Von Jörg Stock
Etwas Helligkeit ist schon im Dunkel. Leider kommt sie nur von der Taschenlampe, die reichlich müde ist. Bernfried Albrecht balanciert auf einer Bierzeltbank und angelt mit einer langschnäbligen Zange nach kupfernen Draht-Enden, schiebt sie im Funzelschein in die Klemmlöcher, schraubt, keucht. Sein Haar ist schweißnass. Anstrengend? „Wenn man Ruhe und Licht hätte, wär’s schöner“, sagt er. Der Ruhe wegen hat er sein Mobiltelefon gleich draußen gelassen, im Auto. Es klingelt unentwegt. Bernfried Albrecht gehört momentan zu den gefragtesten Leuten in Pirna. Er ist Elektriker.
Das Wasser ist weg aus Pirnas Altstadt, aber der Strom kommt deshalb noch lange nicht wieder. Gestern Morgen waren 2 700 Haushalte und Geschäfte noch immer ohne Saft. „Wann ich wieder Strom brauche? Gestern!“, sagt Olaf Jentsch, Steuerberater in der Gartenstraße 12. Computertechnik und Fax an ein Notstromaggregat zu hängen, sagt er, hat keinen Zweck. Jentsch sitzt wie auf Kohlen. Er will mit seinem Zehn-Mann-Unternehmen endlich wieder arbeiten. Doch ohne Energie geht das nicht.
36 Menschen in drei Wohnungen, drei Büros und einem Laden brauchen in der Gartenstraße 12 Energie. Alle Hoffnungen ruhen auf dem Mann in der roten Latzhose in der schwarzen Kellertreppennische, auf Bernfried Albrecht. Der Elektromeister aus Dorf Wehlen bremst die Erwartungen. „Die Leute denken, wenn der Elektriker da war, gibt’s Strom“, sagt er. „Aber so ist das nicht.“ Albrecht setzt die Anlagen instand. Den Hausanschluss wieder in Betrieb nehmen kann nur die Enso.
Den Schalter umlegen wird der Versorger, aber nur, wenn er weiß, dass die Hausinstallation in Ordnung ist. Das müssen Leute wie Albrecht bestätigen, und deshalb sind sie so begehrt. Die Gartenstraße 12 hat Glück. Der Schaltkasten hing nur ein paar Zentimeter im Wasser. Man hat aus den früheren Fluten gelernt und ihn aus dem Keller ins Erdgeschoss verlegt. Der Hauseigentümer hat sogar die Innereinen ausbauen lassen, bevor die Elbe kam. Albrecht hat das all seinen Kunden angeboten. Mancher schaltete zu spät.
Mühsam fädelt der Elektromeister graue Kästchen auf eine Metallschiene. Es sind die Hauptschalter für die verschiedenen Stromkreise. Zwischendurch nimmt er immer wieder Fotos zur Hand, die den Kasten vor seiner Demontage zeigen, und prüft die Lage der Bauteile. Früher war die Sache einfach, sagt er. Wenn da der Keller vollgelaufen war, wurden die Kohlen hochgeholt, getrocknet, und dann brannten sie wieder. Heute säuft die Heizelektronik ab. Es gibt einfach viel mehr Haustechnik, sagt Albrecht, das ist das Problem. Hier, in der Gartenstraße 12, hat man sogar eine Heizanlage für die Dachrinne, gegen Eiszapfen.
Die Firma Albrecht muss bei etwa zwanzig Kunden in kürzester Zeit Schaltanlagen wieder einbauen oder reparieren. Eine Belastungsprobe für das kleine Unternehmen, das insgesamt nur drei Köpfe zählt. Die anderen beiden sind einige Häuser weiter, in Hausnummer 6c, im Einsatz. Elektriker Jens Kunau tupft mit Küchenrolle Pfützen vom Schaltkastenboden. Ines Rau, die eigentlich das Büro führt, hilft ihm. Hier wird sie heute dringender gebraucht, als am Schreibtisch, sagt sie.
Neben Elektriker Kunau steht ein Eimer, randvoll mit nassen Schaltern. Die sind futsch. Was einmal Schlammwasser abgekriegt hat, ist nicht mehr zu gebrauchen, sagt er, selbst, wenn man es trocknet. Das hat die Erfahrung der Flut von 2002 gelehrt. Die Sachen korrodieren und müssen schließlich doch ersetzt werden. In diesem Hausflur, in dem hüfthoch die Brühe stand, sind wohl auch die Zähler hin. Kunau überbrückt sie mit großen Klemmen. So haben die Mieter Strom, auch wenn der neue Zähler noch nicht eingebaut ist.
Eine Mieterin, die 23-jährige Jeannine Wend aus der ersten Etage, ist mal eben vorbeigekommen. Sie will Anziehsachen für die Kinder aus ihrer Wohnung holen und den Briefkasten leeren. Bleiben will sie ohne Strom nicht. Sie geht zurück ins Notlager Turnhalle auf den Sonnenstein. Da ist es schon in Ordnung, sagt sie. Sie schläft auch ganz passabel dort. „Wenn bloß nicht alle so schnarchen würden!“