, zehn Prozent psychisch Kranke und Suchtkranke, zehn Prozent ehemalige Selbstständige und 15 Prozent Senioren. Zwischen 120 und 150 Leute kommen in die Trinitatiskirche.

„Mama mir ist kalt“, sagt ein kleiner Junge und versucht Wärme durch Körperkontakt zu bekommen. Ein paar Minuten später ist er im Warmen. Evelyne Albert bietet weiter ihre eingeschweißte Wurst an. Zwei Packungen davon bekommt man für 50 Cent. „Es gibt immer ein Angebot, das dazu gekauft werden kann“, erklärt sie. Dazu gehören auch die Salami, Wasser, Energydrinks, Tee mit Melone.

„Mit dem Geld, das wir damit einnehmen, wird der Transportkostenanteil beglichen, um die Lebensmittel zu den Ausgabestellen zu bringen.“ Albert setzt ihre Brille auf, zählt nach. Zwei Cent fehlen. Der Mann, der vor ihr steht, kramt in seinen Hosentaschen, findet die Münzen. Auf die Frage, warum er hier Lebensmittel hole, folgt nur eine Geste: Er winkt ab. Später sagt er: „Bei mir ist alles zu spät. Die Tafel ist die Konstante in meinem Leben.“ Gisela Schumacher verteilt an einem Tisch gelbe oder blaue Zettel. Erstere beurkunden einen Mehrpersonen-Haushalt, letztere einen Alleinlebenden. Schumacher selbst ist seit September 1999 bei der Tafel. Durch eine Bekannte wurde sie auf den Verein aufmerksam, meldete sich, fing an zu arbeiten. Seit 1996 war sie arbeitslos.

Nach einem Buchhalterjob folgten Fortbildungen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Mit 58 Jahren unterschrieb Schumacher, dass sie nicht mehr vermittelt werden möchte. „Das wurde außer Kraft gesetzt. Jetzt bin ich Arbeitslosengeld II-Empfängerin.“ Bis zum Alter von 64,9 Jahren muss sie arbeiten, damit sie volle Rente bekommt. 25 Stunden in der Woche leistet sie Dienst bei der Tafel auf der 1,50 Euro-Stunden-Basis. „Bei der Tafel mache ich aber so lange weiter, bis ich nicht mehr kann“, sagt sie.

Für Schumacher ist die Tätigkeit Lebensinhalt. „Weil ich eine Beschäftigung habe, weil ich Menschen helfen kann und weil ich einen Rat geben kann.“ Den braucht Elke nicht. Sie geht systematisch von einem Tafel-Mitarbeiter zum nächsten. Sie kommt jede Woche, packt Wurst, Wasser, Fertiggerichte, Toast in die blaue Ikea-Tasche. „Ich habe sechs Kinder. Da bin ich froh, wenn ich was bekomme.“ Nachts trägt sie Zeitungen aus, damit sie tagsüber die Kinder – zwischen drei und zwölf Jahren – versorgen kann. Ihr Mann ist arbeitslos. „Einige kenne ich schon. Ich bin ja seit Jahren dabei“, sagt Tafel-Mitarbeiterin Evelyne Albert. Vor allem die allein erziehenden Mütter, die mit ihren Kindern kommen, hat sie ins Herz geschlossen. „Natürlich denkt man über die Schicksale nach. Dann weiß ich für mich aber, dass es mir gut geht.“ Albert ist Rentnerin, war vorher 35 Jahre Chemielaborantin an der TU Dresden, unterstützt seit 1996 die Dresdner Tafel.

Wieder setzt Albert ihre Brille auf, zählt Geld. Eine junge Frau bahnt sich den Weg. Mit Piercings, pechschwarzem Haar, genauso schwarzen Fingernägeln. Die 22-jährige Einzelhandelskauffrau wurde entlassen, weil sie krank ist. „Ich habe kein Geld. Der wöchentliche Besuch hier ist ein kleiner Hilfsschuss“, sagt sie. Eine Bewerbung in einer Tierhandlung laufe gerade. „Bis ich einen Job habe, komme ich gern hierher.“ Auch, wenn in dieser Woche kein Fleisch im Angebot ist.