Ein Lausitzdorf zieht um

Mühlrose. Wie zwischen Baum und Borke fühle er sich, sagte der Trebendorfer Bürgermeister Waldemar Locke (CDU) in den Morgenstunden dem mdr-Sachsenradio. Einerseits sei ein Großteil der Mühlroser für eine Umsiedlung des Dorfes nach Schleife. Andererseits gebe es durchaus Einwohner, insbesondere ältere, die sich vor einer Entwurzelung fürchteten.
Freilich ist die Sache entschieden. Der Anlass für das Radio-Interview war die Unterzeichnung des Umsiedlungsvertrages für Mühlrose. Und so stand Locke am Vormittag nur ein paar Schritte vom Wohnhaus seiner Familie entfernt im Saal der Mühlroser Gaststätte „Zur Erholung“ vor der Bühne mit der Beschriftung „Anno 1927“ und erinnerte an die 642-jährige Geschichte des Ortes. „Solange Heimat da ist, spürt man sie kaum, so wie frische Luft zum Atmen. Wir werden aber erst in der fremden Heimat merken, was wir hier besaßen.“ Der Umzug wird dem Bürgermeister also alles andere als leicht fallen.
Andererseits applaudierten die im Saal anwesenden Mühlroser lautstark, als Locke von der Erleichterung sprach, die sich breitgemacht habe, als im Februar nach jahrelanger Hängepartie klar war, dass auch der Rest des seit dem Aufschluss des Tagebaus Nochten Ende der 1960er schon mehrfach geschrumpften Ortes der Braunkohlegewinnung weichen soll. Mühlrose zieht um und der Schleifer Bürgermeister Reinhard Bork (CDU) versicherte, dass alle Umsiedler im dann neuen Ortsteil seiner Gemeinde willkommen seien: „Die Heimat ist und bleibt das Kirchspiel Schleife.“
Zur Unterzeichnung des Mühlrose-Vertrages schritten schließlich neben Locke und Bork auch Dr. Helmar Rendez und Uwe Grosser vom Vorstand der Lausitz Energie Bergbau AG, die die 60 bis 100 Meter unter dem Dorf liegende Kohle ans Licht holen will. Es geht um 150 Millionen Tonnen aus dem zweiten Lausitzer Flöz. Voraussetzung ist jedoch die ausstehende Genehmigung des Hauptbetriebsplanes. „Die Leag geht hier in Vorleistung“, sagt dazu der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Die Vertragsunterzeichnung war ihm so wichtig, dass er selbst in die „Erholung“ gekommen war. Zuvor schlug er in deren mit Journalisten vollgestopftem Gesellschaftszimmer den großen Bogen zum Ausstieg aus der Kohleverstromung, wie ihn die Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung empfohlen hat. „Das Projekt Mühlrose kostet viele hundert Millionen Euro. Das macht man nur, wenn man die Erwartung hat, dass man hier bis 2038 Kohle fördern kann.“ Diese knapp 20 Jahre werde man brauchen, um zum einen die Infrastruktur zu schaffen, die für eine wirtschaftliche Entwicklung der Lausitz notwendig ist und zum zweiten auch eine Energiewirtschaft aufzubauen, die Versorgungssicherheit auch ohne die Kohle garantieren kann.
Kretschmer setzt auf beschleunigtes Planungsrecht mit reduzierten Beteiligungsrechten, um binnen zehn Jahren neue Straßen und neue Zugverbindungen schaffen zu können. Er setzt aber auch auf die Ansiedlung von Behörden und verspricht: „Der große Schwerpunkt dabei werden Weißwasser und Hoyerswerda sein.“ Der Ministerpräsident aus Görlitz setzt aber durchaus auch weiter auf die Leag – und zwar über 2038 hinaus: “Es gibt auch schon Pläne im Aufsichtsrat, welche neuen Geschäftsfelder angegangen werden sollen.“ Vorstandschef Dr. Helmar Rendez bestätigt das – im Grundsatz:“Wir sind an verschiedenen Entwicklungen dran, um als Ankerunternehmen der Lausitz auch weiter an der Zukunft der Region mitzuarbeiten.“ Im Gespräch mit dem TAGEBLATT erwähnte er den in Schwarze Pumpe geplanten Groß-Akku und Projekte zur Industrie-Automatisierung.
Mit der stofflichen Verwertung der Braunkohle beschäftige man sich weiterhin. Die Verfahren seien zwar alle da, jedoch: „Das ist momentan noch nicht wirtschaftlich zu machen.“ Bezüglich der Umsiedlung von Mühlrose meint der Leag-Vorstandschef, nun herrsche für die momentan rund 200 Einwohner nach Jahren der Unsicherheit endlich Klarheit: „Diese Umsiedlung ist kein Ende von Mühlrose, sondern ein Neuanfang, der die Chance für die Einwohner birgt, die Geschichte von Mühlrose samt ihrer Erinnerungswerte, die an den neuen Standort mitziehen werden, weiterzuschreiben.“ Der Baubeginn für die Erschließungsarbeiten in Schleife ist bereits für den Sommer vorgesehen. Baureife Grundstücke für die Umsiedler sollen im Sommer 2020 zur Verfügung stehen. Ende 2024 – so das Ziel – ist das heutige Mühlrose dann reif für den Bagger.