Constanze Junghanß
Jonglage in vier Sprachen: Hedi M’Selmi benötigt dazu selten ein Wörterbuch. Vielleicht noch für den einen oder anderen Fachbegriff. Dann schiebt er die Brille auf die Nase, blättert in den Seiten. Das passiert aber nur gelegentlich. Englisch, Deutsch, Französisch und Arabisch kommen fließend über seine Lippen. Die Fähigkeiten des Mannes mit dem blauen T-Shirt vom Roten Kreuz wurden in den vergangenen Monaten immer wichtiger. Wer so viele Sprachen beherrscht, kann helfen zu übersetzen. Durch den Flüchtlingszustrom sind Sprachgenies wie Hedi M’Selmi gefragte Leute. Im Landkreis leben derzeit etwa 1160 Asylsuchende.
Beim Jobcenter Löbau dolmetschte der 29-Jährige ebenso ehrenamtlich wie im Asylbewerberheim. Seit noch nicht allzu langer Zeit werden auch in Löbau asylsuchende Familien dezentral untergebracht. Nicht in Luxuswohnungen, sondern in Wohnungen auf Hartz-IV-Niveau. Ebenso in Ebersbach-Neugersdorf. „Insgesamt sind das derzeit rund 100 Menschen“, sagt Kerstin Groß von der Flüchtlingssozialarbeit des DRK. Sie betreut 19 Familien in Löbau, elf Familien in Ebersbach-Neugersdorf. Und natürlich sprechen diese Menschen kaum die hiesige Sprache. Kerstin Groß ist deshalb froh, mit Hedi M’Selmi einen Übersetzer gefunden zu haben. Die wären nämlich rar im Landkreis, sagt sie. Das DRK hat den sprachgewandten Tunesier im Februar mit ins Boot holen können. Das wiederum freut den jungen Mann. Er hat so hier einen Job gefunden und kann für seine kleine Familie sorgen. Die wächst bald: Seine deutsche Ehefrau erwartet ein Baby. „Ein Mädchen wird es“, erzählt er glücklich. Geheiratet haben die beiden schon vor zwei Jahren.
Dass der Tunesier nun in Löbau lebt und arbeitet, hat etwas mit seiner früheren Arbeitsstelle zu tun. Als Animateur war er für Reiseunternehmen in verschiedenen Ländern unterwegs. Über sieben Jahre insgesamt. Und da sei Sprachenvielfalt ein wichtiges Muss, sagt er. Seine letzte Arbeitsstelle war in der Türkei. Dort lernte er vor etwa drei Jahren seine Frau während ihres Urlaubs kennen. „Es war trotzdem schwer, meine Familie in Tunesien zu verlassen“, sagt der Dolmetscher. Doch zum Glück gibt es auch die Möglichkeit, nach Tunesien zu telefonieren. „Auch, wenn es teuer ist: Meine Eltern rufe ich dreimal in der Woche an“, erzählt er. Möchten Mutter und Vater irgendwann nach Deutschland kommen? „Nein. Meine Eltern werden in Tunesien bleiben. Es ist ihre Heimat.“
Hedi M’Selmi hat selbst noch die tunesische Staatsbürgerschaft, möchte sie später nicht völlig ablegen, sondern die doppelte Staatsbürgerschaft beantragen. Sein Ziel: Ein Studium im sozialen Bereich, damit er in der Flüchtlingssozialarbeit weitere Aufgabenfelder übernehmen kann. Die sind bereits jetzt vielschichtig. Neben den Übersetzungen müssen Anträge ausgefüllt, Termine zu Behörden und Ärzten besorgt oder den Asylsuchenden einfache alltägliche Gegebenheiten erklärt werden. Das fängt bei der Hausordnung an, geht über die Hinweise zur Mülltrennung bis hin zum Einkauf. Das alles gehört ebenfalls mit zum Job des Sprachmittlers.
In Löbau fühlt er sich Zuhause. Schlechte Erfahrungen hat Hedi M’Selmi bisher nur ganz wenige gemacht. Zweimal sei er aufgrund seiner etwas dunkleren Hautfarbe beschimpft worden. „Die Leute dachten wahrscheinlich, ich verstehe das nicht“, sagt der Moslem leise. Davon unterkriegen lässt sich der junge Mann jedoch nicht. Denn die positiven Erfahrungen überwiegen, erzählt er. „Ich lernte hier durch die Arbeit viele nette Menschen kennen“, erzählt Hedi M’Selmi. Jetzt stehen weitere Aufgaben an. Die Betreuung der 100 Flüchtlinge in den Wohnungen gestaltet sich von der Logistik und dem damit verbundenen Zeitaufwand her immer schwieriger. Sprechzeiten sollen deshalb nun in den Büros beim DRK Löbau auf der James von Moltke-Straße und in Ebersbach-Neugersdorf eingerichtet werden. Voraussichtlich zweimal pro Woche soll das Büro dafür geöffnet sein. Auch dabei wird Hedi M’Selmi gebraucht. Und im Herbst wird die Mitgliedschaft beim Deutschen Roten Kreuz beantragt. Damit ist der junge Mann der erste Tunesier beim DRK Löbau.